Amerikanischer Heerwurm (Leucania extranea)

[410] Interessant durch die Lebensweise ihrer Raupen wird die Sippe der Rohreulen (Nonagria), zeichnungslose, graugelb, wie trockenes Schilfrohr aussehende Schmetterlinge, welche sich durch nackte, unbewimperte Augen, einen vorstehenden Stirnschopf, unter welchem sich eine wagerecht vortretende, viereckige Hornplatte versteckt, durch einen gewölbten, glattwolligen Mittelleibsrücken und einen gestreckten Hinterleib auszeichnen, für den Sammler aber noch die üble Eigenschaft an sich haben, daß sie leicht ölig werden. Sie fliegen bei Nacht vom August bis zum Oktober nur in der Nähe ihrer Geburtsstätten und breiten sich weit aus, einige Arten jedoch nur im nördlichen Deutschland. Ihre Raupenleben bohrend im Rohrstengel von Schilf und schilfartigen Gräsern, welche dadurch an den Spitzen der Blätter vergilben. Abgeschlossen vom Lichte haben sie bleiche Farben und ein wurmartiges Ansehen. Sie verpuppen sich auch in ihrer engen Klause, nachdem sie vorher ein Flugloch für den Schmetterling genagt haben, welches durch die Oberhaut des Stengels verschlossen bleibt oder durch Bohrspäne verstopft wird. Je nach der Art liegt die Puppe gestürzt unmittelbar über diesem Loche, oder aufrecht gleich darunter. Zu den verbreitetsten und größten Arten gehört die 39 Millimeter spannende gemeine Rohrkolbeneule (Nonagria typhae). Die schilffarbenen bis rothgrauen, neben den weißlichen Rippen mehr oder weniger dunkel bestäubten Vorderflügel haben eine stumpfe Spitze und einen ziemlich geraden, schwach gewellten Saum, an welchem zwei Reihen schwarzer Pünktchen stehen. Statt der vorderen Querlinie bemerkt man sehr einzelne, an Stelle der hinteren zahlreichere schwarze Punkte, Pfeilfleckchen vertreten die Wellenlinie. Eine helle Stelle deutet den Nierenfleck an, und bisweilen markirt sich in gleicher Weise sein runder Nachbar. Die gelblichen Hinterflügel haben eine dunklere, von den Rippen lichter durchschnittene Saumbinde; Federbüschchen, und je zwei längere Borsten zieren die Kammzähne der männlichen Fühler. In den beiden Rohrkolbenarten (Typha latifolia und angustifolia) lebt die schmutzigfleischfarbene Raupe. Drei lichte Rückenlinien, schwärzliche Luftlöcher, ein bräunliches Nackenschild und eine noch dunklere Afterklappe bringen wenig Abwechselung in das eintönige Kleid. Die schlanke, gelbbraune Puppe, welche sich durch eine stumpf nach oben gerichtete Rüsselscheide und eine nabelartige Erhöhung gegen das Leibesende hin auszeichnet, steht auf dem Kopfe, mithin über dem Flugloche. Trotz der Abgeschlossenheit der Raupe ist sie vor feindlichen Nachstellungen nicht sicher. Man erzieht nicht selten aus der Puppe (diese nur darf man einsammeln, wenn man den Schmetterling zu haben wünscht) eine Schlupfwespe, den Exephanes (Ichneumon) occupator. – Sehr eng an die Nonagrien schließen sich die Leucanien an, theils durch die Tracht und Färbung der Schmetterlinge, theils durch die Lebensweise der Raupen, die jedoch meist außen an den Grasblättern fressen; jenen fehlen die Stirnplatte, den männlichen Fühlern die Zähne, und gewisse andere Eigenthümlichkeiten lassen eine Vereinigung beider Gattungen nicht zu. Eine Art, die Leucania extranea, hat durch ihre Verheerungen als Raupe, namentlich in den westlichen Staaten Nordamerikas (1861), unter dem Namen des amerikanischen Heerwurmes (Army worm) eine gewisse Berühmtheit erlangt. Diese Raupe nährt sich, wie die unserer heimischen Arten, von Gräsern und hat in der kürzesten Zeit ganze Wiesen verheert; gebricht es ihr dann an Futter, so wandert sie nach anderen Weideplätzen aus und fällt auch über Roggen, Mais und Sorghum her. Nach einem Berichte aus jenem Jahre hat ein solcher Raupenzug in der Zeit von zwei Stunden sechzig englische Ellen (Yards) zurückgelegt. Man sah die Raupen in drei Schichten übereinander fortrücken und manchmal eine halbe englische Meile weit von einem Orte zum anderen wandern. Der Schmetterling legt seine Eier im Juni oder Juli an die Grashalme, und im nächsten Frühjahre entwickeln sich die Raupen aus denselben. Man brennt deshalb im Spätherbste oder Winter die trockenen Grasstoppeln an solchen Stellen, wo sich die Raupen gezeigt haben, als Vorbeugungsmittel gegen weiteren Schaden ab.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 410.
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