1. Sippe: Agrypninen

[99] Die Schnellkäfer, Schmiede (Elateridae), erinnern zwar in ihrer allgemeinen Körpertracht, durch die gestreckte, schmale und geschlossene Form an die Prachtkäfer, weichen aber anderseits in so wesentlichen Punkten von ihnen ab, daß eine Vereinigung beider unmöglich ist. Der tief in das Halsschild eingelassene Kopf neigt sich stark abwärts, ohne in den meisten Fällen eine senkrechte Richtung einzunehmen, und wird von unten meist durch eine Art von Brustlatz, die verlängerte Vorderbrust, bedeckt. Die elf-, auch zwölfgliederigen Fühler gelenken nahe dem Vorderrande der Augen ein und sind gezähnt, beim Männchen nicht selten gekämmt, manchmal auch nur fadenförmig. Die Oberlippe ist deutlich, jeder Lappen des Unterkiefers blattartig und bewimpert, die Zunge ohne Seitenzipfel. Wie vorher sind die Gelenkpfannen für die fast kugeligen Hüften der vorderen Beine hinten offen, die Hüften der hintersten blattartig erweitert, nach hinten gerinnt, es fehlen aber überall die Schenkelringe, welche bei den Prachtkäfern deutlich entwickelt sind. Die linealen Schienen tragen kurze Endsporen und fünfgliederige, häufig unten mit lappigen Anhängen versehene Tarsen, der Hinterleib eine gleiche Ringzahl. Eine Eigenthümlichkeit zeichnet die meisten Glieder dieser Familie vor allen übrigen Käfern aus. Da sie nämlich infolge ihrer kurzen Beine sich vergeblich bemühen würden, auf diese wieder zu gelangen, wenn sie auf den Rücken gefallen sind, so hat die Natur das Auskunftsmittel getroffen, daß sie ihren Körper in die Höhe schnellen und in der Luft umdrehen können. Hierzu war eine ganz besondere Beweglichkeit zwischen dem Vorderbrustringe und der hinteren Körperpartie sowie ein Fortsatz jenes nach hinten und eine Aushöhlung für den Fortsatz im Vorderrande der Mittelbrust nöthig. Will der Käfer diese Vortheile benutzen, so macht er seinen Rücken hohl, Halsschild und Flügeldeckenspitze gegen eine feste Unterlage und den Vorderbruststachel gegen den Vorderrand der Mittelbrust stemmend; indem er nun durch die starken Brustmuskeln letzteren von hier ab in seine Grube schnellt, was mit einem knipsenden Geräusche erfolgt, wird der ganze Körper in die Luft gefedert, dreht sich hier um und fällt auf die Beine nieder; gelingt es bei ungünstigen Stützpunkten nicht das erste und zweite Mal, so wiederholt der Käfer das Schnellen so oft, bis er seinen Zweck erreicht hat.

Man kann ihn sehr leicht zu solchen Seiltänzerstückchen veranlassen, wenn man ihn mit dem Rücken auf die flache Hand legt. Während man ihn zwischen den Fingern hält, fühlt und sieht man die heftigen Bewegungen des hin- und herschnellenden Halsschildes und hört wohl auch das knipsende Geräusch; er führt also zwischen unseren Fingern die eben beschriebenen Bewegungen aus, welche er mithin immer anzuwenden scheint, wenn er sich aus einer peinlichen, der Hülfe bedürftigen Lage befreien will. Er erkennt in ihr und in den kurzen Beinchen seine einzigen Rettungsmittel; denn fühlt er erst den Boden unter letzteren, so läuft er eiligst davon und sucht sich zu verkriechen, wo und wie es eben gehen will. Auf seine Flügel verläßt er sich bei den Fluchtversuchen nicht, braucht dieselben vielmehr im warmen Sonnenscheine, um von honigspendender Dolde zu Dolde oder von Blume zu Blume anderer Art zu gelangen, oder um an warmen Abenden sein anderes Ich aufzusuchen. Hinsichtlich ihrer Lebensweise zeigen die verschiedenen Arten andere Gewohnheiten. Diese treiben sich am Boden umher, besuchen Blumen, um Honig zu lecken, und [99] zeigen sich um so lebendiger, je wärmer die Sonne scheint; jene wählen Sträucher und deren grüne Blätter zum Aufenthalte und finden sich daher mehr im Walde als auf Wiesen und Feld; kommt man ihnen zu nahe, so lassen sie sich mit angezogenen Beinen zur Erde fallen und sind dann meist, trotz der sorgfältigsten Nachforschungen, für immer dem Auge entschwunden. Noch andere stecken bei Tage hinter der Baumrinde oder klemmen sich zwischen die harzigen Knospentheile der Nadelhölzer, wollen überhaupt von einem sehr geübten Auge gesucht sein. Sie alle kommen bei uns im Frühjahre mit dem jungen Grün oder später und verschwinden gegen den Herbst nach und nach wieder, sei es nun, daß sie bis dahin ihre Art fortgepflanzt haben und nun von der Bühne abtreten, sei es, daß sie als jungfräuliche Käfer die winterliche Zeit in Erstarrung erst vorüberlassen wollen, ehe sie dem Brutgeschäfte obliegen. Man kennt bis jetzt erst von wenigen die Entwickelungsgeschichte, aus welcher ein mehrjähriges Leben im Larvenzustande hervorgeht.

Die bekannt gewordenen Larven sind wurmförmig, walzig oder schwach niedergedrückt, durchaus mit festem und glänzendem Chitinpanzer umschlossen und sechsbeinig. Sie haben auf den ersten Blick große Aehnlichkeit mit dem allbekannten »Mehlwurme«, also mit der Larve des später zu besprechenden Mehlkäfers (Tenebrio molitor). Wer beide neben einander sieht, bemerkt aber sofort einen wesentlichen Unterschied zwischen der Bildung und Stellung des Kopfes. Die Schnellkäferlarven tragen den flachgedrückten, auf dem Scheitel ausgehöhlten Kopf gerade vorgestreckt. Auf seiner Unterseite zeichnet sich derselbe durch drei gestreckt viereckige Streifen aus, welche in einem tiefen, bogenförmigen Ausschnitte des Schädels nebeneinander liegen; die beiden äußeren, nach vorn sich verbreiternden stellen den Stamm der Kinnladen, der mittelste das Kinn dar. Durch die Bildung des letzten Leibesgliedes scheinen hauptsächlich die Artunterschiede bedingt zu sein. Diese Larven laufen gewandt und leben versteckt in der Erde oder im mulmigen Holze, oder bohrend in verschiedenen abgestorbenen, aber auch lebenden Pflanzentheilen, von welchen sie sich ernähren, wie beispielsweise von Hutpilzen, saftigen Wurzeln und Knollen, so daß einige unseren Kulturpflanzen nicht unerheblichen Schaden zufügen. Auch verschmähen sie thierisches Fleisch nicht und fressen sich unter einander auf, wenn sie eng beisammen sind und Mangel an anderer Nahrung leiden, oder bohren sich dann und wann in andere Insektenlarven ein. Am letzten Aufenthaltsorte erfolgt ebenso versteckt, wie die Larve lebte, die Verwandlung in eine schlanke, ungemein bewegliche Puppe, welche in einer Erweiterung der umgebenden Erde oder des faulen Holzes ohne Zweifel nur kurze Zeit ruht.

In den Sammlungen finden sich gegen dreitausend Arten, von denen manche weder beschrieben noch benannt sind. Sie breiten sich über alle Erdtheile aus, sind in den warmen und heißen Gegenden zahlreicher und zum Theil wesentlich größer und prächtiger als in den gemäßigten, in ihrer Gesammtheit jedoch nur von mittlerer Größe und eintönig in ihrer Färbung, so daß zwischen ausländischen und heimischen Arten durchaus der Gegensatz schwindet, welchen wir in dieser Beziehung bei den Prachtkäfern kennen gelernt haben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 99-100.
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