Natalensische Wegwespe (Pompilus natalensis)

[276] Die Wegwespen (Pompilus), welche der ganzen Familie den Namen gegeben haben, bilden die Grundform. Die beiden, an ihren zusammenstoßenden Seiten gleich langen Schulterzellen, drei vollständig geschlossene Unterrandzellen, deren zweite den ersten, die dritte den zweiten rücklaufenden Nerv aufnimmt, zwei Mittelzellen, der Mangel einer Querfurche am zweiten Bauchringe des Weibchens und mehr runde (nicht kantige und nicht sägeartig am Außenrande bedornte) Hinterschienen desselben Geschlechtes bilden den Charakter der Gattung. Die zahlreichen Arten besitzen eine wunderbare Schnelligkeit und Gewandtheit in ihren Bewegungen, besonders auch in denen des Hinterleibes, nisten in Mauerritzen, Bohrlöchern alter Pfosten und morscher Baumstämme, oder in der Erde und tragen Spinnen, Raupen, Ameisen, Fliegen und verschiedene andere Kerfe ein; wahrscheinlich würde sich bei noch fehlenden umfangreicheren Beobachtungen herausstellen, daß jede Art in dieser Hinsicht ganz bestimmte Liebhabereien an den Tag legt. In ganz eigenthümlichem, ruckweise ausgeführtem Marsche im Neste einer Spinne locken sie diese hervor, fallen über sie her und betäuben sie mit einem Stiche, ohne sich je in jenem festzurennen. Die Spinnensammler holen diese nicht immer aus Nestern, sondern ergreifen auch die ihnen auf dem Wege begegnenden. So überlistet der Pompilus formosus eine in Texas häufige Buschspinne (Mygale Hetzii), lähmt sie und schleppt sie zum Neste, obschon ihr Körpergewicht das seinige mindestens um das dreifache übersteigt. Der bereits früher erwähnte Gueinzius übersendete mir unter anderen das Weibchen einer hübschen Wegwespe, welche ich die natalensische (Pompilus natalensis, Fig. 1) genannt habe, weil sie mit keiner der bis dahin beschriebenen Arten übereinstimmte. Sie ist sammetschwarz, an den Fühlern mit Ausschluß der Wurzel gelb, an den Beinen von der vorderen Schenkelhälfte an abwärts und an der äußersten Hinterleibsspitze schmutzig roth und hat goldgelbe Flügel mit dunkler Wurzel und dunkler Spitze der vordersten. Das Interesse an dieser stattlichen, alle heimischen an Größe übertreffenden Wegwespe (25 Millimeter) wäre weniger allgemein, wenn ihr nicht einige Bemerkungen über die Lebensweise beigefügt gewesen wären. Sie fliegt, wie berichtet wird, traulich und unschuldig in alten Häusern aus und ein, kriecht gern an den Fensterscheiben auf und ab und findet ihr Hauptvergnügen darin, zwischen dem Balkenwerke und in den mit Spinneweben überzogenen Winkeln nach Beute auszuschauen, wobei sie immer wieder genöthigt wird, die beschmutzten Fühler vom Staube mit den Vorderbeinen zu reinigen. An sandigen und staubigen, trockenen Stellen im Hause oder vor der Thüre unter der Veranda vergräbt die sorgsame Mutter die gefangenen und durch einige Stiche gelähmten Spinnen und legt ein Ei an dieselben; auch ein mit Sägespänen gefüllter Kasten ist ihr zu demselben Zwecke willkommen. Unter allen Spinnen stellt sie mit Vorliebe einer großen gelbbraunen Art mit dunkelgeringelten Beinen nach, [276] welche in alten Strohdächern lebt und bei Witterungsveränderung zuweilen des Abends langsam an der Wand herabkriecht. Einst beobachtete der Berichterstatter, wie eine sehr große weibliche Spinne dieser Art eiligen Laufes durch die offene Thüre in seine Wohnung eindrang und sich hinter einem auf dem Hausflure stehenden Kistchen versteckte. Aus der Eile des sonst so langsamen Thieres schloß er, daß es wohl auf dem Dache verfolgt worden sein müsse, sich von demselben herabgestürzt habe und hier nun Schutz suchen möchte.


1 Natalensische Wegwespe (Pompilus natalensis). 2 Pompilus trivialis. 3 Seine Larve, an einer Spinne saugend. 4 Priocnemis variegatus. 5 Agenia punctum in zwei Stücken, das eine Zellen bauend. Alles natürliche Größe.
1 Natalensische Wegwespe (Pompilus natalensis). 2 Pompilus trivialis. 3 Seine Larve, an einer Spinne saugend. 4 Priocnemis variegatus. 5 Agenia punctum in zwei Stücken, das eine Zellen bauend. Alles natürliche Größe.

Er hatte sich nicht getäuscht, denn bald darauf erschien die Wegwespe in der Thüre, wendete sich bald rechts, bald links, berührte suchend mit den Tastern den Boden, ganz in der Weise eines Spürhundes, welcher die Fährte des Wildes aufsucht. Als sie an jener Kastenecke angelangt war, hinter welcher sich die Spinne versteckt hatte, fühlte diese die nahe Gefahr, stürzte von der anderen Seite unter derselben hervor und steuerte nach der Thüre zurück. In demselben Augenblicke war sie aber eingeholt und es entspann sich ein Kampf auf Leben und Tod. Es war ein »Frösteln erregender« Anblick, wie die Spinne sich auf den Rücken warf und in verzweifelter Anstrengung mit ihren langen Beinen den Feind von sich abzuwehren suchte, wohl wissend, daß ein Stich von ihm für sie tödtlich sein würde. Plötzlich sprang sie wieder auf, suchte vorwärts zu kommen, sah sich aber sofort genöthigt, die vorige Stellung nochmals einzunehmen. Ihre Anstrengungen waren zu erschöpfend, um den furchtlosen und unablässigen Angriffen der Wespe auf die Länge der Zeit widerstehen zu können. Jetzt bleibt sie mit angezogenen Beinen wie todt liegen; in demselben Augenblicke wirft sich die Siegerin auf sie, faßt sie mit ihren Kinnbacken am Kopfbruststücke und versetzt ihr von unten her wiederholte Stiche in den Hinterleib. Außer dem Zittern des einen Tasters war bei der Spinne keine Spur von Bewegung zu bemerken, während sie die Todesstöße empfing. Große Aufregung seitens der Wespe! Mit lautem Gesumme die Leiche umkreisend, hielt sie ihren Siegestanz, betastete sie bald hier, bald da, zerrte sie an den Füßen oder an den Tastern, um sich von dem Tode derselben zu überzeugen. Als sie endlich ruhiger geworden war und eine vollständige Reinigung ihres Körpers nach jenem Entscheidungskampfe unternommen hatte, schickte sie sich an, ihre Beute in Sicherheit zu bringen. Die Spinne vorne fassend und rückwärts gehend, schleppte sie dieselbe zu der Thüre hinaus, um sie zu vergraben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 276-277.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon