Blutsauger (Calotes versicolor)

[205] Als die bekannteste Art der Sippe darf der Blutsauger der Singalesen (Calotes versicolor, Agama versicolor, vultuosa und Tiedemanni, Calotes viridis und Rouxi) gelten. Seine Länge beträgt vierzig Centimeter, wovon der Schwanz drei Viertheile wegnimmt. Das Thier ist ausgezeichnet durch zwei von einander getrennte Stachelgruppen über jedem Gehörgange und einen mäßig erhöhten Kamm auf dem Halse sowie dem vorderen Theile des Rückens, welcher bei alten Stücken bis gegen den Schwanz hin verlaufen kann, von der Mitte des Rückens an jedoch gleichmäßig abnimmt, weit mehr aber noch durch seinen ebenso umfassenden wie jähen Farbenwechsel. Bei vielen Stücken herrscht ein gleichmäßiges bräunliches oder grauliches Olivenfarb oder Gelb vor, und breite braune Ränder über den Rücken, welche in der Mitte durch ein gelbes Querband durchbrochen werden, schwarze strahlenförmig vom Auge aus verlaufende Striche und grauliche, lange Streifen, welche von einer Mittellinie über den Bauch sich ziehen, bilden die Zeichnung. Allein der Blutsauger ist im Stande, die verschiedensten und unter Umständen prachtvollsten Farben anzunehmen. Zuweilen erscheint das ganze Thier schimmernd roth, schwarz gefleckt; in einzelnen Fällen beschränkt sich der Farbenwechsel auf den Kopf, in anderen erstreckt er sich über den ganzen Leib und Schwanz. Wenn der Blutsauger auf einer Hecke oder einem Busche sitzt und sich der Sonnenstrahlen erfreut, bemerkt man sehr häufig folgende Farben an ihm: Kopf und Hals sind gelb mit Roth durchschossen, Rücken, Seiten und Bauch roth, die Glieder und der Schwanz schwarz. Jerdon und Blyth glauben, daß diese glänzenden Wechselfarben dem Männchen allein und auch ihm nur während der Paarungszeit, welche in die Monate Mai und Juni fallen soll, zukommen dürften.

Der Blutsauger gehört zu den gemeinsten aller Eidechsen Südasiens; denn sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Afganistan über das ganze indische Festland und Hinterindien bis China. Besonders häufig findet er sich auf Ceylon, nicht selten an allen übrigen Orten, vorausgesetzt, daß [205] es an Bäumen und Hecken nicht fehle. An heißen, sonnigen Tagen sieht man das Thier mit offenem Maule, gewöhnlich einzeln, auf einem Zweige oder vielleicht auf einer Mauer den Sonnenstrahlen sich hingeben, nach einem Regenschauer aber in vollster Thätigkeit seiner Jagd auf allerlei Kerbthiere obliegen und bei dieser Gelegenheit oft auch auf den Boden herabkommen, welchen es sonst nicht zu betreten pflegt. Das Weibchen legt fünf bis sechzehn eiförmige, mit weicher Schale umhüllte Eier in Baumhöhlen oder in selbst ausgegrabene Löcher in weichem Boden, aus denen nach acht oder neun Wochen die Jungen schlüpfen. Der Ursprung seines Namens »Blutsauger« ist noch nicht genügend aufgeklärt: Kelaart glaubt, daß man ihm den Namen bloß deshalb gegeben habe, weil sein Kopf sehr häufig in rother Farbe prangt.

Wie es scheint, kämpfen auch die Männchen der Schönechsen heftig mit einander; darauf hindeutet wenigstens der Name »Kampfhähnchen«, welchen der Blutsauger von den Holländern Ostindiens erhalten hat. Möglicherweise freilich bezieht sich letztere Bezeichnung auf die Eigenschaft des Thieres, gereizt heftig zuzubeißen und das einmal erfaßte unter keiner Bedingung loszulassen, und ob es auch einen Zahn oder einen Theil der Kinnlade kosten sollte.


Segelechse (Histiurus amboinensis). 1/5 natürl. Größe.
Segelechse (Histiurus amboinensis). 1/5 natürl. Größe.

In der Regel freilich bedienen sich die Schönechsen ihres Gebisses nicht, sondern flüchten vor den ihnen sich nähernden [206] Menschen wie vor jedem anderen größeren Feinde, wobei sie ihre außerordentliche Gewandtheit und Raschheit im Klettern und Springen von Ast zu Ast in vollstem Maße bethätigen. Verfolgt man sie ernster und verliert man sie plötzlich aus dem Auge, so soll man, laut Martens, zuerst nachsehen, ob sie sich nicht in die Kleider des Verfolgers selbst geflüchtet haben. Wegen aller dieser Eigenschaften zählen die Thiere zu den volkthümlichsten Arten ihrer Ordnung. Für die Europäer bleibt der jähe Farbenwechsel immer das merkwürdigste an ihnen, und der Name »Chamäleon«, welchen man sehr häufig auf sie anwenden hört, erscheint daher im Munde der Unkundigen gerechtfertigt.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 205-207.
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