Feldgrille (Gryllus campestris)

[559] Auf dürren Heiden, sandigen Feldern, von der Sonne beschienenen Berglehnen Europas und des vorderen Asien gräbt der schwarze Dickkopf, welchen wir auf Seite 560 abgebildet sehen, Röhren in die Erde, um sich bei nahender Gefahr hineinzuflüchten, rauhe und regnerische Tage darin zu verbringen und schließlich die Brutstätte daselbst zu begründen. Der Dichter, welcher ihn besingt, nennt ihn mit vollem Rechte die »faule Grille«, der nicht moralisirende Forscher die Feldgrille (Gryllus campestris). Die Löcher, nicht viel weiter als der Umfang des Thieres, gehen erst wagerecht in die Erde und senken sich weiterhin etwas nach unten. Sie werden vorzugsweise zu der Zeit angelegt, wo von Seiten des Männchens der Gesang beginnt, also ziemlich zeitig im Frühjahre, und nur von einem Thiere bewohnt. Dabei entstehen häufig Kämpfe; denn jede Grille benutzt gern einen vorhandenen Bau, begegnet sie darin aber einer anderen, die ihn entweder anlegte oder als verlassenen früher bezog, so weicht keiner von beiden Theilen freiwillig. [559] Man beißt sich, stößt mit den Köpfen gegen einander, und ist der Sieg auf der einen Seite so vollständig, daß der Gegner auf dem Kampfplatze bleibt, so wird seine Leiche ––aufgefressen. Das Männchen steckt gern den Kopf aus seiner Höhle heraus und stimmt sein Liedchen an; weit weg davon geht es nie, um stets hineinhuschen zu können, was mehr im Laufen als durch Springen geschieht, wenn eine Eidechse, ein insektenfressender Vogel naht, die Fußtritte eines Menschen den Boden erschüttern usw.; denn die Grillen entwickeln eine außerordentliche Vorsicht, die wohl Furchtsamkeit genannt werden kann. Bringt das Männchen dem in der Nachbarschaft wohnenden Weibchen, um es herbeizulocken, ein Ständchen, so sitzt es mit gespreizten Beinen da, drückt die Brust gegen den Boden, erhebt die Flügeldecken ein wenig und wetzt sie mit ungemeiner Hast gegen einander. Untersucht man dieselben etwas näher, so findet man, daß die zweite Querader (Schrillader) der rechten Flügeldecke auf der Unterseite vorzugsweise hervorragt und mit vielen kleinen Stegen querüber besetzt ist; dieselben werden gegen eine nahe dem Innenrande gelegene Ader der linken Decke eine Zeitlang im Herunter- und dann abwechselnd wieder im Heraufstriche gewetzt, wodurch der Ton sich verändert.


Feldgrille (Gryllus campestris), Weibchen, das Männchen aus dem Loche heraussehen. Natürliche Größe.
Feldgrille (Gryllus campestris), Weibchen, das Männchen aus dem Loche heraussehen. Natürliche Größe.

Nur wenn die Grille aufhört, legt sie die Decken zusammen, der Widerhall, welchen die dünnen Häute erzeugen, schwindet dadurch, und der letzte Laut wird viel schwächer. Es findet sich somit dieselbe Einrichtung, wie bei Laubheuschrecken, nur vertauschen die beiden Flügeldecken ihre Rolle, weil hier die rechte, dort die linke die oberste ist. Das Weibchen vernimmt die Locktöne, womit aber, weiß man noch nicht, da die Oeffnung an den Vorderschienen allen Grillen fehlt. Genug, es kommt herbei, stößt das Männchen mit seinen Fühlern an, damit dieses seine Gegenwart bemerke, dieses schweigt dann, erwidert wohl die Begrüßung, duckt sich, streckt und reckt sich, dreht den Kopf hin und her, und die Vereinigung erfolgt, indem es sich vom Weibchen besteigen läßt, ein Sitte, welche bei allen Schrecken üblich zu sein scheint. Acht Tage später beginnt das Weibchen im Grunde seiner Höhle mit dem Legen der Eier, bis dreißig auf einmal. Sein Eierstock enthält deren etwa dreihundert, und ehe diese alle entleert sind, soll es öfters mit dem Männchen zusammenkommen. Nach ungefähr vierzehn Tagen schlüpfen die Larven daraus hervor und halten sich zunächst noch zusammen, fangen aber schon an, Schlupflöcher zu graben. Nach der ersten Häutung zerstreuen sie sich mehr, ohne weitere Wanderungen von ihrer Geburtsstätte vorzunehmen, suchen auch Verstecke unter Steinen und gehen der Nahrung nach, welche aus Wurzeln besteht, so lange es die Witterung erlaubt; wird diese unfreundlich und für das meiste Geziefer unangenehm, so suchen sie schützende Plätzchen zum Ueberwintern. Sie beziehen in sehr verschiedenen Größen die Winterquartiere. In dem der Entwickelung gewiß nicht günstigen Jahre 1867 traf ich in der ersten Hälfte des Oktober an den schönen, sonnigen Tagen, welche er noch brachte, Larven mit Flügelstumpfen und kurzen Legröhren, welche also, meiner Meinung nach, vor der letzten Häutung standen. Frisch und Rösel sind der Ansicht, daß mit der vierten das Insekt vollkommen werde, neuerdings wird behauptet, die Larve häute sich zehnmal, was mir nach allen sonstigen Erfahrungen entschieden zu hoch gegriffen zu sein scheint.

Mit dem jungen Jahre erwachen auch unsere noch unreifen Grillen, eine jede denkt nun ernstlicher daran, sich ihren eigenen Herd zu gründen, was, wie bereits erwähnt, hier so viel sagen will, als eine Wohnung für sich allein zu beziehen. Keine Feldgrille überwintert im erwachsenen Zustande; nach Beendigung des Brutgeschäftes geht es mit dem Schlaraffenleben zu Ende. Sie hält sich glücklicherweise auf solchem Boden auf, mit dem der Mensch nicht viel anfangen kann, [560] sonst wäre sie wohl im Stande, durch Abfressen der Wurzeln seinen Kulturen nachtheilig zu werden. Ueber ihre Körperbeschaffenheit, welche wir vor uns haben, braucht nur bemerkt zu werden, daß die Farbe glänzend schwarz an der Unterseite der Hinterschenkel, beim Weibchen wohl auch an den zugehörigen Schienen roth und an der Wurzel der braunen Flügeldecken gelblich ist. Obgleich eine Verwechselung mit einem anderen Thiere nicht gut möglich ist, muß doch auch der Gattungscharakter festgestellt werden, welcher sich auf funfzehn europäische und zahlreiche ausländische Arten bezieht. Man erkennt sie an dem dicken, gerundeten Kopfe, dem quadratischen Vorderrücken, dem drehrunden, plumpen Körper, welcher in zwei lange, gegliederte Raife und beim Weibchen außerdem noch in eine gerade Legröhre ausläuft, an den drei Fußgliedern aller Beine, deren hinterste zum Springen befähigen, und endlich an den eigenthümlich gebildeten Hinterflügeln. Dieselben laufen nämlich am hornigen Vorderrande in eine Spitze aus und falten sich unter diesen »Gräten« zusammen, welche mehr oder weniger über die dem Rücken platt aufliegenden, gegitterten Decken hinausragen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 559-561.
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