Brauner Süßwasserpolyp (Hydra fusca)

[461] An der äußersten Grenze dieser so eigenthümlichen Reihen finden wir die einzige Coelenteratensippe des süßen Wassers, den Süßwasser-Polyp (Hydra). Bei einer Länge von einem bis sechs und acht Millimeter gleicht er in Gestalt fast vollständig dem mit dem Fühlerkranze versehenen Thiere der Hydractinie. Man wird in stehenden, pflanzenbewachsenen Gewässern in der Regel nicht vergeblich nach einer der beiden Arten, der grünen oder braunen (Hydra viridis und H. fusca) suchen, wenn man eine mäßige Menge der Pflanzen sich ruhig in einem Glase ausbreiten läßt und dann mit der Lupe mustert. Sobald sie in Ruhe gekommen, fangen die Polypen an, sich auszudehnen und ihre sechs bis acht Fühler zu feinen Fäden auszudehnen. An sie anstreifende kleine Thierchen sehen wir wie gelähmt daran hängen bleiben, worauf die Fühlfäden sich zusammenziehen und die Beute dem begierig sich öffnenden und großer Erweiterung fähigen Munde zuführen. Das Mikroskop aber zeigt uns die äußerst feinen Nesselkapseln, über deren Wirkung wir unten bei den Seeanemonen noch einiges bringen wollen. Was aber den nach der natürlichen Verwandtschaft forschenden Zoologen dazu bewegt, unsere Hydra unter die Quallen zu versetzen, ist ihre innigste Beziehung zu den von den eigentlichen Quallen nicht zu trennenden Quallenpolypen. Die Hydra vermehrt sich gewöhnlich durch Knospen, welche am Rumpfe hervorsprossen. Oft bleibt die Tochter so lange an der Mutter, bis letztere abermals eine oder ein paar Tochterknospen hat. Zu Zeiten aber entwickeln sich in den Körperwandungen unter kapselförmigen oder warzenförmigen Hervorragungen einzelne Eier oder Samenmassen, wodurch das verwandtschaftliche Band mit den Hydractinien und den übrigen vollends fest geknüpft wird.

Ueber das so auffallende vereinzelte Vorkommen der Hydra als der einzigen Coelenterate des süßen Wassers läßt sich weiter nicht philosophiren. Es ist nur eine Thatsache, daß diesem Kreise, wie wir oben bemerkten, die Anpassungsfähigkeit an die Süßwasserexistenz fast vollkommen mangelt. Aber eben deswegen verdient sie unser besonderes Interesse. Dieses wurde dem kleinen Wesen im vorigen Jahrhunderte in solchem Maße zu theil, daß sich an seine Beobachtung eine ganze Literatur knüpfte, und die berühmtesten Naturforscher und Naturfreunde, wie Trembley, Baker, Réaumur, Schäffer, Rösel und andere sich mit ihm beschäftigten. Die auch jetzt noch nicht erledigten Fragen über den Wiederersatz verlorener und verstümmelter Organe, die Theilbarkeit der Organismen, den Grad der Beseelung und ähnliche wurden auf das lebhafteste dabei verhandelt; und die Art, wie das alles getrieben wurde, läßt uns einen sehr anziehenden Blick auf dieses Gebiet des damaligen Kulturlebens thun. Auch sind die Beobachtungen jener liebenswürdigen Naturforscher in ihrer Art ganz vollendet. Das Mikroskop hat uns ja in der feineren Anatomie viel weiter gebracht, allein, was wir bei Trembley und Rösel über das Leben der Süßwasserpolypen lesen, dient noch heute zur angenehmen Bereicherung unserer Kenntnisse. Wir sind in der Mittheilung alter Beobachtungen sehr sparsam gewesen. Hier dürfen wir uns eine Ausnahme erlauben.

[461] Trembley schreibt (nach der etwas ungelenken Uebersetzung von Pastor Goeze in Quedlinburg): »Im Sommer 1740, den ich auf dem Landgute des Grafen Bentink, eine Viertelmeile von Haag, zubrachte, fand ich daselbst die Polypen. Als ich an denen aus einem Wassergraben gezogenen Pflanzen verschiedene kleine Thiere bemerkte, so that ich einige dieser Pflanzen in ein groß Glas mit Wasser, welches ich inwendig aufs Fensterbret setzte, und hierauf fing ich an, die darin enthaltenen Insekten1 näher zu betrachten. Sogleich fand ich viele, die zwar gemein sind, mir aber größtentheils unbekannt waren. Ein so neues Schauspiel, als mir diese Thierchen zeigten, erregte meine ganze Neubegierde. Da ich nun dies mit Insekten bevölkerte Glas mit den Augen durchlief, erblickte ich zum erstenmale einen Polypen, der an dem Stengel eines Wasserpflänzchens hing. Anfänglich achtete ich darauf nicht viel. Vielmehr verfolgte ich gewisse andere kleine Insekten, die wegen ihrer Lebhaftigkeit meine Aufmerksamkeit stärker, als ein unbewegliches Objekt an sich zogen, das, so mans nur im Vorbeigehen ansah, für nichts anderes als für eine Pflanze, vornehmlich von jemand konnte gehalten werden, der noch keinen Begriff von Thieren hatte, deren Gestalt den Süßwasserpolypen, wie etwa die Seepolypen, nahe käme.

Die Polypen, welche ich zuerst entdeckte, sind von einer sehr schönen grünen Farbe. Es waren ihrer verschiedene in dem gedachten großen Glase. Die ersten Male, als ich diese Körperchen betrachtete, hielt ich sie für Schmarotzerpflanzen, die auf anderen Pflanzen wachsen. Ihre Gestalt, ihre grüne Farbe und Unbeweglichkeit brachten mich auf den Gedanken, daß es Pflanzen wären. Und dies ist auch bei vielen Personen, die sie in ihrer gewöhnlichen Stellung zum erstenmale gesehen haben, der erste Gedanke gewesen.

Das erste, was ich an den Polypen bemerkt habe, war die Bewegung der Arme. Sie krümmten und drehten sie ganz langsam nach verschiedenen Seiten. Der vorgefaßten Meinung zufolge, die ich einmal im Kopfe hatte, die Polypen wären Pflanzen, konnte ich mir nicht vorstellen, daß ihnen die Bewegung, die ich oben am Ende der dünnen Fäden bemerkte, selbst eigen wäre. Indessen schien sie es doch, und je mehr ich in der Folge die Bewegung dieser Arme betrachtete, je mehr schien mir solche von einer inneren Ursache und nicht von einer äußeren Stoßkraft auf die Polypen herzurühren. Einsmals bewegte ich das Glas, worin sie waren, ganz sachte, um zu sehen, was diese Bewegung des Wassers für eine Wirkung auf die Arme haben würde. Hier war ich mir nun dergleichen, als sie hervorbrachte, im mindesten nicht gewärtig. Anstatt, daß ich erwartete, es würden die Arme und Körper der Polypen bloß im Wasser mitbewegt werden und also der Bewegung des Wassers folgen, so wurde ich gewahr, daß sie sich plötzlich und so stark zusammenzogen, daß der Körper der Polypen nicht anders, als ein grünes Körnchen aussahe, und die Arme ganz aus meinem Gesichte verschwanden. Hierüber erstaunte ich2. Meine Neubegierde wurde desto mehr gereizt und meine Aufmerksamkeit verdoppelt. Da ich nun mit dem Auge vermittels eines Handvergrößerungsglases verschiedene Polypen, die ich hatte zusammenfahren sehen, überlief, so sahe ich bald, wie sie wieder anfingen, sich auszustrecken. Ihre Arme kamen aufs neue zum Vorscheine und es nahmen diese Polypen ihre erste Gestalt wieder an. Dies Zusammenziehen der Polypen, sammt allen Bewegungen, die ich sie machen sahe, wenn sie sich von neuem ausstreckten, erweckte in mir den lebhaften Gedanken: daß es wirkliche Thiere wären«.

Trembley's Zweifel an der Thierheit der von ihm entdeckten Geschöpfe waren jedoch noch nicht beseitigt. Es konnten ja »empfindsame« Pflanzen sein. Erst als er sie nach Art der Spannraupen durch abwechselndes Aufsetzen der Arme und des Fußendes sich bewegen sah, hatte er die [462] volle Ueberzeugung gewonnen, und nun entdeckte er auch, daß sie Licht und Dunkel unterschieden und sich regelmäßig an derjenigen Stelle des sonst verdunkelten Glases versammelten, wo er den Lichtstrahlen Zugang gestattet hatte.

In das höchste Erstaunen versetzte ihn aber die Beobachtung, daß in Stücken zerschnittene Polypen nicht zu Grunde gingen, sondern daß die Theile sich zu neuen Polypen entwickelten. Er hatte folgende Probe machen wollen. Sind die Geschöpfe Pflanzen, so werden davon abgeschnittene Stücken gleich Reisern weiter wachsen. Unterdessen hatte er sich von der Thierheit überzeugt, und es war nun nach den damaligen Ansichten über das Wesen des Thieres etwas Unerhörtes, daß aus den Stücken dennoch neue Individuen erwuchsen. Von hier an schreiben sich die berühmten Theilungsversuche, mit denen er in der ganzen Naturforscherwelt und weit darüber hinaus das ungeheuerste Aufsehen erregte.

Unter Trembley's Nachfolgern verdient besonders der liebenswürdige Nürnberger Rösel hervorgehoben zu werden, der 1755 im dritten Theile der »monatlich herausgegebenen Insektenbelustigung« in seiner naiven und anziehenden Weise seine Beobachtungen mitgetheilt hat. Er unterschied in der Umgebung von Nürnberg vier Arten von Hydren, welche, wie wir gestehen müssen, heute noch nicht besser unterschieden worden sind, als es ihm damals möglich war. Nur zwei scheinen fest begründet: die große langarmige und knospenreiche braune und die kleinere kurzarmige grüne. Die beiden anderen von Rösel unterschiedenen sind möglicherweise Abarten. Die Lebensweise der Süßwasserpolypen ist von Rösel sehr sorgfältig und richtig beobachtet worden. Er beschreibt die Art, wie sie sich der Beute, mikroskopischer Krebse und Naiden, bemächtigen, wobei ihm allerdings die Wirkung der Nesselzellen verborgen blieb. »So viel ich bemerkt habe«, sagt er, »so geschieht solches auf dreierlei Art. Denn manchmalen hat der Polyp seine Arme nicht völlig ausgestrecket, und wenn sodann ein kleines Insekt oder ein Wasserfloh nahe bei ihm vorbeischwimmt, bieget er sich wohl nach ihm und ergreift solches mit allen seinen Armen zugleich sehr behende, so, wie eine Spinne mit ihren Füßen eine Mücke zu ergreifen pfleget. Hernachen sitzen die Polypen manchmalen mit ihren sehr lang ausgestreckten Armen ganz stille; fähret nun aber ein Wasserfloh etwanen zu nahe bei ihnen vorbei, so machen sie mit dem Arme, denen solcher am nächsten ist, eine geringe Bewegung, ohne daß sie ihn, wie sie auch manchmalen zu thun pflegen, damit umfassen, sondern sie dürfen nur den Wasserfloh damit berühren, so bleibet solcher gleich daran behangen, wie ein Vogel an den Leimruthen hangen bleibt, und dieses geschiehet sowohl am äußersten Ende des Armes, als auch in der Mitte und nahe am Kopfe. Wenn aber das Insekt gefangen ist, so ziehet es der Polyp ganz ruhig zum Munde und verschluckt solches. Doch habe ich auch manchmalen gesehen, daß sich die Wasserflöhe, wenn sie gefangen wurden, wieder mit vieler Mühe loszumachen gesuchet und losgerissen haben, ohne daß sich der Polyp derselben wieder habhaft zu werden im geringsten bemühet hätte.« Als dritte Art, mit der Beute fertig zu werden, wenn dieselbe größer ist, beschreibt Rösel den Fang einer Naide, die mit einem oder zwei Armen gefaßt, alsdann aber auch von den übrigen Armen umstrickt wird.

Ebenso sorgsam beobachtete unserer Kollege Rösel und seine Zeitgenossen die Knospenbildung, wobei ihm nicht entging, daß die jungen, an verschiedenen Stellen des Mutterthieres hervorwachsenden Polypen auch noch dann, wenn sie schon mit eigenem Munde und eigenen Armen für sich sorgen können, dennoch mit der Verdauungshöhle der Mutter in offenem Zusammenhange stehen. »Ehe noch der junge Polyp seine Arme erhalten und sich derselben, um Beute zu machen, bedienen kann, bekommt er seine Nahrung aus dem Leibe der Mutter, mit welchem er, wie ein Ast eines Blutgefäßes mit seinem Stamme, zusammenhanget, so daß er sich in den hohlen Kanal desselben öffnet. Wenn er aber seine Arme gebrauchen und ausstrecken kann, so suchet er sich durch solche, ob er gleich noch an der Mutter hänget, bereits seine Nahrung selbst zu verschaffen, indem er, wie ich vielmals gesehen habe, bald hie bald da mit solchen ein kleines Insekt erhaschet und verschlucket. Ist aber der junge Polyp zeitig und reif, so kann man auch bei einer geringen [463] Vergrößerung wahrnehmen, daß er sich nun bald losmachen werde. Denn der dunklere Kanal des Jungen wird am hinteren Ende, wo er mit der Mutter einen sichtbaren Zusammenhang hat, immer dünner und endlich so zart, daß man zwischen ihm und der Mutter, auch mit der stärksten Vergrößerung, keine Verbindung mehr wahrnehmen kann, ob er gleich noch mit seiner äußeren und helleren Rinde an solcher hanget, welches aber nicht lange währet: denn wenn es einmal so weit gekommen ist, so fängt der junge Polyp an, sowohl seinen Leib, als seine Arme stark auszustrecken, bis er sich endlich durch seine Bewegung losreißet. Ist dieses geschehen, so setzt er sich, gleich der Mutter, mit seinem hinteren Theil irgendwo veste, und versorget sich alsdann selbsten.«

Auch der Erkenntnis, daß die Hydren sich periodisch durch Eier fortpflanzen, welche einzeln ungefähr in der Mitte des Leibes in besonderen, sich über die Oberfläche erhebenden beulenartigen Kapseln sich entwickeln und dann die weitere Entwickelung durchmachen, nachdem die Kapsel geborsten ist, war Rösel ganz nahe. Er beschreibt diese Eier, die er im Herbste fand, vollkommen richtig und vergleicht sie »einem Meerigel oder Seeapfel«, da sie rings herum gleichsam mit vielen zarten, aber sowohl an Länge wie an Steife ungleichen Stachelspitzen dicht besetzt seien. Die von ihm gesammelten undurchsichtigen braunen Körper gingen jedoch zu Grunde, und so hielt er sie für krankhafte Bildungen. Dagegen beschreibt er sehr anschaulich eine wirkliche Plage unserer Polypen, die Pein, welche ihnen durch ein Infusionsthier, die Polypenlaus (Trichodina pediculus), verursacht wird. »Was nun aber die Läuse anbetrifft, von welchen jetzt die Rede ist, und welche die Polypen bis auf den Tod zu quälen pflegen, auch allezeit von selbigen von ungleicher Größe angetroffen werden, so sind sie hell und durchsichtig, in ihrem Leibe entdecket man aber dennoch einige dunkle Punkte. Wenn sie im Wasser schwimmen, sind sie von ovalrunder Form, und da bewegen sie sich bald nach einer Schlangenlinie, bald nach einer Schneckenlinie. Ihre Bewegung selbst ist gar geschwind, wie sie denn sehr schnell im Wasser hin und her fahren. Wenn sie sich an einem Polyp oder auch an einem anderen Körper ansetzen, so ändern sie ihre ovalrunde Form und werden spulenförmig, so daß sie hinten und vornen zugespitzt erscheinen. Alsdann aber siehet man nicht ohne Verwunderung durch ein zusammengesetztes Mikroskopium, wie schnell sie an dem Polyp hin und her laufen, ohne daß man an selbigem einen, will geschweigen viele Füße wahrnehmen sollte. (Hier reicht Rösels Mikroskop nicht aus.) Anfangs gibt sich zwar der Polyp viele Mühe, sich dieser verdrießlichen Gäste zu entledigen, wie er sie denn nicht nur mit seinen Armen abzustreifen suchet, sondern auch durch wiederholtes Ausstrecken und Zusammenziehen sich ihrer loszumachen trachtet. Alleine er richtet damit wenig aus, indem sie sich an die Arme, mit welchen er sie wegschaffen will, sogleich ansetzen und an selbigen auf und abkriechen. Ja ich habe auch öfter gesehen, daß sie von der Stelle, wo sie sitzen, gleich einem Blitze herabfahren, in dem Wasser nach einer krummen Linien herumschwimmen, bald darauf aber wieder mit gleicher Geschwindigkeit auf den Polyp zurück kommen. Endlich aber scheinet es, als würde der Polyp müde, sich ihnen zu widersetzen; und da wird er öfters so voll dieser Läuse, daß man ihn kaum mehr für das, was er doch wirklich ist, halten sollte; bald darauf aber verliert er seine Arme und mit selbigen auch das Leben.«

Als größte Merkwürdigkeit aber erschien jenen alten Naturforschern die Eigenschaft der Süßwasserpolypen, daß man sie künstlich zertheilen und aus den entweder noch zusammenhängenden oder gänzlich abgetrennten Stücken neue Thiere oder neue Köpfe, Schwänze, Arme heranwachsen lassen könnte. Es wurden tausende von Polypen auf alle mögliche Weise angeschnitten, gespalten, kreuz und quer getheilt und die tollsten Monstren und Mißgeburten erzogen und vielhundertfach abgebildet. Trembley brachte es dahin, eine Hydra in funfzig Stücke zu zerschneiden und alle funfzig zu neuen Polypen zu erziehen. Rösel berichtet, daß er einen Polypen nach allen Richtungen aufs gerathewohl zerstückelt und ebenfalls eine ganz neue Brut erhalten habe. Die künstlichen Mißgeburten mit vielen Köpfen und vielen Schwänzen wurden den theilnehmenden Naturfreunden gezeigt, und die Philosophen, wie Bonnet und Crusius, bemächtigten sich der Versuche, um daran über die Einheit, Vielheit oder Theilbarkeit der Seele Spekulationen anzuknüpfen.

[464] Fast noch größeres Erstaunen rief aber Trembley's im Jahre 1742 angestellter und, wenn man den Berichten glauben darf, gelungener Versuch hervor, den Polypen umzukehren oder umzukrempeln, wie man an einem Handschuhfinger das Innere nach außen bringt. Die Operation wollte ihm anfänglich, wo er sie an Polypen mit leerem Magen vornahm, nicht gelingen; sie hatte aber den schönsten Erfolg nach einer tüchtigen Mahlzeit des Thieres, wir werden gleich sehen, warum. Es ist höchst wünschenswerth, daß diese Versuche, die in unserem Jahrhunderte, wie es scheint, gar nicht wiederholt und kontrollirt wurden, von neuem sorgfältig angestellt werden, und deshalb mag uns Trembley sein Vorgehen erzählen. »Den Anfang mache ich so, daß ich dem Polypen, den ich umkehren will, einen Wurm (Naide) zu fressen gebe. Hat er den verschluckt so schreite ich selbst zur Operation. Ich habe nicht nöthig, die völlige Verdauung des Wurmes abzuwarten, sondern ich thue gleich den Polypen, dessen Magen recht voll ist, mit etwas Wasser in meine hohle linke Hand. Hierauf drücke ich ihn mit einem kleinen Pinsel mehr am Hinter- als am Vordertheile. Auf solche Art treibe ich den Wurm aus dem Magen nach des Polypen Maule zu.


Künstliches Monstrum des Süßwasser-Polypen. Vergrößert.
Künstliches Monstrum des Süßwasser-Polypen. Vergrößert.

Dadurch muß sich solches aufthun, und, indem ich den Polypen wieder mit dem Pinsel etwas drücke, so kommt ein Theil des Wurmes aus dem Munde heraus, und solchergestalt wird der Magen desto lediger, je weiter der Wurm vorn heraustritt. Dadurch, daß der Wurm aus des Polypen Maule gedrückt wird, muß sich solches ziemlich weit aufthun. Ist nun der Polyp in diesem Zustande, so bringe ich ihn sehr behutsam auf den Rand meiner Hand, der bloß etwas angefeuchtet ist, damit der Polyp nicht zu stark anklebe. Ich nöthige ihn alsdann, sich immer mehr zusammen zu ziehen, und eben dadurch wird auch Maul und Magen desto mehr erweitert. Hierauf nehme ich in die rechte Hand eine ziemlich dicke und stumpfe Schweinsborste (andere später eine feine Stecknadel) und fasse sie dergestalt, wie man eine Lanzette zum Aderlassen hält. Das dickste Ende halte ich an das Hinterende des Polypen und stoße es bis in den Magen hinein, welches desto leichter von statten geht, da er hier ledig und sehr erweitert ist. Hierauf drücke ich die Schweinsborste immer weiter fort. Je weiter solche nun hinein gehet, desto mehr kehret sich der Polyp um.« Kurz, der Polyp sitzt zuletzt so auf der Schweinsborste, wie Münchhausens Bär auf der Deichsel, aber das Auswendige ist zum Inwendigen geworden, und er wird nun, mit der Borste ins Wasser gehalten, mit dem Pinsel von der Borste abgeschoben. Da es oft vorkam, daß der umgewendete Polyp mit der Wandlung nicht zufrieden war und sich selbst wieder in sein natürliches Dasein zurückstülpte, kam der erfindungsreiche Trembley auf den Gedanken, ihn nach vollendeter Operation gleich einer Wurst zuzuspeilen. »Denn«, sagt Trembley, »es ist für einen Polypen nichts, aufgespießt zu werden.«

Man möchte glauben, daß es sich so verhält, denn Trembley berichtet weiter, nicht nur, daß viele seiner Opfer sich bald daran gewöhnt hätten, mit ihrer einstigen Hautfläche zu verdauen, sondern auch, daß sie auswendig Knospen gebildet und sich so fortgepflanzt hätten. Wir möchten um so weniger an der Richtigkeit dieser Versuche zweifeln, als sie von Trembley's Zeitgenossen bestätigt wurden. Dennoch bedarf die Angelegenheit einer nochmaligen Prüfung, welche zu untersuchen hat, ob, was fast unglaublich, die beiden ihrer feineren Struktur nach von einander abweichenden Hauptschichten des Leibes der Hydren ihre Rollen wirklich vertauschen können.

Fußnoten

1 Mit »Insekten« bezeichnete man die verschiedenartigsten niederen Thiere.


2 Der vortreffliche Goeze macht hierzu folgende Bemerkung: »Ich wundere mich gar nicht über die Verwunderung eines Trembley's. Man setze sich in seine Stelle. Ich weiß es aus der Erfahrung, wie es mir ergangen, da ich die so sehnlich gewünschten Polypen, von denen ich Begriff, Gestalt, Bewegung und Eigenschaften wußte, die ich hundertmal schon in Kupfer gesehen, zum erstenmale erblickte. Und ich glaube, es werden alle die, welche sie zum erstenmale zu Gesichte bekommen, gleiche Empfindungen haben. Was muß nun nicht ihr erster Erfinder empfunden haben, da er merkte, daß es wahrhafte Thiere wären? Thiere, mit denen er gleichsam auf der Stufe stand, wo die Natur aus dem Thier- zum Pflanzenreiche übergehen will!«


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 461-466.
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