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[242] Die Unterordnung der Wurmzüngler (Rhiptoglossi), welche sich durch den vollständigen Schläfenbogen, eine Knochenbrücke vom Scheitel zum Zitzenbeine und das Fehlen des Säulchens kennzeichnet, umfaßt nur eine einzige Familie, die der Chamäleons (Chamaeleontidae), deren Merkmale in wesentlichen Stücken von denen der bisher aufgeführten Echsen abweichen und deshalb die Erhebung der Gruppe zu einer Hauptabtheilung der Gesammtheit rechtfertigen.
Streng genommen bekunden die Chamäleons mit anderen Echsen wenig Verwandtschaft. »Ihr Rumpf, meint Wagler, hat in seiner allgemeinen Gestalt Aehnlichkeit mit dem des Schweines oder Ameisenbären, indem er hoch, seitlich stark zusammengedrückt und schmal ist, auch eine schneidigbogige[242] Rückenfirste zeigt, und gleich wie auf dieser Stelle bei genannten Säugethieren verlängerte Haare stehen, so bedecken hier jene, vielleicht zu demselben Zwecke, Hautkörner, welche größer, kräftiger, mit einem Worte entwickelter sind als die übrigen des Körpers und auf der Rückenfirste einen sehr bestimmten Saum bilden. Der Kopf ist pyramidenförmig erhaben, am Schnauzentheile oft merkwürdig vorgezogen, überhaupt kantig und eckig, der Hals kaum zu unterscheiden. Die Beine zeigen eine nicht minder eigenthümliche Bildung. Sie sind mager, rundlich und alle fast von gleicher Länge; die Zehen, fünf an jedem Fuße, werden je zwei und drei bis zum Grunde ihrer vorletzten Glieder von der allgemeinen Körperhaut umhüllt und bilden so zwei sich gegenüberstehende Stücke oder Bündel, mithin eine Art von Zange, welche, da ihre innere Seite mit einer körnigen Haut überzogen ist, mit Sicherheit und Festigkeit einen Zweig umspannt. Die überall gleich kräftige Befestigung des ganzen Körpers auf seinem Standorte wird vorzüglich auch dadurch erzweckt, daß die Zehen nicht auf der Innen- oder Außenseite des Körpers allein, sondern wechselständig in ihrer größeren Anzahl mit einander verbunden sind, indem an den Vorderfüßen die drei inneren, an den Hinterfüßen die drei äußeren, an diesen die zwei inneren, an jenen die zwei äußeren im Zusammenhange mit einander stehen. Hieraus ergibt sich, daß die Füße dieser Echsen hinsichtlich ihrer Bildung einzig in ihrer Art sind. Der Schwanz ist rundlich, kräftig, verjüngt sich gegen sein Ende hin immer nur allmählich und kann von unten auf schneckenförmig zusammengerollt werden. Statt der Schuppen bedecken die Haut kleine, körnerförmige Erhöhungen, zwischen denen bisweilen kleine Schildchen stehen, immer aber zarte Fältchen verlaufen. Diese Beschaffenheit der Haut gestattet ihr eine bedeutende Ausdehnung.«
Noch auffallender als die Bildung der angegebenen Leibestheile erscheinen auch dem oberflächlichen Beobachter die Augen der Chamäleons. Sie werden von starken Lidern kapselförmig umschlossen und lassen nur eine runde Oeffnung für den Stern frei. Beide sind in ihren Bewegungen vollständig unabhängig von einander, so daß das rechte vor- oder aufwärts, das linke rück- oder abwärts blicken kann und umgekehrt. Diese bei keinem Thiere sonst noch vorkommende Beweglichkeit gestattet dem Chamäleon, auch ohne sich zu bewegen, seine ganze Umgebung zu übersehen und seine Beute ausfindig zu machen.
Der innere Bau ist nicht minder merkwürdig als der äußere. In dem sonderbar gestalteten Schädel fallen die ungewöhnlich großen, stark umrandeten Augenhöhlen und die hinteren, ungemein entwickelten, muscheligen, senkrecht herabgezogenen Gaumenbeine, das einfache Stirnbein und die schmächtigen Schläfenbeine auf. Der Hals besteht nur aus zwei oder drei, der Rückentheil aus siebzehn bis achtzehn, der Lendentheil aus zwei bis drei, der Kreuztheil aus zwei, der Schwanz aus sechzig bis sechsundsechzig Wirbeln; die siebzehn bis achtzehn Rippen werden in der Mittellinie der Bauchseiten durch einen Knorpelstreifen vereinigt, die Handwurzel aus fünf starken Knochen gebildet. Mit der Anlage der Muskeln, dem Baue der Lungen und Verdauungswerkzeuge wollen wir uns nicht ausführlich beschäftigen; wohl aber verdient die absonderlich gebaute, für das Leben des Thieres überaus wichtige Zunge einer eingehenden Schilderung. Wenn man vergleichen will, darf man sagen, daß sie die der Ameisenbären und Spechte wiederholt; sie unterscheidet sich jedoch wesentlich von der beider Thiergruppen. Im Zustande der Ruhe liegt sie zusammengezogen im Schlunde; beim Gebrauche kann sie funfzehn bis zwanzig Centimeter weit vorgestoßen werden. Das Zungenbein hängt, nach Houston, nicht mit der Luftröhre zusammen und hat vier, zwei Centimeter lange Hörner und einen Körper, welcher sich drei Centimeter weit wie ein Griffel nach vorn verlängert und der Zunge im Zustande der Ruhe zur Stütze dient. Wenn sie vorgestoßen wird, ist sie so dick wie ein Schwanenkiel, fühlt sich elastisch an, läßt sich nur wenig eindrücken, sieht in der Mitte röthlich aus und zeigt an jeder Seite, etwa zwei Centimeter vor der Spitze, ein weißes Band, gegen die Spitze hin auch einige dicke Hohladern, welche von Blut strotzen. Bewegt wird sie von neun Muskeln jederseits, welche die Hörner des Zungenbeines an den Brustkasten heften und zurückziehen. Das bewegliche Stück der Zunge besteht aus zwei Theilen, einem zum Ergreifen und einem zum [243] Steifen; jener liegt vorn, hat eine Länge von zwei und einen halben Centimeter und einen Umfang von zwei Centimeter, ändert auch beim Vorschießen seine Länge nicht, weil er von einer faserigen Scheide umgeben ist; sein vorderes, vertieftes Ende wird von einer runzeligen Schleimhaut überzogen und erscheint wie mit einer kleberigen Masse beschmiert, welche Ausfluß mehrerer Drüsen ist. Der andere Theil liegt zwischen jenem und dem Zungenbeine und ändert seine Länge nach den Umständen. In der Ruhe nimmt er einen sehr kleinen Raum ein, beim Vorschießen aber wird er von den beiden sehr großen Zungenschlagadern, welche sich in ihm in zahllose Zweige theilen, mit Blut gefüllt und ausgedehnt; das Vorschnellen geschieht also infolge dieser lebhaften Einströmung von Blut in das Netz von Blutgefäßen, nicht aber durch Einpumpen von Luft, wie man geglaubt hat. Die Blutgefäße füllen sich ungefähr ebenso schnell, als sich die Wangen eines Menschen röthen; die Zunge kann somit in einem einzigen Augenblicke ausgestreckt und zurückgezogen werden. »Auf einer Stelle tagelang stehend«, sagt Wagler, »erwartet das Thier mit einer gewissen Sorglosigkeit die Nahrung, welche der Zufall herbeiführt. Der Fang derselben setzt der behaglichen Ruhe kein Ziel. Mit Blitzesschnelle rollt die Zunge über den Mund hinaus und ergreift in der Ferne das Kerbthier, auf welches sie losgeschnellt wurde. Ihr heftigstes Vorstoßen ist nicht im Stande, im Körper eine Erschütterung hervorzubringen und den Sonderling, stünde er auch auf einem noch so schwanken und glatten Zweige, herabzuwerfen, denn der muskelkräftige Greifschwanz, mit welchem er sich rücklings an seine Standebene knüpft, verhindert jedes Vorsinken des Körpers.«
Es ist denkbar, daß die eigenthümliche Gestalt, das ernsthafte Aussehen, das langsame Herbeischreiten, das plötzliche Losschießen der Zunge auf die Beute die Beachtung der Griechen auf sich zog und sie veranlaßte, dem Chamäleon seinen hübschen Namen: »Klein–« oder »Erdlöwe« zu geben; mehr als dieses alles aber erregte im Alterthume und bis in die neueste Zeit der Farbenwechsel die Aufmerksamkeit der Forscher und Laien. Früher nahm man an, das Thier könne seine Färbung beliebig wechseln, beispielsweise die seiner Umgebung annehmen und sich dadurch vor seinen Feinden verbergen, nannte deshalb auch einen Menschen, welcher seine Meinung je nach den Umständen, jedoch stets zu seinen Gunsten veränderte, ein Chamäleon, und erhob letzteres zu einem Sinnbilde der knechtischen Gefälligkeit der Schmeichler und Höflinge; sein bloßer Name gab Tertullian Stoff zu einer ernsthaften Betrachtung über den falschen Schein und die Unverschämtheit der Betrüger und Großsprecher. Die gelehrtesten und ungelehrtesten, scharfsinnigsten und abgeschmacktesten Ansichten und Deutungen über den Farbenwechsel wurden laut, und noch in neuester Zeit herrschte Meinungsverschiedenheit über die nicht genügend erklärte Erscheinung, bis endlich Brücke durch eingehende Forschungen die Frage löste.
Der Farbenwechsel hat seine Ursache im Vorhandensein zweier Lagen verschiedenartiger Farbstoffe (Pigmente), von denen die eine unter den Obertheilen der eigentlichen Haut abgelagert ist, abwärts aber auch in das Bindegewebe sich erstreckt und hier zwischen die Gewebtheile eindringt, die andere in der ganzen Haut und zwar in verzweigten Zellen sich befindet, welche unter oder auch in der Hautmasse der Lage liegen. Jener Farbstoff ist der Hauptsache nach weiß, nach außen zu jedoch gewöhnlich mehr oder minder lebhaft gelb, dieser bräunlichschwarz. Beide Lagen nun erzeugen den Farbenwechsel, je nachdem sie neben oder hinter einander treten, bezüglich einander durchdringen. Kommt der lichte Farbstoff allein zur Geltung, so sieht die Haut weiß oder gelb aus, wird er von dem schwarzen durchdrungen, braun oder schwarz; die dazwischen liegenden Farben bilden sich, je nachdem diese Durchdringung mehr oder minder vollständig wird. In welcher Weise der Farbenwechsel stattfindet und welches die ihn bewirkenden Ursachen zu sein scheinen, werden wir später sehen.
Alle Chamäleons gehören der Alten Welt oder, richtiger, der Osthälfte der Erde an und haben in Amerika weder Verwandte noch Vertreter im eigentlichen Sinne des Wortes. Sie zählen zu den bezeichnenden Thieren Afrikas und kommen außerdem nur noch in den Grenzländern der benachbarten Erdtheile vor. Die dreißig Arten, welche man kennt, unterscheiden sich wohl in ihrer Gestalt, nicht aber hinsichtlich ihres Wesens, und auch jene Unterschiede sind so gering, daß die auf Gestalt [244] und Beschuppung begründeten Gruppen höchstens den Rang von Untersippen beanspruchen können. Unserem Zwecke genügt, die auch in Europa vorkommende Art zu schildern.
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