Gemeiner Holzbock (Ixodes ricinus)

[684] Der gemeine Holzbock, die gemeine Hundszecke (Ixodes ricinus), auf welche sich die vorangegangenen Beobachtungen beziehen, ward schon von Aristoteles unter dem Namen »Kroton«, von Plinius als »Ricinus« erkannt; letzterer führt gleichzeitig an, wie diese Bezeichnung, zunächst für den ölreichen Samen des Wunderbaumes aus Egypten geltend, auf dieses verhaßte Thier übertragen worden sei.


Gemeiner Holzbock (Ixodes ricinus). a Jugendzustand mit sechs Beinen, b Jugendzustand mit acht Beinen und mäßig mit Blut erfüllt, c erwachsenes Männchen, d erwachsenes, nüchternes Weibchen, e von der Bauchseite vollgesogen, f dasselbe von der Rückenseite. (Alle Figuren in zweimaliger Vergrößerung.)
Gemeiner Holzbock (Ixodes ricinus). a Jugendzustand mit sechs Beinen, b Jugendzustand mit acht Beinen und mäßig mit Blut erfüllt, c erwachsenes Männchen, d erwachsenes, nüchternes Weibchen, e von der Bauchseite vollgesogen, f dasselbe von der Rückenseite. (Alle Figuren in zweimaliger Vergrößerung.)

Wenn Plutarch in feiner Weise mit dem Ricinus die Schmeichler vergleichen konnte, die sich mit Lob in das Ohr drängen und nicht wieder auszutreiben sind, wenn sie sich einmal dort festgesetzt haben, so läßt sich wohl annehmen, daß seinen Zeitgenossen jenes Thier sammt seinen Gewohnheiten nicht fremd gewesen sein kann. Nachdem Degeer den Namen Ricinus an eine Lausgattung vergeben hatte und Acarus die Milben überhaupt bezeichnete, nannte man die in Rede stehende Art Acarus ricinus, bis Latreille, in die Nothwendigkeit versetzt, mehrere Milbengattungen zu unterscheiden, sie Ixodes ricinus nannte. Ixodes bedeutet aber so viel wie: »kleberig«, »anhaftend«. Die Hundszecke läßt sich nicht mit wenigen Worten kenntlich beschreiben; denn Pagenstecher nimmt in seiner trefflichen Arbeit über dieselbe (»Beiträge zur Anatomie der Milben II.«) drei Entwickelungsstufen mit sieben verschiedenen Formen an und hält es für mehr als wahrscheinlich, daß darunter solche begriffen seien, welche von früheren Schriftstellern als vermeintliche andere Arten mit verschiedenen Namen belegt worden sind. Im ersten Jugendzustande (Fig. a) zeigt die Zecke nur sechs Beine, keine Geschlechtsunterschiede und keine Platte mit dem Luftloche, ja bei genauer anatomischer Untersuchung stellte sich sogar der Mangel aller Athmungswerkzeuge heraus, ein Umstand, in welchem alle übrigen Arten der von Pagenstecher untersuchten Milben, so lange sie nur erst sechs Beine haben, übereinstimmend befunden wurden. Der ursprünglich platte Körper schwillt eiförmig an und bekommt dann ein wesentlich anderes Aussehen, wenn der Magen mit Blut erfüllt ist. Pagenstecher beobachtete diese unvollkommenste Form am Gartenschläfer (Myoxus quercinus), am gemeinen Eichhorne und Maulwurfe, jedoch nur in sehr vereinzelten Stücken. Er sucht die Seltenheit damit zu erklären, daß er überhaupt weniger Rückgratthiere auf diese Schmarotzer, als frei umherschwärmende Zecken untersucht habe, und daß diese, falls sie auf der ersten Stufe frei schwärmen, mehr am Boden umherkriechen möchten, als am Grase und somit für das Streifnetz unerreichbar seien. Auf der zweiten Altersstufe (Fig. b), welcher eine, aber noch nicht beobachtete Häutung vorausgeht, finden sich die Luftlöcher mit ihren Platten und bereits acht Beine. Durch die genauen Messungen der Längen aller Beine und durch andere Betrachtungen hält sich Pagenstecher zu der Annahme berechtigt, daß bei der Häutung das letzte Paar der Beine hinzutritt und sich nicht das in der Reihe zweite einschiebe, wie man bisher angenommen hat. Auch auf dieser Entwickelungsstufe fehlen noch äußerlich und innerlich die Geschlechtswerkzeuge, weshalb es gekommen sein mag, daß man die Männchen für viel seltener als die Weibchen gehalten hat. Das Betragen der achtbeinigen, geschlechtlich noch unreifen Zecken stimmt mit dem der reifen vollkommen überein: sie kriechen bedächtig und träge an Gras und [684] Gebüsch der Wälder umher und haken sich sogleich an jedem in ihre Nähe kommenden Gegenstande fest; freilich hat es seine Schwierigkeiten, sie bei ihrer Kleinheit im Freien mit den Augen wahrzunehmen. In der einen Gegend halten sie sich mit Vorliebe auf, während man sie in einer anderen gar nicht findet. Ich entsinne mich sehr wohl aus meiner Jugendzeit, daß besonders ein Gehölz bei Naumburg an der Saale ihretwegen verrufen war, wie der Steiger bei Erfurt, weil man nicht leicht einen Spaziergang durch dasselbe unternehmen konnte, ohne nicht wenigstens einen Holzbock aufgelesen zu haben. Einst empfand ich in der linken Achselhöhle einen heftigen, vorübergehenden Schmerz, welchen ich am besten mit einem sogenannten rheumatischen Stiche vergleichen möchte. Da ich aber an der genannten Stelle noch nie von einem solchen heimgesucht worden war, wurde ich nachdenklich und suchte nach einem anderen Grunde. Der eben eingedrungene Holzbock war bald entdeckt, ob er sich aber auf der in Rede stehenden Altersstufe oder auf der letzten befunden hat, muß ich dahingestellt sein lassen. Beiläufig sei bemerkt, daß man durch Betupfen mit ein wenig Oel am einfachsten und schnellsten das Thier zum Loslassen bringt, und daß es durch Benzin fast augenblicklich stirbt. Hier, in der Gegend von Halle, durchstreife ich seit manchem Jahre die immer mehr schwindenden Gebüsche und Wälder, ohne je einen Holzbock am eigenen Körper mit nach Hause gebracht zu haben, wenn auch dann und wann in dem zum Einsammeln gewisser Insekten bestimmten Fläschchen mit Weingeist. Nach Pagenstechers Beobachtungen finden sie sich während des Sommers in den Waldungen der Heidelberger Umgebung besonders an solchen Stellen, wo auch Säugethiere und Vögel, vornehmlich Eichhörnchen und Häher, zahlreicher vorkommen, oder wo Fuchsbauten liegen, ferner an mit Gras bewachsenen Bahnen, wie sie von den Thieren des Waldes gern für ihre Wege benutzt werden. Von Ende September an werden die unreifen Zecken sehr einzeln und anfangs Oktober auch reife beiderlei Geschlechts nur sparsam im Freien angetroffen. Auch vollgesogene Thiere zweiter Altersstufe und natürlich wieder von anderem Ansehen, welches nicht nur nach der Menge des aufgenommenen Blutes und dem Stande des Verdauungsprocesses, sondern selbst nach dem Wohnthiere abändert, findet man nicht selten, den Leib schwerfällig nachziehend, frei umherkriechend, häufiger jedoch festgesogen an Menschen und allerlei Säugethieren, besonders Hunden und Eichhörnchen, bei welch letzteren sie die Ränder der Augenlieder und die Lippen am liebsten zum Ansaugen zu wählen scheinen. Die letzte Häutung, der Uebergang zur Geschlechtsreife, erfolgt während der Nacht und konnte daher von Pagenstecher trotz aller Bemühungen nicht beobachtet werden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 684-685.
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