Neunte Familie: Leguane (Iguanidae)

[218] Was die Agamen für die Alte Welt, sind die Leguane (Iguanidae) für Amerika, nur daß sie in ungleich größerer Anzahl und Mannigfaltigkeit auftreten. Ihre allgemeinen Merkmale sind folgende: Der Kopf ist mit zahlreichen kleinen Schildern bedeckt; die Bekleidung des Rückens besteht aus sehr verschiedenartigen Schuppen, welche meist in queren Reihen angeordnet sind. Die Augen zeigen wohlentwickelte Lider; das Trommelfell ist sichtbar. Die bald längeren, bald kürzeren Beine haben stets, vorn wie hinten, fünf, meist freie Zehen. Der Schwanz zeigt sehr verschiedene Länge, übertrifft jedoch hierin meist die des Leibes. Die Zunge ist kurz, kaum ausgerandet und ihrer ganzen Länge nach angewachsen. Die an der Wurzel runden, nach der Spitze zu breiten und zusammengedrückten Zähne sitzen am inneren Rande der Zahnrinne fest. Eckzähne sind kaum jemals hervorragend entwickelt, Gaumenzähne dagegen meist vorhanden.

Die Leguane, von denen man gegen dritthalbhundert Arten unterschieden hat, sind in hohem Grade bezeichnend für Süd- und Mittelamerika und treten hier aller Orten überaus zahlreich auf, verbreiten sich auch bis in die wärmeren Theile von Nordamerika: im Westen bis Kalifornien, Britisch Columbien und Arkansas, im Osten fast bis zu den nördlichen Grenzen der Vereinigten Staaten, und bevölkern ebenso die Amerika zunächst gelegenen Inseln; eine besondere Sippe ist sogar auf den Fidschiinseln beobachtet worden.

Entsprechend der Ausdehnung des Verbreitungsgebietes ist auch das Vorkommen dieser Echsen. Sie leben buchstäblich überall, wo Kriechthiere die erforderlichen Bedingungen für gedeihliches Dasein finden: auf dem Festlande wie auf den Inseln, in der Höhe wie in der Tiefe, auf dürren Ebenen wie in den feuchten schattigen Urwäldern, in unmittelbarer Nähe der menschlichen Behausungen, in Städten, Dörfern und anderen Ortschaften, auf und in den Häusern wie in wüsten Geländen. Mehrere Arten dürfen als Wasserechsen angesehen werden, weil sie, wie die Warane der Alten Welt, bei Gefahr dem nächsten Wasser zustürzen und ebenso vorzüglich schwimmen wie tauchen. Eine Art gewinnt sogar im Meere ihre Nahrung. Auch unter ihnen gibt es wenig begabte, träge, stumpfe, dem Anscheine nach theilnahmlose Gesellen; die größere Mehrzahl jedoch steht an Lebhaftigkeit, Gewandtheit und leiblicher wie geistiger Regsamkeit hinter unseren Eidechsen nicht im geringsten zurück. Wie die Agamen den von ihnen bewohnten Waldungen, gereichen sie den ihrigen zu hohem Schmucke, und wie jene beleben auch sie die Behausungen der Menschen in anmuthigster Weise. Ihre Nahrung besteht ebensowohl in Kerbthieren wie in Pflanzenstoffen. Einige Sippen scheinen sich ausschließlich von letzteren zu nähren, wogegen die große Mehrzahl, wie üblich, auf Kerbthiere und anderes Kleingethier jagt. Hinsichtlich der Fortpflanzung wissen wir [218] gegenwärtig nur so viel, daß wir alle zu den eierlegenden Kriechthieren zählen müssen. Für den Menschen haben mehrere Arten eine nicht zu unterschätzende Bedeutung erlangt, indem Fleisch und Eier mit Vorliebe gegessen werden. Als schädlich dürfte kaum eine einzige Art sich erweisen; gleichwohl haben sie vielfache Nachstellungen zu erleiden.

Man unterscheidet Baum- und Erdleguane und theilt diese beiden Gruppen in verschiedene Unterfamilien, welche ich im nachstehenden berücksichtigen werde.

In Waldungen, Hainen und Gärten aller wärmeren Gegenden Amerikas lebt ein zahlreiches Geschlecht allerliebster Schuppenechsen, denen man ihren auf den Antillen üblichen Namen Anolis belassen hat. Die Merkmale dieser Gruppe, welcher man den Rang einer Unterfamilie (Anolina) zugesteht, sind der pyramidenförmige Kopf, der mittellange Hals, dessen Kehle durch eine weite Wamme geziert wird, der schlanke Leib, die vier wohlentwickelten Beine, deren hinteres Paar das vordere an Länge übertrifft, die großen Füße mit fünf sehr ungleich langen Zehen, deren viertes Glied erweitert und an der Sohle blätterig quergestreift ist, die ungemein langen, gekrümmten, scharfspitzigen Krallen, der besonders lange, zarte Schwanz und die aus sehr kleinen Schildchen bestehende Beschuppung, welche sich auf dem Rücken nicht selten zu einem Kamme umgestaltet, sowie endlich das Gebiß, welches vorn am Kiefer einfache, spitzige, leicht gekrümmte und kegelige, weiter hinten dagegen zusammengedrückte, an der Spitze dreizackige Zähne aufweist und jederseits durch eine Reihe kleiner, spitzkegeliger Gaumenzähne unterstützt wird. Die Haut prangt in prachtvollen Farben und besitzt in weit höherem Grade als die des allbekannten Chamäleons die Fähigkeit, ihre Färbung zu verändern.

Jeder wissenschaftliche Reisende, welcher einen Theil Südamerikas durchforscht, macht uns mit noch unbeschriebenen Mitgliedern dieser in mehr als achtzig Arten fast im gesammten Verbreitungsgebiete der Familie vorkommenden Gruppe bekannt. Anolis leben überall, in jedem Walde, in jedem Haine, in jeder Baumanlage, verlassen auch wohl die Bäume und erscheinen auf und in den Häusern, in Vorhallen und selbst in den Zimmern, können daher höchstens in dichten Waldungen übersehen werden. Während in den tiefen Urwäldern nur der Zufall das Auge zuweilen nach der Stelle richtet, auf welcher ein solches Thier still und unbeweglich auf einem Zweige sitzt, drängen sich die Anolis in der Nähe bewohnter Oertlichkeiten sozusagen dem Menschen förmlich auf und rechtfertigen den Ausdruck Nicolsons, daß sie gleichsam auf alles Acht geben, was gesprochen wird. Ueberaus lebhaft, gewandt, hurtig und geschickt betreiben sie ihre Jagd auf Kerbthiere der verschiedensten Art, nehmen hier eine Mücke, einen Schmetterling, einen Käfer weg, untersuchen dort eine Ritze, ein Versteck, um sich einer Spinne zu bemächtigen, lauern nach Art eines Raubthieres und stürzen sich, wie eine Katze auf die Maus, mit blitzschneller Geschwindigkeit auf ihre Beute, sie fast mit unfehlbarer Sicherheit ergreifend. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend sind sie ununterbrochen in Bewegung, und auch unter sich haben sie fortwährend etwas abzumachen; ja, wenn die Beobachtungen richtig sind, leben sie mit ihresgleichen in beständigem Kriege. »Sobald ein Anoli«, erzählt Nicolson, »den anderen bemerkt, läuft er hurtig auf ihn zu, und dieser erwartet ihn wie ein tapferer Held. Vor dem Kampfe drehen sie sich gegenseitig fast nach Art der Hähne, indem sie den Kopf schnell und heftig auf- und abbewegen, die Kehle aufblähen, soweit sie es vermögen, und sich funkelnde Blicke zuwerfen; hierauf gehen sie wüthend gegen einander los, und jeder sucht den anderen zu überrumpeln. Wenn beide Gegner gleich stark sind, endet der Kampf, welcher meist auf den Bäumen ausgefochten wird, nicht sobald. Andere Anolis nähern sich, um zuzuschauen, mischen sich aber nicht ein, als ob sie Vergnügen an dem Streite fänden; beide Kämpen verbeißen sich oft dermaßen, daß sie sich lange Zeit gegenseitig hin- und herzerren und schließlich mit blutigem Maule weggehen. Trotzdem beginnen sie ihren Streit bald von neuem wieder. Ein [219] schwächerer Gegner kommt günstigen Falles mit dem abgebissenen Schwanze davon; im ungünstigen Falle wird er aufgefressen. Wenn sie den Schwanz verloren haben, sind sie traurig und furchtsam, halten sich auch fast immer verborgen. Wahrscheinlich geschehen ihre Kämpfe der Weibchen wegen; sie sind wenigstens während der Paarungszeit lebhafter als je und springen dann rastlos von Zweig zu Zweig. Das Weibchen gräbt mit seinen Vorderfüßen unter einem Baume oder in der Nähe einer Mauer ein seichtes Loch, legt in dieses seine schmutzigweißen Eier und deckt sie zu, die Zeitigung der Sonne überlassend.«

Dank ihrer Harmlosigkeit und Zuthunlichkeit haben sich die Anolis selbst in Südamerika, wo man, wie der Prinz von Wied bemerkt, fast allen Thieren schädliche Eigenschaften andichtet, wenn nicht die allgemeine Zuneigung, so doch das Vertrauen erworben, daß sie nicht giftig seien. Nirgends betrachtet man sie mit Widerwillen, hier und da sogar mit Wohlwollen, als ob man ihre guten Dienste, welche sie durch Wegfangen von Kerbthieren wirklich leisten, zu würdigen scheine; selbst ihre Dreistigkeit, welche sich unter anderem darin bethätigt, daß sie sich auf den sie verfolgenden Menschen stürzen und an ihm sich festbeißen, verzeiht man ihnen gern. Alle Arten ertragen bei geeigneter Pflege die Gefangenschaft längere Zeit und können daher auch ohne Schwierigkeit nach Europa gebracht werden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 218-220.
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