Stubenfliege (Musca domestica)

[475] Kein Thier – das kann wohl ohne Uebertreibung behauptet werden – ist dem Menschen ohne sein Zuthun und ohne ihn selbst zu bewohnen, ein so treuer, in der Regel recht lästiger, unter Umständen unausstehlicher Begleiter, als die Stubenfliege (Musca domestica). Sie versteht es ebenso gut, sich im kalten Lappland häuslich einzurichten, wie die Annehmlichkeiten der Länder unter dem heißen Erdgürtel zu würdigen. Wir alle kennen ihre schlimmen Eigenschaften, die Zudringlichkeit, Naschhaftigkeit und die Sucht, alles und jedes zu besudeln; eine Tugend wird niemand von ihr zu rühmen wissen. Besonders gegen Ende des Sommers, wo sie die kühlen Nächte und Morgen massenhaft in die Häuser treiben, wird sie in den Zimmern am lästigsten, doch für den Nordländer und Bewohner des mittleren Europa noch nicht in dem Maße wie für den Südländer. »Ich traf«, erzählt A. Young in seiner interessanten Reise durch Frankreich, »zwischen Pradelles und Thuytz Maulbeeren und Fliegen zugleich. Unter dem Ausdrucke ›Fliegen‹ meine ich jene Myriaden, welche den unangenehmsten Umstand des südlichen Klimas ausmachen. Sie sind die vorzüglichsten Qualen in Spanien, Italien und den Olivendistrikten Frankreichs, nicht, weil sie beißen, stechen oder verletzen, sondern weil sie summen und necken. Mund, Augen, Ohren und Nase werden einem voll davon, sie schwärmen über alles Eßbare, Obst, Zucker, Milch. Jedes Ding wird von ihnen in solchen zahllosen Heeren angefallen, daß es unmöglich ist, eine Mahlzeit zu halten, wenn sie nicht von jemandem, der nichts anderes zu thun hat, unablässig vertrieben werden. Auf zubereitetem Papiere und mittels anderer Erfindungen werden sie mit solcher Leichtigkeit und in solcher [475] Menge gefangen, daß es bloße Nachlässigkeit ist, wenn sie so unglaublich überhand nehmen. Wenn ich in diesen Gegenden Landwirtschaft triebe, so würde ich vier bis fünf Morgen alljährlich mit todten Fliegen düngen.« Obgleich später im Jahre eine Zeit kommt, in welcher sie verschwunden sind, erhält sich doch die eine oder andere auch während des Winters in unseren Zimmern, noch mehr aber in den warmen Ställen, und es bedarf nur einiger schönen Tage im jungen Jahre, so lassen sie sich hier und da auch im Freien von der Frühlingssonne bescheinen. Eine ganz eigenthümliche Todesart unter ihnen fällt einmal mehr, das andere Mal weniger in die Augen: mit ausgespreizten Beinen trifft man sie an den Wänden oder draußen an beliebigen Gegenständen, der Hinterleib ist ihnen angeschwollen, die Verbindungshaut seiner Glieder tritt als leistenartiger Schimmelstreifen auf, so daß der Hinterleib braun und weiß geringelt erscheint. Beim Oeffnen findet man denselben hohl und gleichfalls schimmelig. Selbst die Stelle, an welcher sie sitzen, ist mit einem Anfluge jenes Pilzes überzogen, welcher den Leichnam festhält.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 475-476.
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