Fünfte Ordnung: Die Netz- oder Gitterflügler [489] (Neuroptera)

Linné vereinigte bei Begründung dieser Ordnung alle diejenigen Kerfe, deren Flügel der Benennung gemäß von einem mehr oder weniger vollständig gegitterten Adernetze durchzogen werden und deren Körperbeschaffenheit in den wesentlichen übrigen Punkten, besonders in der Bildung der Mundtheile und dem loseren Zusammenhange des vordersten mit den beiden folgenden Brustringen übereinstimmt. Infolge davon wurden Kerfe mit außerordentlich zierlichem Maschennetze, wie die Wasserjungfern und einige Verwandte, deren Verwandlung die drei Hauptstufen einer vollkommenen nicht erkennen läßt, zu anderen gestellt, bei welchen dies der Fall ist. Man fühlte diesen Uebelstand und erklärte die ganze Ordnung wegen der Verschiedenartigkeit ihrer Bestandtheile für eine Uebergangsgruppe. Doch lassen sich, besonders auch im Einklange mit dem inneren Baue, die Netzflügler mit unvollkommener Verwandlung ausscheiden und zu der folgenden Ordnung ziehen, wie dies hier nach Erichsons Vorgange geschehen und wodurch der Vortheil erlangt worden ist, daß nun diese wie die folgende Ordnung eine schärfere Unterscheidung zuläßt, als bisher unter vorwaltender Berücksichtigung der Flügelbildung möglich war. Ohne den alten Namen aufzugeben werden hier also mit der angegebenen Beschränkung unter den Netzflüglern alle diejenigen Insekten begriffen, welche eine vollkommene Verwandlung bestehen, beißende, größtentheils jedoch schwach entwickelte Mundtheile, eine freie Vorderbrust und gleichartige, häutige Vorder- und Hinterflügel haben.

Abgesehen von der nicht eben sehr in die Augen fallenden freien Vorderbrust stimmen die Merkmale dem Wortlaute nach mit denen der Hautflügler überein, und doch wird man nicht leicht die Glieder beider Ordnungen mit einander verwechseln können. Die Gitterflügler, sämmtlich lang gestreckte Kerfe, sind zarter, weicher Natur, und keine einzige Art wird von so fester Chitinmasse bedeckt, wie die Hautflügler bis zu der kleinsten Art hinab. Hiermit im Zusammenhange steht auch die Entwickelung der Mundtheile, welche ihrem Baue nach mit Recht zu den beißenden zählen, häufig aber ihrer Weichheit wegen nicht zum Beißen gebraucht werden können. Weiter lassen die mit bedeutend zahlreicheren Zellen versehenen, meist viel gestreckteren, unter sich fast gleichen Flügel, sowie die Bildung des Mittelleibes unmöglich eine Verwechselung zwischen den Gliedern beider in Rede stehender Ordnungen zu. Eher könnte es dem Unkundigen begegnen, gewisse Gitterflügler, deren Flügel durch bunte Haare gemustert erscheinen, für Kleinfalter zu halten. Mögen auch bei beiden die Mundtheile verkümmern, so gehört doch wenig Scharfblick dazu, den wesentlichen Unterschied dieser und überdies noch die Verschiedenheiten in der Gestaltung des Brustkastens zu erkennen, und jeden Zweifel zu beseitigen, ob man ein Neuropteron oder ein Mikrolepidopteron [489] vor sich habe. Die vollkommenen Insekten dieser von der folgenden Ordnung allemal mit Sicherheit zu unterscheiden, kann mit Schwierigkeiten verbunden sein, weil eben das Hauptmerkmal beider in der Verwandlung besteht, die man dem vollendeten Kerbthiere leider nicht ansieht. Wenn man sich aber merkt, daß die Wasserjungfern und Eintagsfliegen mit ihren nicht zu verkennenden nächsten Verwandten nur eine unvollkommene Verwandlung bestehen und mithin nicht mehr dieser, sondern der folgenden Ordnung beigezählt werden, so schwindet auch diese Schwierigkeit, und der in Rede stehenden Ordnung sind die erkennbaren Grenzen gezogen. Sie ist die kleinste von allen, umfaßt durchschnittlich tausend Arten und fehlt auch in den früheren Schöpfungsperioden nicht. In den älteren Schichten treten die versteinerten Ueberreste nur sparsam auf, was bei der Zartheit des Baues dieser Kerfe nicht Wunder nehmen darf, im Bernsteine dagegen haben sie sich ziemlich zahlreich erhalten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 489-490.
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