Mondfleckige Schwirrfliege (Syrphus seleniticus)

[465] In der Hauptsache grün gefärbte, die einen reiner, die anderen mehr grau getrübt, den Blutegeln an Gestalt und Bewegungen sehr ähnliche »Würmer« (Fig. b, S. 466) sieht man im Sommer auf den Blättern zwischen Blattläusen sitzen. Es sind die den zahlreichen Syrphus-Arten angehörenden Maden. Ihre Geschmeidigkeit und Gewandtheit erreicht einen hohen Grad; denn sie verstehen es, ihren Körper spitz vorzustrecken und wiederum von beiden Enden so nach der Mitte zusammenzuziehen, daß er beinahe die Gestalt eines Ovals annimmt (Fig. c), welche sie ihm zu geben pflegen, sobald man sie anfaßt. Mit Fleischwarzen am hinteren Körperende halten sie sich fest, während die größere Vorderhälfte tastend und immer dünner werdend in der Luft umhersucht. Am vorderen Ende unterscheidet man nichts weiter, als zwei Hornhäkchen und dazwischen ein dreispitziges Hornplättchen. Mit jenen hält sich die Larve fest, wenn sie den Körper lang ausgestreckt hat, um mit dem Hinterende loszulassen, es nachzuziehen und auf diese spannende Weise sich fortzubewegen; mit diesem spießt sie ihre Beute, die wehrlose Blattlaus, an, zieht den Theil dann etwas in den Körper zurück, so daß die Blattlaus sich an den dadurch entstehenden Rand legt und gleich einem Pfropfen auf der Flasche einen Verschluß bildet. Wie der Kolben einer Pumpe bewegt sich der vorderste Körpertheil, welchen wir füglich nicht als Kopf bezeichnen dürfen, vor- und rückwärts und pumpt den Saft förmlich aus. Nach einer Minute, wenn die Larve Hunger hat, ist nichts mehr übrig als der Balg, welchen sie abstößt und durch eine zweite Blattlaus ersetzt; die sehr jungen Larven heften sich gewöhnlich einer solchen auf den Rücken, um sie auszusaugen. Es macht einen höchst eigenthümlichen Eindruck, diese vollkommen unschuldig aussehenden Wütheriche unter den arg- und wehrlosen Blattläusen hausen zu sehen. Eine nach der anderen spießen sie ohne Erbarmen an und saugen sie aus mit derselben Ruhe, mit welcher die anderen fortweiden, über ihren Feind weglaufen, friedlich daneben sitzen bleiben und nicht ahnen, daß der nächste Augenblick der letzte ihres Lebens sein kann. Fürwahr, ein Bild rascher Zerstörung durch Mord unter der Maske [465] harmlosen und friedlichen Beisammenseins! Zwanzig bis dreißig Schlachtopfer zu einer Mahlzeit ist der schon erwachsenen Larve ein Spaß, und solcher Mahlzeiten hält sie viele während des Tages, besonders nur um die Mittagsstunden ausruhend. Man darf sich über diese Freßgier nicht wundern, wenn man bedenkt, daß die Larve in wenigen Wochen vom Eie an ihre volle Größe erlangt. Ist dies geschehen, so verläßt sie die Stätte ihrer Thaten und kriecht, meist zur Abendzeit, an die Rückseite eines Blattes, an die Spitze einer Kiefernadel, an einen Stengel oder Grashalm in der Nähe. Bald darauf findet man statt ihrer ein bräunlichgrünes Gehäuse von der Form eines fallenden Tropfens, einer Thräne (Fig. d-f), mit der Innenseite an den früher gewählten Gegenstand angeleimt, und man würde schwerlich geneigt sein, diesen Körper mit der Made von vorgestern in Verbindung zu bringen, wenn nicht die gemachten Erfahrungen dazu nöthigten. In diesem Tönnchen entsteht die gemeißelte Puppe. Allmählich färbt es sich dunkler, und nach kaum vierzehn Tagen hebt sich vom dickeren Ende ein kleiner Deckel ab, um dem neugeborenen Wesen den Weg ins Freie zu bahnen. Die mondfleckige Schwirrfliege (Syrphus seleniticus), welche auf diese Weise das Licht der Welt erblickt hat, ist an Kopf und Brustkasten metallisch blaugrün, am durchsichtigen Schildchen bräunlichgelb, fein behaart, die Augen nicht ausgenommen; auf dem platten, glänzend schwarzen Hinterleibe stehen drei Paare weißer Mondfleckchen – bei einer sehr ähnlichen, fast noch häufigeren Art (Syrphus pyrastri) sehen sie lichtgelb aus und haben theilweise eine etwas veränderte Lage. Die dunklen Fühler enden mit einem ovalen Gliede, welches an der Wurzel eine nackte Borste trägt. Die glashellen, glitzernden Flügel charakterisiren, wie bei allen Gattungsgenossen, eine fast gerade, dritte Längsader, eine in die vordere Hälfte der Mittelzelle mündende kleine Querader und eine offene Randzelle. Die Mittelzelle hat fast die Länge der ersten Hinterrandzelle, deren oberer Vorderwinkel stets ein spitzer ist. Im Sonnenscheine schwirren diese Fliegen ungemein lebhaft, aber fast geräuschlos und in einer Weise, welche allen Syrphiden eigenartig ist. Sie stehen nämlich längere oder kürzere Zeit auf einem Punkte in der Luft, unaufhörlich mit den herabhängenden Beinen quirlend, und lassen sich, aber nicht stoßweise, auf ein Blatt, eine Blume nieder, um flink, wie sie kamen, wieder aufzufliegen und ihr altes Spiel zu erneuern. An trüben, rauhen Tagen zeigen sie sich, wie alle Fliegen, in dem Maße faul und schwerfällig, wie vorher unermüdlich und gewandt. Das Weibchen legt seine Eier einzeln an Blätter, auf denen Blattläuse wohnen. Daß bei der schnellen Entwickelung mehrere Bruten im Jahre vorkommen, läßt sich erwarten und daher auch nicht genau feststellen, auf welcher Entwickelungsstufe die Ueberwinterung erfolgt. Halberwachsene Larven habe ich schon bei den Frühjahrsüberschwemmungen aus dem Wasser gefischt, woraus deren Ueberwinterung zweifellos hervorgeht.


Mondfleckige Schwirrfliege (Syrphus seleniticus). a Fliege, b ausgestreckte, c zusammengezogene Larve, d, e, f Puppe, letze von der Bauchseite. c, e, f vergrößert.
Mondfleckige Schwirrfliege (Syrphus seleniticus). a Fliege, b ausgestreckte, c zusammengezogene Larve, d, e, f Puppe, letze von der Bauchseite. c, e, f vergrößert.

Am 4. December 1865 fand ich ein noch sehr jungfräulichaussehendes Weibchen, welches sich in eine seichte Vertiefung einer Lehmwand gedrückt hatte; ob es den bösen Winter dort würde überlebt haben, wage ich nicht zu entscheiden, glaube eher, daß dies bei manchen Puppen der Fall ist, weil man sehr früh im Jahre oft frisch ausgekrochenen Fliegen begegnet.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 465-466.
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