Sippe: Zecken (Ixodidae)

[682] Die Zecken oder Holzböcke (Ixodidae) weichen in mehr als einer Beziehung so von den übrigen Milben ab, daß einzelne Forscher hinreichenden Grund darin fanden, sie zu einer besonderen Ordnung der Spinnenthiere zu erheben. Ihr flacher, mehr oder weniger eiförmiger Körper, obgleich mit horniger oder lederartiger Haut bekleidet, besitzt einen so hohen Grad von Dehnbarkeit, daß er bei Zecken von 2,25 Millimeter Länge bis zur Größe einer kleinen Bohne anschwellen kann, wenn sie sich mit dem Blute eines Wohnthieres gemästet haben. In den meisten Fällen erscheint die Chitinbedeckung als ein Schild, welches nach hinten gerundet, übrigens bei den verschiedenen Arten in verschiedenen Umrissen den vordersten Theil des Rückens deckt, sich wohl auch vorn etwas ausbuchtet, um den sehr entwickelten Rüssel aufzunehmen. Dieser steht in der Ruhelage nach vorn vor und erscheint wie ein abgesonderter Kopf, kann aber schon darum nur fälschlich als solcher bezeichnet werden, weil die beiden Augen, falls sie vorhanden sind, an einer seitlichen Ausbuchtung jenes Hornschildes (unpassend auch Kopfschild genannt) mehr oder weniger deutlich wahrgenommen werden. In anderen Fällen bedeckt das Hornschild fast den ganzen Körperrücken, rundet sich aber auch hier nach hinten ab. Um den zusammengesetzten Bau der Mundtheile und für denjenigen, welchen ein Holzbock schon einmal gezwickt hat, die Möglichkeit des schmerzhaften Stiches zu veranschaulichen, wurden hier die des gemeinen Holzbockes (Ixodes ricinus) in funfzigmaliger Vergrößerung, und zwar von der Unterseite abgebildet. In a erblickt man ein Stück Hüfte der vordersten Beine sowie in b das zwischen diesen letzteren und dem sogenannten Kopfe von unten sichtbare Streifchen des vorn ausgebuchteten Chitinschildes. Die beweglich eingelenkte Chitinplatte (c) stellt, wenn man sie richtig deuten will, das Kinn dar, welchem sich die übrigen Mundtheile beweglich anheften: die beiden, in der Ruhelage angedrückten, in der Thätigkeit aber unter einem rechten Winkel abgelenkten Taster, die aus vier Gliedern (d, e, f, g) bestehen und von denen das letzte (g) dem vorletzten wie ein Deckelchen aufliegt, ferner die an der Unterseite ihrer Spitze mit Zähnchen bewehrte, auf der Oberseite rinnenförmig ausgehöhlte Unterlippe [682] (h). Von den Kieferfühlern (Kinnbacken) ist hier nur die hervorragende, gezähnte Spitze (i) sichtbar, indem sie, jede aus zwei Gliedern bestehend, neben einander nicht nur die Rinne der Unterlippe ausfüllen, sondern noch tief in den Körper hineinragen und vor- und rückwärts geschoben werden können. Will nun die Zecke einbeißen, so klammert sie sich mit den Beinen an die Haut des Wohnthieres fest, biegt den Rüssel senkrecht herab, stemmt ihn an die anzubohrende Stelle und schiebt die Hakenspitzen der Kieferfühler in das Fleisch ein, indem sie dadurch der nachfolgenden Unterlippe den Weg bahnt; jene dringen immer weiter ein, diese folgt nach und die nach hinten gerichteten Zähne an beiden verhindern das Zurückweichen aus der entstandenen Wunde.


Mundtheile des gemeinen Holzbockes (Ixodes ricinus) von der Unterseite und funfzigfach vergrößert. a Hüftstück der Vorderbeine, b Chitinschildspitze, c Kinn, d, e, f, g, Kiefertasterglieder, h Vordertheil der Unterlippe, i Spitze der Kinnbacken.
Mundtheile des gemeinen Holzbockes (Ixodes ricinus) von der Unterseite und funfzigfach vergrößert. a Hüftstück der Vorderbeine, b Chitinschildspitze, c Kinn, d, e, f, g, Kiefertasterglieder, h Vordertheil der Unterlippe, i Spitze der Kinnbacken.

Ist auf diese Weise der Rüssel bis an seine Wurzel eingedrungen, so schlagen sich die Haken der Kieferfühler ankerartig nach rechts und links um, die Kiefertaster legen sich beiderseits der Wunde fest dem Fleische an, und die Zecke, welche jetzt nicht mehr gewaltsam herausgezogen werden kann, ohne daß der Rüssel zurückbleibt, hat die ihr zum Saugen genehme Stellung eingenommen. Das Saugwerkzeug selbst besteht aus einer feinen Chitinhaut, welche sich vom Rüssel sowie von den Seiten und dem überragendem Rande der Mundhöhle her in diese glockenförmig einstülpt. Die gleichgestalteten Beine sind schlank und am Ende außer den beiden scharfen Krallen mit einer Haftscheibe versehen, welche der Zecke das Hängenbleiben an dem einmal, und zwar nur mit einem Fuße erfaßten Gegenstande ermöglicht. Die beiden einzigen Luftlöcher befinden sich in einem Chitinplättchen, welches jederseits hinter dem Hinterbeine am Körperrande leicht in die Augen fällt, während die Geschlechtsöffnung als Querspalte mitten auf der Brust zu suchen ist. Die jungen Zecken haben nur sechs Beine und schweifen, wie auch die weiter entwickelten achtbeinigen, an Gräsern und Gesträuch umher, bis sie ein Wohnthier aufgefunden haben, an welchem wenigstens die Weibchen Blut saugen; hier weiß auch das immer kleinere Männchen ein Weibchen zu finden, um sich mit demselben zu paaren. Dieser Hergang bietet ein hohes Interesse und wurde bis auf die neueste Zeit nicht richtig aufgefaßt. Das Männchen besteigt den Bauch des Weibchens, kehrt sich mit seinem Kopfende nachdem Hinterende von diesem, breitet seine Beine platt aus, hält sich mit den Krallen und Haftlappen an den weiblichen Hüften fest und schiebt seinen Rüssel in die weibliche Scheide. Hier hält es sich genau in derselben Weise fest, wie ein blutsaugendes Weibchen im Fleische des Wohnthieres oder Menschen, und man nahm an, daß bei dieser Art der Verbindung, welche schon Degeer kannte, die männlichen Geschlechtstheile ihren Ausgang in den Rüssel nehmen müßten. Dem ist aber nicht so. Pagenstecher hat vielmehr anatomisch nachgewiesen, daß die inneren Geschlechtstheile bei Männchen und Weibchen demselben Bildungsgesetze folgen, und daß auch bei jenem der allerdings engere und undeutlichere Ausgang an der Brust liegt. Es ist also nicht anders denkbar, als daß durch die Anheftung des Männchens seine Geschlechtsöffnung der weiblichen Scheide nahe genug gebracht wird, um die Samenflüssigkeit in diese eintreten lassen zu können. Der Prediger Müller in Odenbach, welchem wir zahlreiche, ebenso interessante, wie zuverlässige, auf Kerfe bezügliche Beobachtungen verdanken, hatte seiner Zeit auch diesem Gegenstande seine Aufmerksamkeit zugewendet und berichtet unter anderem eine Erfahrung höchst eigenthümlicher Art. Er beabsichtigte ein gepaartes Männchen von dem Weibchen zu trennen, um es mit einem zweiten zusammenzubringen, da ihm aber die Trennung nicht gelang, versuchte er [683] das Weibchen zu tödten, in der Meinung, das Männchen würde dann freiwillig loslassen. Er stach zu diesem Zwecke das Weibchen mit einem spitzen Federmesser in den vermeintlichen Kopf, ohne dabei dem Männchen irgend wie zu nahe zu kommen. Sofort fing dieses an zu zittern, die Beine zu krümmen und starb, mit dem Weibchen fest vereinigt, nach wenigen Minuten unter krampfhaften Zuckungen, während das verwundete Weibchen erst nach einigen Tagen zu leben aufhörte. Später sah er ein Männchen sich mit drei Weibchen nach einander vereinigen und auf dem letzten fünf Tage und Nächte verweilen. Aus der angeschwollenen Scheide des befruchteten Weibchens dringen die Eier in Menge hervor, kleben zusammen und hüllen es theilweise ein.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 682-684.
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