Schlangenhalsschildkröte (Hydromedusa Maximiliani)

[72] Da der Zufall unseren Zeichner begünstigte, eine der drei, dieser Sippe angehörigen Arten als lebende Vorlage benutzen zu können, mag sie, die Schlangenhalsschildkröte (Hydromedusa Maximiliani, Emys, Chelodina und Hydraspis Maximiliani) als Vertreterin der Gruppe gewählt werden, so wenig mir über ihr Leben auch bekannt ist. Alle Platten des breit eiförmigen, vorn abgerundeten, stumpfwinkelig vorgezogenen Rückenschildes zeigen bei dem jungen Thiere zahllose, aber gänzlich regellose Wachsthumshöcker, unter denen man den Mittelpunkt des Schildes meist, jedoch nicht immer unterscheiden kann, wogegen sie bei alten Thieren vollkommen glatt erscheinen. Die Färbung des Rückenschildes ist ein gleichmäßiges, tief dunkles Olivengrün, die des Brustschildes ein schmutziges Bräunlichgelb, welches auch auf dem unteren Rande der oberen Randplatten hervortritt, aber an der Verbindungsstelle beider Schilder ins Braunschwarze übergeht. Kopf, Hals, Füße und Schwanz haben bleigraue, eine an der scharf abgestutzten oberen Schnauzenkante, zu beiden Seiten der Nase beginnende, als schmaler Strich bis zum Auge verlaufende, von hier an sich verbreiternde und nunmehr gleich breit längs des ganzen Halses sich hinabziehende Binde, ebenso eine zweite, welche jederseits innen neben der Unterkinnlade verläuft und mit jener bald sich vereinigt, endlich die Querseite der Schenkel gelblichweiße Färbung. Die Gesammtlänge des erwachsenen Thieres wird zu 1,2 Meter, die des Halses zu 40, die des Panzers zu 72 Centimeter angegeben.

Das Verbreitungsgebiet der Schlangenhalsschildkröte scheint auf den äußersten Süden Brasiliens und die benachbarten Freistaaten beschränkt zu sein. Natterer fand sie in der Kapitanschaft São Paulo, d'Orbigny später in Montevideo und Buenos Ayres auf; Hensel erhielt sie ebenfalls aus der Banda Oriental. D'Orbigny nennt sie häufig und gibt als ihren Aufenthalt kleine Seen und Bäche an, sagt aber nichts weiter über ihre Lebensweise. Mikau's Werk, in welchem die erste Beschreibung steht, ist mir nicht zugänglich, und in verschiedenen Reisebeschreibungen, welche ich durchgesehen, habe ich nichts über das Thier gefunden.

Die Lebensweise und Lebensart der Schlangenhals schildkröte muß, so sehr sie im großen ganzen auch dem Thun und Treiben anderer Wasserschildkröten ähneln mag, in mehr als einer Beziehung merkwürdig sein. Dies beweist das junge Thier, nach welchem unsere Beschreibung und Abbildung entworfen wurden. Uebertages sieht man von ihm selten mehr als den Panzer; denn Kopf und Glieder sind vollständig eingezogen. Der lange Hals liegt dann wie ein dicker Wulst quer und ziemlich tief in dem Raume zwischen Rücken und Brustschild, fast die ganze Breite der vorderen oder Halsöffnung ausfüllend, und der Kopf wird so fest zwischen die weiche Haut der Schultergegend gepreßt, daß nur ausnahmsweise mehr als ein Theil der Seite des Hinterhauptes ersichtlich ist, Nase und Auge aber vollständig den Blicken entzogen sind, weil sich die Haut allseitig über diese Sinneswerkzeuge weglegt. Beine und Schwanz werden in üblicher Weise eingezogen und beziehentlich umgeklappt; die Sohlen der mit langen, jedoch kräftigen Nägeln bewehrten Füße liegen dabei aber frei an der Oberfläche. So gibt das Thier außer ihnen nur den Panzer dem Blicke oder einem etwaigen Angriffe preis. Aber der lange Hals kann auch plötzlich hervorschnellen und dann eine so überraschende Biegsamkeit, Geschwindigkeit und Beweglichkeit bethätigen, daß man immer und immer wieder an eine Schlange erinnert wird. Nunmehr ist unsere Schildkröte zur Abwehr bereit und geht, sobald ihr dies räthlich erscheint, zu Angriffen über, welche an [72] Lebhaftigkeit hinter denen der Schnappschildkröte nicht im geringsten zurückstehen, an Gewandtheit sie aber bei weitem überbieten.


Schlangenhalsschildkröte (Hydromedusa Maximiliani). 1/12 natürl. Größe.
Schlangenhalsschildkröte (Hydromedusa Maximiliani). 1/12 natürl. Größe.

Boshaftes Glühen scheint die lichtgelben Augen zu beleben; schlangenhaft legt sich der Hals in Windungen, um die zum Vorstoße erforderliche Länge zu gewinnen, und blitzartig, wie die Bewegung einer beißenden Schlange, schnellt ihn das bissige Thier vor, wenn es die rechte Zeit für gekommen erachtet. Gegenüber der Gelenkigkeit und Behendigkeit, mit welcher diese Schildkröte den Hals zusammenzieht und ausstreckt, dreht und wendet, erscheinen alle übrigen Bewegungen, obgleich sie denen anderer Ordnungsverwandten nichts nachgeben, besonderer Erwähnung kaum werth, sind wenigstens in keiner Weise bezeichnend.

Erlaubt man sich, von dem, was man an einer gefangenen und jungen Schlangenhalsschildkröte wahrnimmt, einen Schluß auf das Freileben zu wagen, so wird man sich ungefähr folgendes Lebensbild des Thieres gestalten dürfen. Die Schlangenhalsschildkröte liegt übertages ruhend im oder auf trockenen Stellen über dem Wasser und beginnt erst des Nachts ihre Jagd. Ihren schlammigem Boden gleichgefärbten Rückenschild entzieht sie dem Auge der Fische, auf welche sie, halb im Schlamme vergraben, lauert, und arglos nähern sich jene, bis plötzlich der lange Hals vorschnellt und die schnabelartigen Kiefer das unvorsichtige Opfer ergreifen. Bleibt der Anstand ohne Erfolg, so wird dieser Hals auch beim Nachjagen einer Beute treffliche Dienste leisten. Gegen Feinde wird die Schlangenhalsschildkröte mit ebensoviel Muth und Nachdruck als Geschick und Erfolg sich vertheidigen, im ganzen also wenig, vielleicht nur in ihrer Jugendzeit von übermächtigen Gegnern zu leiden haben. Ihre ganze Ausrüstung stempelt sie zu dem, was ihr glücklich gewählter Name besagt: sie ist eine »Hydromedusa« oder Beherrscherin des Wassers.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 72-73.
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