Achte Familie: Agamen (Agamidae)

[202] Im Süden und Osten der Alten Welt tritt zu den bisher genannten Gruppen die zahlreiche Familie der Agamen (Agamidae), von denen man gegenwärtig über anderthalbhundert Arten kennt. Die Gestalt der hierher gehörigen Echsen ist in hohem Grade verschiedenartig: der Leib bald gedrungen, bald gestreckt, bald von oben nach unten, bald von einer Seite zur andern zusammengedrückt, im allgemeinen aber kräftig, der Kopf kurz und breit, der nicht zerbrechliche Schwanz lang, spitzig, oder kurz und kräftig, die übrige Gliederung wohl entwickelt. Zahlreiche kleine, flache oder sanft gewölbte Schilder bedecken den Kopf, größere, meist verschoben viereckige Schindelschuppen den Rücken, die Seiten und die unteren Theile des Leibes. Zu ihnen treten jedoch sehr häufig allerlei verlängerte Horngebilde, welche bald den Kopf allein mit Spitzen und Zacken bewehren, bald einen Rücken- und Schwanzkamm bilden, bald endlich über den ganzen Leib sich erstrecken. Die Zunge ist dick und ihrer ganzen Länge nach am Grunde festgewachsen, an der Spitze höchstens leicht ausgerandet und nicht vorstreckbar. Die Zähne sind am Rande der Kieferknochen befestigt, ein Paar von ihnen meist hundszahnartig vergrößert. In allem übrigen bekunden die Agamen so wenig Uebereinstimmung, daß eine weitere Schilderung bis zur Beschreibung der einzelnen Sippen aufgespart bleiben muß.

Das Verbreitungsgebiet der Agamen beginnt im südlichen Europa und reicht nach Süden hin bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung, nach Osten hin bis China, begreift auch die südasiatischen Eilande und Neuholland in sich. Gerade in Südasien erlangt die Familie ihre größte Entwickelung, da hier ungefähr die Hälfte aller bekannten Arten gefunden wird. Die übrigen vertheilen sich auf Australien, welches verhältnismäßig reich an diesen Echsen ist und verbreiten sich durch die Wüsten Mittel- und Westasiens sowie durch ganz Afrika bis Griechenland und Südrußland. Fast alle Arten sind mehr oder minder vollkommene Landthiere; nicht wenige von ihnen bewohnen sogar die dürrsten und trockensten Oertlichkeiten innerhalb ihres Gebietes, wogegen andere wiederum nur in feuchten Geländen, hier jedoch so gut als ausschließlich auf Bäumen hausen. Gerade von den Agamen darf man behaupten, daß sie die Wüsten Afrikas und Mittelasiens ebenso beleben, als sie die in höchster Fülle prangenden Waldungen Südasiens schmücken. Sie sind es, von denen schon die ältesten Reisenden mit mehr oder weniger Anerkennung und Bewunderung sprechen; sie rufen noch heute das Entzücken dessen wach, welcher sie in ihrer vollen Lebensthätigkeit, in der Pracht ihrer wunderbaren, jähem Wechsel unterworfenen Farben sehen kann. Alle Arten müssen als harmlose Thiere betrachtet werden; selbst die wehrhaftesten unter ihnen fügen weder dem Menschen, noch dem Bestande der höheren Thierwelt irgend welchen Schaden zu. Die meisten nähren sich von Kerbthieren verschiedenster Art, nicht wenige, vielleicht mehr als wir zur Zeit annehmen können, aber auch von Pflanzenstoffen, Gräsern wie Baumblättern, welche sie auf dem Boden oder in der Höhe des Gezweiges abrupfen. Alle ohne Ausnahme scheinen Eier zu legen, welche noch der Entwickelung außerhalb des Mutterleibes bedürftig sind, keine einzige Art aber lebende Junge zur Welt zu bringen.

»Man sagte mir«, so erzählt Herodot, »bei der Stadt Butus in Arabien sei ein Ort, wo es fliegende Schlangen gäbe. Ich reiste deshalb hin und sah daselbst eine unglaubliche Menge Knochen und Gräten in zahllosen größeren und kleineren Haufen. Der Ort liegt in einem von Bergen [202] umgebenen Thale, welches sich in die weite Ebene Egyptens öffnet. Es wurde gesagt, diese geflügelten Schlangen flögen im Frühlinge aus Arabien nach Egypten, begegneten aber beim Ausgange des Thales dem Ibis, von welchem sie umgebracht würden; deshalb eben stünden diese Vögel bei den Egyptern in so hoher Ehre. Die Gestalt dieser Schlangen ist die der Wasserschlangen; ihre Flügel aber haben keine Federn, sondern sind wie die der Fledermäuse gebildet. Arabien bringt Weihrauch, Myrrhen, Cassia und Zimmet hervor. Diese Weihrauchbäume werden von den geflügelten Schlangen gehütet (von denselben, welche herdenweise nach Egypten kommen); doch kann man sie durch den Rauch von Storax vertreiben.«

Von welchen Thieren der Vater der Geschichte erzählt, läßt sich nicht mehr bestimmen; möglich aber ist es immerhin, daß man schon damals von den kleinen, wenn auch nicht geflügelten, so doch mit einem Fallschirme versehenen Baumechsen Ostindiens einige Kenntnis hatte. Mit den fabelhaften Drachen oder Lindwürmern, welche man bald als geflügelte Riesenschlangen, bald als befittigte Krokodile darstellte, haben diese harmlosen, kleinen Thierchen nichts weiter gemein als den Namen, welchen sie eben jenen eingebildeten Gestalten verdanken.

Die ersten fünf oder sechs falschen Rippen jederseits sind bei ihnen, den Drachen (Draco), zu Trägern eines halbkreisförmigen Fallschirmes umgestaltet, welcher an die demselben Zwecke dienende Flatterhaut der fliegenden Eichhörnchen und Flugbeutelthiere erinnert, aber nicht, wie bei diesen, mit den Beinen in Verbindung steht. Eine anderweitige Hautwucherung hängt von der Mitte der Brust herab, und eine kleinere Falte befindet sich auf jeder Seite der Kehlwange. Der Kopf ist dick und hoch, die Schnauze kurz und stumpf, der Hals ziemlich lang, der Leib eigentlich klapperdürr, der Schwanz lang, dünn und nach dem Ende zu gleichmäßig verschmächtigt; die Beine zeichnen sich aus durch ihre verhältnismäßige Länge und Schlankheit; die Füße besitzen vorn wie hinten fünf lange dünne Zehen, welche mit kurzen, gekrümmten Nägeln bewehrt sind. Die kleinen, runden Nasenlöcher münden in einem einzigen, kleinen, sehr hervortretenden Schilde, aber in sehr verschiedener Weise: bald nach oben, bald nach der Seite. Das Auge ist mäßig groß, mit wohl entwickelten Lidern gedeckt, der Augenstern rund, wie es dem Tagleben der Thiere entspricht. Das Trommelfell fehlt keiner Art, ist jedoch bei einzelnen nackt, bei anderen mit kleinen Schuppen bekleidet. Doch ändert sich dieses Merkmal bei einzelnen je nach dem Alter. Sehr kleine Schuppendecken den Kopf und vergrößern sich am Lippenrande zu mäßigen Schildern; kleine, feine Schuppen bekleiden auch den übrigen Leib. Drei bis vier Vorderzähne, zwei wohl entwickelte Fang- und zahlreiche dreispitzige Backenzähne in jedem Kiefer bilden das Gebiß. Schenkelporen fehlen.

Das auffallendste Merkmal der Drachen ist unzweifelhaft der durch die falschen Rippen gestützte Fallschirm, weil eine derartige Bildung bei keinem anderen Thiere weiter vorkommt. Die Schlangen sind bekanntlich die einzigen Geschöpfe, welche ihre Rippen als Bewegungswerkzeuge verwenden; aber während bei ihnen alle Rippen einem Zwecke dienen, für welchen anderweitige Werkzeuge fehlen, kommt bei den Drachen nur einem Theile der Rippen die Aufgabe zu, wohl entwickelte Glieder noch anderweitig zu unterstützen. Es erscheint, wie Martens hervorhebt, besonders auffallend, daß gerade in der Heimat der Drachen auch die meisten fliegenden oder richtiger luftspringenden Säugethiere sich finden, und daß hier sogar ein fliegender Frosch entdeckt worden ist, während es im heißen Afrika nur sogenannte fliegende Eichhörnchen und in den gleich gelegenen Ländern Südamerikas überhaupt keine sogenannten vierfüßigen fliegenden Thiere gibt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 202-203.
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