Mauer-Lehmwespe (Odynerus parietum)

[239] Die Mauer-Lehmwespe (Odynerus parietum, Fig. 1) ändert in der gelben Zeichnung und der Größe (6,5 bis 13 Millimeter) mannigfach ab und hat daher von den Kerfkennern mehrere Namen erhalten. Es wäre eine sehr ausführliche Beschreibung nöthig, um sie mit Sicherheit von mancher ähnlichen Art zu unterscheiden. Der Hinterrücken hat eine Mittelfurche und fällt gegen den ersten Hinterleibsring steil ab; dieser, vorn gleichfalls steil abschüssig, wird hinten von einer gelben, seitlich weit vorgreifenden Binde besäumt, in ihrem Verlaufe gleich breite Binden zieren die übrigen Ringe, und auch am Bauche werden gelbe, in der Mitte breitere, nach der Spitze hin nur als Mittelflecke angedeutete Einfassungen sichtbar.


1 Nest und Weibchen der Mauer-Lehmwespe (Odynerus parietum). 2 Nest und Weibchen der französischen Papierwespe (Polistes gallica). 3 Gemeine Goldwespe (Chrysis ignita). Alles natürliche Größe.
1 Nest und Weibchen der Mauer-Lehmwespe (Odynerus parietum). 2 Nest und Weibchen der französischen Papierwespe (Polistes gallica). 3 Gemeine Goldwespe (Chrysis ignita). Alles natürliche Größe.

In der Regel sind die Beine von der Hinterhälfte der Schenkel an gelb, am Mittelleibe der Halskragen, je ein runder Fleck unter der Flügelwurzel, zwei solche nebeneinander auf dem Schildchen, auch wohl eine Linie dahinter, und ein Theil der Flügelschüppchen, am Kopfe das Schild ringsum, ein Fleckchen auf jeder Kinnbacke, eins zwischen den Fühlern, deren Schaft unterwärts und bisweilen noch je ein Fleckchen hinter dem oberen, äußeren Augenrande. Die gelben Zeichnungen an Kopf und Brustkasten bedingen besonders die vorkommenden Abarten. Beim Männchen biegen sich die beiden letzten Fühlerglieder hakig nach hinten, das Kopfschild ist durchaus gelb, aber der Fleck unter den Flügeln fehlt.

Die Mauer-Lehmwespe erscheint in den letzten Tagen des Mai, und man kann das Weibchen den ganzen darauf folgenden Monat mit der Fürsorge für die Nachkommen beschäftigt sehen. Sein Nest legt es in einer alten Lehmmauer oder in der Wand einer Lehmgrube an. Es arbeitet nach und nach mit seinen Kinnbacken ein Loch von etwa zehn Centimeter Tiefe und einem Umfange, welcher denjenigen seines Körpers wenig übertrifft; dabei wird der fortzuschaffende Lehm fleißig mit Speichel und gewiß auch durch reichliches, zu diesem Zwecke eingenommenes Wasser benetzt und erweicht. Diese gelockerten Klümpchen finden weitere Verwendung. Die Wespe legt damit vor dem Eingange ihrer Wohnung ein Rohr an, welches in dem Maße wächst, als das Loch größer wird. Es geht [239] anfangs in senkrechter Richtung von der Mauer ab, biegt sich aber allmählich nach unten. Die einzelnen Lehmsteinchen, welche mit Hülfe des Mundes und der Vorderbeine ringsum angesetzt werden, läßt der Bau noch erkennen. Nicht aller Lehm, welcher aus der Mauer geschafft werden muß, um dem Neste seine gehörige Tiefe zu geben, wird äußerlich an die Gallerie angesetzt; denn man kann öfters beobachten, wie die Wespe ihren Kopf aus der Mündung dieser hervorsteckt und ein Klümpchen aus ihrem Munde herabfallen läßt. Man hat verschiedene Gründe aufgesucht, welche wohl das Thier zu solch einem Vorbaue bestimmen könnten, und gemeint, er solle Schutz gewähren vor feindlichen Angriffen, die brennende Hitze der Sonnenstrahlen abhalten, oder welche wunderliche Ansichten noch zu Tage gefördert worden sind. Ohne meine Ansicht durch direkte Beobachtung beweisen zu können, meine ich, daß die Wespe das Baumaterial in der Nähe haben will, wenn sie später das Nest zu verschließen hat. Ist die Wohnung fertig, so beginnt das Eintragen der Nahrung. Die sorgsame Mutter bringt, sie mit den vorderen Beinen an ihre Brust drückend, im Fluge Larven angetragen, welche irgend einem Blattkäfer, gewiß auch noch anderen Kerfen, wie kleinen Schmetterlingen, angehören. Ist sie angelangt, so faßt sie die Beute am Kopfe, zieht sie, darauf reitend, bis nach dem hintersten Raume des Nestes und drückt sie an die Wand an; die nicht getödtete, sondern durch den Stich nur gelähmte und willenlose Larve nimmt eine ihrer Körperform entsprechende ringartige Lage in der engen Röhre ein. Eine zweite, dritte, bis acht und noch mehr, welche sämmtlich regelmäßig nebeneinander geschichtet wer den, folgen nach und erfüllen den Brutraum ungefähr in der Weise, welche das bloßgelegte Nest unserer Abbildung erkennen läßt. Wenn der ausreichende Vorrath zusammen ist, wird ein Ei dazugelegt und die Oeffnung mit Lehm verschlossen.

Um ein zweites Ei absetzen zu können, muß die Baukunst von neuem in Anwendung kommen. Daß die Arbeit bei günstiger Witterung indeß schnell von statten gehen müsse, folgt aus einer Beobachtung Réaumurs, welcher in Zeit von einer Stunde eine Wespe bis zu ihrer Körperlänge in die Mauer vordringen sah. Indeß gilt hier die schon früher geäußerte Bemerkung wieder, daß schon vorhandene, alte Baue benutzt werden; auch glaubt man, daß die der Schnauzenbienen zur Verwendung kämen. Nach wenigen Tagen schlüpft die Made aus, läßt eine Larve nach der anderen bis auf ihre Haut verschwinden und ist nach höchstens drei Wochen erwachsen. Hierauf spinnt sie ein schmutzig braunes, ziemlich festes Gehäuse, welches auf dem Boden ihres Lagers festgeklebt ist, und wartet hier das Frühjahr ab. Wenige Wochen vor dem Erscheinen der Wespe wird sie zur Puppe, und jene durchbricht den Verschluß ihrer Zelle leicht, um an das Tageslicht zu gelangen. Wesmael erzählt ein artiges Geschichtchen, welches Zeugnis von gewissem Nachdenken des Thieres ablegt. Eine Wespe fand ein von einer Blattwicklerraupe zusammengerolltes Blatt auf, untersuchte die beiden offenen Enden mit den Fühlern, lief dann in die Mitte, zwickte die Rolle mit ihren Zähnen, eilte sodann wieder nach beiden Enden, untersuchte sie und wiederholte das Zwicken und Nachsehen, bis endlich das gestörte Räupchen an der Oeffnung seiner Wohnung erschien; hier ward es sofort erfaßt und fortgeschleppt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 239-240.
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