Sechste Familie: Seitenfaltler (Zonuridae)

[183] Ich übergehe drei Familien amerikanischer und afrikanischer Echsen, über deren Lebensweise uns bisher nur die allerdürftigsten Nachrichten geworden sind, und reihe den Krustenechsen die Seitenfaltler (Zonuridae) an. So nennt man diejenigen Schuppenechsen, an deren Leibesseite regelmäßig eine mit kleinen Schuppen bekleidete Falte verläuft, welche hinter den Vordergliedern beginnt und Rücken- und Bauchseite von einander sondert. Die Leibesgestalt ist entweder die der Eidechsen oder eine mehr verlängerte, infolge des sehr langen Schwanzes und des Verkümmern der Gliedmaßen schlangenähnliche. Augenlider sind stets vorhanden; das Paukenfell liegt vertieft und wird nur ausnahmsweise von einer Haut überzogen. Den Rücken bekleiden große, schilderartige, meist ge kielte, wirtelförmig in Querreihen gestellte Schuppen, den Kopf regelmäßige Schilder.

In dieser Familie gibt es noch einzelne Glieder, welche von der urbildlichen Gestalt der Echsen wenig abweichen, aber auch andere, welche täuschende Aehnlichkeit mit Schlangen haben. Zwischen diesen beiden äußersten ordnen wir mehrere Mittelglieder ein, je nachdem sich der Rumpf [183] mehr oder weniger gestreckt hat und die Gliedmaßen mehr oder minder verkümmert sind. Mit der schlangenartigen Rundung und Verlängerung des Leibes steht die größere Entfernung der Gliedmaßen im Einklange; diese aber zeigen nur bei wenigen die vollkommene Entwickelung wie bei wirklichen Echsen, bei vielen insofern eine Verkümmerung, als am vorderen Fußpaare allein oder an diesen und den hinteren bloß drei Zehen ausgebildet erscheinen, die Vorderfüße gänzlich fehlen, die hinteren als kurze, anscheinend zehenlose Stummel vorhanden sind, ja, alle Füße fehlen und die betreffenden Thiere deshalb äußerlich den Schlangen gleichen. Immer aber finden wir bei ihnen Merkmale auf, welche ihre Vereinigung mit letzteren verwehren. Der Schädel ähnelt auch bei den schlangenähnlichsten Arten dem der Echsen, ebensowohl wegen der Kieferngelenke als hinsichtlich der angewachsenen Zähne. Es sind ein Brustbein und ein Becken vorhanden; die Augenlider verkümmern nur ausnahmsweise; die Zunge ist kurz, an der Wurzel dick, vorn verdünnt, mehr oder minder tief ausgeschnitten, zuweilen auch kaum ausgetieft, immer aber scheidelos; das Herz liegt weit oben; beide Lungen sind entwickelt usw. Alle diese Merkmale verbinden unsere Thiere mit den Echsen und lassen sie als von den Schlangen sehr verschiedene Geschöpfe erscheinen.

Die Familie, zu welcher man ungefähr funfzig Arten zählt, bewohnt die Alte Welt, wird jedoch auch in Amerika durch eine Sippe vertreten. Alle Seitenfaltler leben nach Art der Eidechsen, obgleich das Wesen derjenigen, welche den Schlangen ähneln, an das Treiben von diesen erinnert. Ihre Bewegungen sind auch bei denen, welche verkümmerte Gliedmaßen haben, unverhältnismäßig rasch, die der schlangenähnlich gestalteten schlängelnd, vielleicht etwas langsamer als die der behenden Natter, aber höchst anmuthig, wie denn überhaupt diese Thiere einen angenehmen Eindruck machen. Sämmtliche Arten halten sich nur auf flachem Boden auf und sind höchstens im Stande, schiefe Ebenen zu ersteigen, nicht aber im eigentlichen Sinne des Wortes zu klettern. Ihre Nahrung entnehmen sie dem Thierreiche: die schwächeren Arten begnügen sich mit Kerbthieren, Spinnen, Asseln, Nacktschnecken, Würmern und dergleichen, die größeren stellen neben solcher Beute auch Wirbelthieren nach, insbesondere anderen Kriechthieren, und einzelne von ihnen erweisen sich durch Befehdung giftiger Schlangen sehr nützlich. Ueber ihre Fortpflanzung haben wir noch wenig Kunde erlangt und wissen eben nur so viel, daß sich dieselbe im wesentlichen nicht von der der Echsen unterscheidet. Für die Gefangenschaft eignen sich einige Arten wegen ihrer Anspruchslosigkeit und Unempfindlichkeit gegen veränderte Verhältnisse im besonderen Grade, halten bei einfachem Futter und nur einigermaßen gleichmäßiger Wärme jahrelang im Käfige aus, gewöhnen sich bald an den Pfleger, zeigen sich überhaupt gut geartet und würden sich, könnte man sie nach Belieben im Hause umherlaufen lassen, durch Aufzehren des lästigen Ungeziefers verdient machen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 183-184.
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