[120] Der seltsame Fächerträger (Metoecus paradoxus), eines der größten Familienglieder (7,6 bis 10 Millimeter), ist schwarz, an den stumpfkantigen Seiten des Halsschildes sowie am kielartig zugeschärften Bauche gelbroth, das Männchen überdies an den Flügeldecken ganz oder nur theilweise gelb; seine Fühlerglieder tragen vom vierten an je zwei lange Fahnenanhänge, während an denen des Weibchens nur ein Zahn steht. Das seitwärts geradlinige und mehr in die Länge gezogene Halsschild springt an den Hinterecken zahnartig, in der Mitte des Hinterrandes[120] dreizipfelig vor und wird in der Mitte seiner Scheibe von einer Längsgrube durchfurcht. Jede Flügeldecke erreicht das Hinterleibsende, nimmt aber durch scharfe Zuspitzung Keilform an, so daß im weiteren Verlaufe sich die Nähte beider nicht berühren, sondern klaffen, eine bei Käfern nur selten vorkommende Bildung. An den langen und dünnen Beinen übertreffen die Hinterfüße ihre Schienen und ihre Schenkel an Länge.
Unser Käfer wird in den Erdlöcher ausfüllenden Nestern der gemeinen Wespe geboren, unter Verhältnissen, welche längere Zeit einen Gegenstand des Streites gebildet haben. Andrew Murray behauptete 1869, daß die Larve gleich der Larve der Wespe eine Zelle bewohne und wie letztere von den Arbeiterinnen des Wespenstaates mit demselben Futter ernährt werde, wie jeder rechtmäßige Zellenbewohner. Dieser Ansicht widersprach in derselben Zeitschrift (Ann. and Mag. Nat. Hist. Ser. IV.) und in demselben Jahre Smith, indem er sich auf Stone's Beobachtungen stützte. Nach denselben wird die Larve des Fächerträgers für einen echten Schmarotzer erklärt. Das Weibchen legt sein Ei in eine Wespenzelle, und sobald die in dieser rechtmäßig wohnende Wespenlarve ihre volle Größe erlangt und die Zelle bereits zugesponnen hat, um ihrer weiteren Verwandelung entgegenzugehen, bohrt sich die mittleweile dem Metoecus-Eie entschlüpfte Larve in dieselbe ein und zehrt sie binnen achtundvierzig Stunden, mit Ausschluß der Haut und der Kieferntheile vollständig auf.
Das folgende Jahr ward der Streit fortgesetzt. Murray brachte neue, theils auf unhaltbaren, theils auf unvollständigen Beobachtungen fußende Ansichten vor, während Chapmann die Partei des Gegners verstärkte und die bis dahin vollständigsten Mittheilungen über die Lebensweise des seltsamen Fächerträgers veröffentlichte. Ihnen zufolge legt das Weibchen des Metoecus paradoxus seine Eier wahrscheinlich nicht in die Wespennester, sondern außerhalb derselben.
Die dem Eie entschlüpfte Larve ist einer der Spanischen Fliege, welche wir bald näher kennen lernen werden, nicht unähnlich, mißt 5 Millimeter, trägt am Raupenkopfe dreigliederige, weit von einander entfernte Fühler und einfache Augen, an den drei vordersten Körperringen ein Paar gegliederter Beine, deren drei Fußglieder blattartig erweitert und am Ende mit zwei bis drei Klauen und einer Haftscheibe nach Art eines Fliegenrüssels versehen sind. Jeder Leibesring führt eine rückwärts gekrümmte Seitenborste und der letzte eine doppelte, ähnlich denen der Füße gebildete Haftscheibe. Wahrscheinlich begibt sich diese junge Larve selbständig in die Zelle zu einer Wespenlarve und bohrt sich in dieselbe zwischen dem zweiten und dritten Ringe am Rücken ein, bevor jene ihre Zelle gedeckelt hat. Man sieht die eingebohrte Larve später zwischen dem dritten und vierten Ringe der Wespen larve durchschimmern. Der Schmarotzer saugt nun an seinem Wohnthiere, wie andere Schmarotzerlarven an dem ihrigen, ohne dessen wesentliche Organe zu verletzen. Sein Leib schwillt an und dehnt die Zwischenhäute zwischen den Chitinringen der Körperbedeckung merklich aus. Hierauf durchbricht die Schmarotzerlarve die Haut ihres Wirtes abermals, jetzt also von innen nach außen am vierten Ringe, und häutet sich gleichzeitig, um die Gestalt einer »Made« anzunehmen. In dieser Gestalt saugt sie sich äußerlich an den vierten Ring der Wespenlarve fest und liegt an deren etwas gehöhlten Bauchseite. Diese Larvenform wurde von Murray aufgefunden und beschrieben. – Hat nun die Metoecus-Larve 6 Millimeter Länge erreicht, so häutet sie sich abermals, indem sich ihre Haut auf dem Rücken spaltet und der leere Balg zwischen ihr und dem Wirte hängen bleibt. Sie saugt jetzt letzteren vollständig aus und verpuppt sich in der Zelle. Der Käfer erscheint zwei Tage später als die den benachbarten Zellen [121] entschlüpfenden Wespen, und die vollständige Verwandlung nimmt zwölf bis vierzehn Tage in Anspruch. Der Käfer findet sich Ende August, Anfang September vereinzelt auf Blumen; in dem Staube einer Waldstraße erbeutete mein Sohn 1874 ein Weibchen. Zufolge dieser Erfahrung und weil die Wespen im nächsten Jahre neue Nester bauen, so ist Murray's Ansicht, daß von den Weibchen die Zellen nicht verlassen und mit Eiern beschenkt würden, unhaltbar.
Den interessanten und in den Sammlungen verhältnismäßig seltenen Käfer im Freien zu erbeuten, hängt sehr von einem zufälligen Glücksumstande ab, und man hat daher auf Mittel gesonnen, sich auf einem sicheren Wege in dessen Besitz zu bringen. Neuerdings hat de Borck ein Verfahren angegeben, welches in wespenreichen Jahren zu dem erwünschten Ziele führt. Wenn nämlich die Wespen gegen Abend ihr Nest wieder aufgesucht haben, verstopft man das Flugloch durch einen mit möglichst stinkendem Erdöle (Solaröl, Benzin, auch Terpentinöl) getränkten Wattenpfropfe, schiebt ihn durch einen zweiten trockenen Propfen tiefer hinein und bedeckt die Stelle mit lockerer Erde. Am anderen Morgen fängt man die etwa später noch angekommenen und ausgesperrten Bewohner des Nestes weg, um vor ihren Stichen gesichert zu sein. Jetzt öffnet man vorsichtig das den Abend vorher geschlossene Flugloch oder stößt neben demselben ein neues, um sich von den betäubenden Wirkungen des Steinöls zu überzeugen. Kommen keine lebenden Wespen zum Vorscheine, so hebt man das Nest mit einem Spaten aus, indem man ungefähr 40 Centimeter im Umkreise die Erde entfernt. Derbe Handschuhe gegen die Angriffe möglicherweise noch lebender Wespen sind rathsam. Nachher nimmt man die Waben mit Larven einzeln vor und findet so die Metoecus, wenn solche – – vorhanden waren.