Ameive (Ameiva vulgaris)

[180] Die gemeinste und bekannteste Art der Sippe ist die Ameive (Ameiva vulgaris, Lacerta americana, africana, graphica, litterata und gutturosa, Seps surinamensis, Tejus Ameiva, lateristriga, tritaeniatus, Ameiva lateristriga, Cnemidophorus Ameiva), eine Echse von fünfundvierzig bis achtundvierzig Centimeter Länge, wovon der Schwanz etwa sechsundzwanzig bis neunundzwanzig Centimeter wegnimmt. Der Rücken sieht grasgrün aus; die Seiten sind auf blauem und bräunlichem Grunde mit senkrecht verlaufenden schwarz und gelb gefleckten Streifen gezeichnet. Bei jüngeren Thieren bemerkt man anstatt dieser Zeichnung einen breiten graubraunen, hell eingefaßten Längsstreifen.

Die Ameive kommt in ganz Brasilien und Guayana vor und ist in den meisten Gegenden sehr gemein, hat ungefähr denselben Aufenthalt wie der Teju, dieselben Sitten, Lebensart, Nahrung und Fortpflanzung: sie ist, wie der Prinz von Wied sagt, ein Teju in verjüngtem Maßstabe. Ihren Aufenthalt wählt sie sich unter den Sträuchern, im dürren Laube, im Gestein und in Felsklüften, in Erdhöhlen und unter altem Holze, am liebsten auf sehr trockenen und heißen Sand- oder Thonflächen, in Guayana besonders in Gärten, Pflanzungen oder auf sonnigen, lichten Waldstellen. In das Wasser geht sie ebensowenig wie der Teju. Bei Gefahr flüchtet sie so eilig als möglich ihrer Höhle zu; wenn sie nicht mehr ausweichen kann, stellt sie sich zur Wehre und beißt dann scharf um sich. Vor dem Menschen entflieht sie immer, obgleich sie nicht verfolgt wird; der Naturforscher also, welcher sich ihrer bemächtigen will, muß zur Jagd das Feuergewehr gebrauchen.

Zur Vervollständigung des Lebensbildes der Ameive will ich Gosse's Schilderung einer auf Jamaika lebenden, verwandten Art (Ameiva dorsalis) im Auszuge wiedergeben. Diese Ameive ist eines der gemeinsten Kriechthiere der Insel und ebenso schön als zahlreich. Ihre Färbung ist auffallend, jedoch nicht prachtvoll; ihr Gesicht hat einen milden, dem eines Hirsches oder einer Antilope nicht ganz unähnlichen Ausdruck. Alle ihre Bewegungen sind zierlich und munter. Wenn sie sich frei bewegt, beschreibt ihr Leib anmuthige Biegungen; wenn sie erschreckt wird, flüchtet sie mit einer so außerordentlichen Schnelligkeit dahin, daß sie im buchstäblichen Sinne des Wortes zu fliegen scheint, und der Beobachter einen Vogel vor sich zu sehen meint.

Obwohl über die ganze Insel verbreitet, bevorzugt sie doch sandige Stellen, findet sich daher in der Nähe der Küste besonders häufig. Hier rascheln die dürren Blätter und Gräser, welche der [180] Wind und die Flut zusammentrugen, beständig unter ihren flinken Füßen. Gewöhnlich sehr scheu und ängstlich, läßt sie sich doch von einem Beobachter, welcher sich vollkommen bewegungslos und still verhält, nicht im geringsten in ihrem Treiben stören, läuft in unmittelbarer Nähe von jenem auf und nieder, nimmt nach Art eines Vogels allerlei Nahrung vom Sande auf, scharrt in demselben wie ein Huhn, einen Fuß um den anderen bewegend, hält dann und wann einen Augenblick still, um sich mit einem Hinterfuße am Kopfe zu kratzen, und verfährt wie vorher. Man sagte Gosse, daß sie die Wohnlöcher selbst ausscharre und unter Umständen während der Keimzeit des Getreides in Feldern Schaden bringe, auch wohl das keimende Korn verzehre; unser Gewährsmann fand jedoch in dem Magen aller von ihm untersuchten Ameiven immer nur die Reste verschiedener Kerbthiere und dann und wann die Samen von Beeren. Niemals besteigt die Ameive Bäume, und ebensowenig begibt sie sich ohne dringende Noth in das Wasser. Sie klettert zwar an senkrechten Mauern empor, thut dies jedoch nur ausnahmsweise, schwimmt auch, wenn man sie ins Wasser wirft, recht gut und zwar durch schlängelnde Bewegungen ihres Leibes, ohne Hülfe der Beine, ermüdet aber bald und geräth dabei gänzlich außer Athem.


Ameive (Ameiva vulgaris). 1/2 natürl. Größe.
Ameive (Ameiva vulgaris). 1/2 natürl. Größe.

In dem Leibe trächtiger Weibchen fand Gosse vier Eier; aus Höhlen der Ameive wurden ihm andere gebracht, welche ungefähr zwei Centimeter lang und vollkommen eirund, weiß von Farbe und mit einer dünnen, bieg- und schmiegsamen Schale umhüllt waren.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 180-181.
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