Spanische Fliege (Lytta vesicatoria)

[127] Die Spanische Fliege (Lytta vesicatoria) kommt stellenweise manches Jahr während des Juni in überraschenden Mengen vor und verräth dann ihre Gegenwart aus weiter Ferne durch einen scharfen Geruch. Eschengebüsch, Syringen, Rainweide und andere weidet die Gesellschaft kahl ab und zieht weiter, wenn sie nichts mehr findet. Ihre schön grünen, dicht gerunzelten Flügeldecken mit je zwei feinen Längsrippen, beim Manne smaragdgrün und gestreckter, beim Weibchen lichter goldgrün und breiter, machen sie kenntlich, wenn es der Geruch nicht schon thäte. Die fadenförmigen Fühler erreichen dort halbe Körperlänge, hier sind sie um die Hälfte kürzer. Noch gehört ein herzförmiger Kopf, ein queres, stumpf fünfeckiges Halsschild zu den Kennzeichen des 17 bis 19,5 Millimeter messenden Käfers.

Auf ihren Weideplätzen zeigen sich, mit einander entgegenstehenden Köpfen, massenhaft zusammenhängende Pärchen. Das Weibchen legt seine sehr zahlreichen Eier in die Erde ab, aus denselben kriecht, und zwar rückwärts, wie man beobachtet hat, eine Larve von der bereits vielfach erwähnten und oben abgebildeten Form, über deren ferneres Schicksal man vollständig im Unklaren [127] ist. Wegen ihrer Aehnlichkeit mit den bekannten Larven und wegen der Uebereinstimmung der vollkommenen Kerfe hat man vorausgesetzt, daß sie in ähnlicher Weise wie die Larven der Meloë, der Zonitis und Sitaris, zweier weiterer Familiengenossen, deren Entwickelung bekannt, schmarotzend bei Erdbienen ihre Vollendung erlange. Dieser Annahme ist das zeitweise, in so außerordentlichen Mengen beobachtete Vorkommen der Spanischen Fliege entgegengehalten worden, welches sich nicht wohl mit einer derartig parasitischen Lebensweise in Einklang bringen lasse. Wenn man indessen bedenkt, in welchen ungeheuren Mengen gewisse Erdbienen im Frühjahre aus ihren Löchern hervorkommen, und daß andere Schmarotzer bei ungewöhnlich zahlreichem Vorhandensein ihrer Wirte sich merklich vermehren, so ist unter günstigen, uns bisher noch verborgen gebliebenen Bedingungen auch für die Spanische Fliege eine solche Möglichkeit nicht ausgeschlossen.

In Schweden, Rußland, Deutschland, namentlich aber im Süden Europas, kommt die Spanische Fliege vor. Eine kurze Bemerkung aus meinen entomologischen Tagebüchern lautet: »Naumburg a.S., 16. Juni 1850. Kolossale Mengen von Lytta vesicatoria an Ligustrum vulgare und Thalictrum, nachdem sie die benachbarten Eschen vollständig entblättert hatten«. Einige Jahre später traf ich sie in ähnlichen Mengen am östlichen Ende der Provinz Sachsen, aber merkwürdigerweise seit dem mehr als zwanzigjährigen Aufenthalte inmitten dieser beiden Punkte (Halle) nur in wenigen Jahren (1873) sehr vereinzelt. In Spanien mag sie häufig vorkommen und gesammelt werden, worauf die deutsche Benennung hinzudeuten scheint. Dieselbe ist schon zu Moufet's Zeiten, aber nicht in Deutschland üblich gewesen; denn er bemerkt ausdrücklich, daß der Käfer bei den Belgiern »spänsche vlieghe«, bei den Engländern »Cantharis« oder »Spanish Flye« heiße, während für die Deutschen »grüner Kefer, Goldkäfer« angegeben wird. Wenn die Käfer in hinreichenden Mengen vorhanden sind, daß ihr Einsammeln lohnt, so klopft man sie am frühen Morgen oder an unfreundlichen Tagen von den Büschen auf untergebreitete Tücher oder untergehaltene Schirme ab – bei Sonnenschein sind sie sehr beweglich – tödtet sie, trocknet sie bei künstlicher Wärme, am besten in einem Backofen, schnell und sorgt für guten Verschluß der trockenen, ungemein leicht gewordenen Waare. Fein zerrieben und mit einem Bindestoffe vermischt, liefern sie das bekannte Zugpflaster, ein Auszug mit Alkohol unter anderem die Cantharidentinktur. Die berüchtigte Aqua Tofana soll nach Ozanari nichts anderes als ein mit Wasser versetzter Weingeistauszug von Spanischen Fliegen sein. Das rein dargestellte Cantharidin besteht aus glimmerartig glänzenden, leicht in Aether und fetten Oelen löslichen Blättchen. Der Preis der getrockneten Käfer dürfte nach den Verhältnissen schwanken, ein befreundeter Apotheker, welcher in seinem Garten in den funfziger Jahren eine Sammlung veranstaltet hatte, erzielte beim Verkaufe nach Berlin einen Thaler für das Pfund.

Man kennt mehr als zweihundertundfunfzig Lytta-Arten, von denen die meisten in Afrika und Amerika leben, letztere, vorherrschend schwarz oder durch dichte Behaarung grau, auch in beiden Färbungen gestreift, sind neuerdings als besondere Gattung »Epicauta« von Lytta getrennt, weil ihre Borstenfühler kürzer, kaum so lang wie der halbe Leib, das Halsschild gestreckter, immer länger als breit und die Flügeldecken an der Wurzel schmäler sind, der Körper hier überhaupt mehr von den Seiten her zusammengedrückt erscheint. Mehrere nordamerikanische Arten, wie Epicauta cinerea und vittata, kommen bisweilen in ungeheueren Mengen auf Kartoffelkraut vor und zerstören durch ihren ungehinderten Fraß der Blätter die ganze Kartoffelernte, wie der erst neuerdings so berüchtigt gewordene Colorado-Kartoffelkäfer.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 127-128.
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