Mehlkäfer (Tenebrio molitor)

[119] Schließlich sei noch einer Art gedacht, die einzige vielleicht, mit welcher wir nach mehr als einer Seite hin zu Hause Bekanntschaft machen können, ohne dadurch unangenehm berührt zu werden. Ich meine den Mehlkäfer, Müller (Tenebrio molitor). Der wissenschaftliche Gattungsname ist auf die ganze Familie übertragen worden, nicht als ob der Käfer dieselbe am besten vergegenwärtigte, sondern sicher nur darum, weil man seine verbreitetste Bekanntschaft vorausgesetzt hat. Die deutschen Benennungen deuten auf seinen Aufenthalt und seine Geburtsstätte, denen zufolge wir uns nicht wundern dürfen, vorübergehend eine seiner braunen Flügeldecken oder Ueberreste seines mageren Körpers, vielleicht auch seine Larve in das Brod eingebacken zu finden, falls der Bäcker es an der nöthigen Vorsicht und Reinlichkeit hat fehlen lassen. Die Larve oder der Mehlwurm, wie sie allgemein heißt, lebt indeß nicht ausschließlich im Grunde der Mehl- und Kleiekästen, nicht bloß in allen Winkeln und unzugänglichen Plätzchen von Mühlen, Backhäusern oder Hauswirtschaften, wo die genannten Nahrungsmittel hinstäuben und jahrelang unberührt liegen bleiben, sie kommt auch an wesentlich anderen Oertlichkeiten vor und ernährt sich von noch ganz anderen Stoffen.


1 Pimelia distincta, natürl. Größe. 2 Mehlkäfer (Tenebrio molitor) und seine Larve; beide vergrößert.
1 Pimelia distincta, natürl. Größe. 2 Mehlkäfer (Tenebrio molitor) und seine Larve; beide vergrößert.

Ich fand sie einst in Menge und von verschiedener Größe in einem etwas Erde haltenden, zur Zucht von Schmetterlingsraupen bestimmten Kasten, den mir ein Bäckerhaus bewohnender Freund geliehen hatte. Die darin befindlichen, längst vergessenen Puppen und einige Schmetterlingsleichen dienten den Larven zur Nahrung. Andere haben sie im Miste der Taubenschläge gefunden, wo gar mancherlei für sie abfällt, und alle diejenigen, welche insektenfressende Singvögel in Mehrzahl halten, züchten bekanntlich die Mehlwürmer, um ihren gefiederten Pfleglingen von Zeit zu Zeit einen Leckerbissen reichen zu können. Zu diesem Zwecke bringt man eine Anzahl Larven in einen alten, breiten Kochtopf mit etwas Kleie, vertrocknetem Brode und alten Lumpen zusammen, deckt denselben zu, damit die ausgeschlüpften Käfer nicht entweichen, sondern ihre Brut an dem ihnen angewiesenen Orte wieder absetzen. Besonders fruchtbringend gestaltet sich die Aufzucht, wenn von Zeit zu Zeit die Leiche eines kleinen Säugers oder Vogels dargereicht wird. Die Käfer und Larven skelettiren solche fast vollständig und liefern Präparate, die, durch Abschaben der noch anhaftenden Sehnenfasern nachträglich gereinigt und geglättet, allen Anforderungen genügen, um in einer Skelettsammlung aufgestellt werden zu können. Ehe die Mehlwürmer erwachsen sind, häuten sie sich viermal, und man könnte eine solche Larvenhaut für ein abgestorbenes Thier halten, weil sie wegen ihrer Härte die natürliche Gestalt [119] beibehält. Sie sind glänzend gelb, bis 26 Millimeter lang, haben einen kleinen eiförmigen und augenlosen Kopf, dessen Mundöffnung nach unten gerichtet ist, kurze, viergliederige Fühler, sechs Beine mit ebensoviel Gliedern, und an dem stumpf zugespitzten letzten Leibesringe zwei schwarze, nach oben gerichtete Hornspitzchen. Schon bei Besprechung der »Drahtwürmer« wurde auf den übereinstimmenden Körperbau mit den Mehlwürmern hingewiesen. Wie jene, können auch diese infolge ihrer Glätte und starken Muskelkraft sich leicht zwischen den Fingerspitzen durchwinden, wenn man sie nicht recht festhält.

Ungefähr im Juli erfolgt die Verpuppung an dem gewohnten Aufenthaltsorte der Larve, gern in einem Winkel, zwischen Bretern, die wohl auch zur größeren Bequemlichkeit an den Rändern etwas abgenagt werden. Abweichend von der Larve ist die Puppe zart und weich, von Farbe weiß, mit deutlichen Gliedmaßen und zwei hornigen, braunen Schwanzspitzchen versehen. Jedes Hinterleibsglied erweitert sich seitwärts zu einem dünnen, viereckigen Vorsprunge mit braun gezähntem Rande. Nach einigen Wochen erscheint der Käfer, anfangs gelb, allmählich dunkelbraun, am Bauche heller und röthlich schimmernd. Er ist ziemlich flach, mit Ausnahme seines schmalen Kopfes fast gleich breit im ganzen Verlaufe, und hängt, obschon vollkommen geschlossen, infolge der nachgiebigen Verbindungshäute, deren bereits bei den Speckkäfern gedacht wurde, in den drei Haupttheilen lose zusammen. Der platte, vorn gerundete Kopf steht gerade vor und trägt an seinen Seitenrändern die elfgliederigen, schnurförmigen, nach der Spitze schwach verdickten Fühler, durch die Backen eingeschnittene Augen, einen hornigen Zahn an der inneren Lade des Unterkiefers, dessen Taster beilförmig enden, und ein abgestutzt eiförmiges Endglied der Lippentaster. Außer der dichten, den ganzen Körper bestreuenden Punktirung ziehen feine Furchen über die Flügeldecken, und beim Männchen krümmen sich die vordersten der drehrunden Schienen. Besonders des Abends wird der reichlich 15 Millimeter messende Käfer lebendig und fliegt umher, so daß man ihn des Morgens bisweilen in Räumlichkeiten findet, wo er sich bisher noch nie blicken ließ, und die allgemeine Verbreitung seiner Larve leicht erklärlich wird. Seine Entwickelung nimmt durchschnittlich ein Jahr in Anspruch.

Wenn nach Uebergehung einer Reihe verschiedenzehiger Käfer jetzt bei einer kleinen Familie Halt gemacht wird, deren Glieder gleich den übergangenen weder durch ihre Häufigkeit, noch durch die feindselige oder freundliche Stellung, welche sie dem Menschen gegenüber einnehmen, noch sonst wie diesem ein allgemeineres Interesse abverlangen: so ist doch die Art ihrer Entwickelung eine so eigenthümliche und von den sämmtlichen bisher betrachteten Käfern so abweichende, daß eine kurze Besprechung derselben vollkommen gerechtfertigt erscheint.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 119-120.
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