3. Sippe: Asterias

[439] Die Beobachtung lebender Seesterne, z.B. des an den Küsten der Nordsee gemeinsten Asteracanthion rubens oder des im Mittelmeere ebenso häufigen Asteracanthion tenuispinum – letzterer durch die wechselnde Anzahl der Strahlen ausgezeichnet – gewährt mancherlei Interesse. [439] Man lege zuerst den Gefangenen im Wasser auf den Rücken, um alsbald sämmtliche Saugfüßchen in Thätigkeit zu sehen. Es geht ein förmliches Gewoge über sie, nach allen Richtungen werden sie tastend ausgestreckt, und gelingt es einigen, seitlich oder oben mit den Saugnäpfen Halt zu gewinnen, so erachtet sich der Seestern für gerettet aus seiner ihm höchst unbequemen Lage; er weiß mehr und mehr Zugkraft anzubringen, und hat er erst einen Strahl gesichert, so vollzieht er die Wendung des ganzen Körpers ohne Schwierigkeit. Wir lassen ihn nun laufen. Er benimmt sich ganz anders als der Seeigel, ist viel munterer und kriecht weit schneller. Eine Asterias aurantiaca von neun Centimeter im Durchmesser legte nach genauer Messung in der Minute drei Wiener Zoll zurück. Jeder Strahl kann dabei vorangehen und die Thiere sind im Stande, nicht nur Unebenheiten zu überwinden und senkrecht auf- und abwärts zu steigen, sondern sie drücken sich auch durch Engpässe, indem sie zwei Strahlen nach vorn und drei nach hinten an einander legen. Man erstaunt um so mehr über diese Dehnbarkeit, als bei manchen Arten die Strahlen einem unter den Händen aus der Scheibe ausbrechen. Jedem Beobachter wird es sogleich auffallen, daß das Ende der Strahlen eines kriechenden Seesternes, und besonders die gerade vorwärts gerichteten etwas aufgebogen gehalten werden. Dabei werden die Saugfüßchen der gelüfteten Spitzen als Taster ausgestreckt; auf die übrigen wird die Arbeit des Ziehens vertheilt. Auf der Spitze eines jeden Strahles befindet sich aber auch ein Auge, welches man an großen Seesternen als ein feines rothes Pünktchen wahrnimmt. Durch das Mikroskop ist ein Bau dieser Organe sichergestellt, welcher sie als wirkliche Sinnes- und zwar Gesichtswerkzeuge erscheinen läßt.

Es wurde eben gesagt, daß einzelne Seesternarten auch im lebenden Zustande sehr zerbrechlich seien. Keine ist wohl in dieser Hinsicht empfindlicher als das mittelmeerische Asteracanthion tenuispinum. Man erkennt dieses Thier, das einen Durchmesser von 12 bis 18 Centimeter hat, leicht an den fast stachelförmigen Höckern der Oberseite, namentlich aber daran, daß es gewöhnlich sechs oder sieben Strahlen besitzt. Ich habe auf dem Gruppenbilde zwei dieser Asteracanthien zeichnen lassen, an denen zwischen einigen vollständig ausgebildeten Strahlen die übrigen nur als kleine Knospen und Stummeln erscheinen. Es ist nämlich fast Regel, daß die Strahlen verloren gehen. Das Leben wird aber damit nicht im geringsten gefährdet, die Wunde verharscht sehr schnell und der Strahl wächst von neuem. Ja man findet nicht selten Exemplare mit nur einem von den ursprünglichen Strahlen, der dann in der That mit den ihm anhaftenden Pygmäen den Eindruck macht, wie ein Mutterthier mit den von ihm gezeugten Knospen. Wir werden sogleich unten, bei den Ophiuren, einem Beispiele begegnen, wo die Abtrennung mit darauf folgender Knospenbildung ein normaler Vorgang ist, so daß die Wahrscheinlichkeit sehr groß wird, daß auch bei Asteracanthion und ähnlichen Seesternen derselbe Vorgang stattfindet.

Am liebsten gehen sie auf Schnecken und Muscheln. Sie legen ihre Bauchscheibe mit den Saugfüßchen und dem Munde um die Beute, welche zwar anfänglich Deckel und Schalen fest anziehen und verschließen, allein wohl infolge des Ausscheidens eines betäubenden Saftes bald in ihrem Widerstande nachlassen, so daß eine Art von häutigem, faltigem Rüssel, welchen der Seestern ausstülpt, in das Weichthiergehäuse eindringt oder es umfaßt und dessen In halt aufsaugt. Seesterne, wie Asterias arenicola an der nordamerikanischen Küste, sind mithin die gefährlichsten Feinde der Austernbänke. Das einzige Mittel gegen sie ist, sie mit dem Dredschnetz zu fangen und dann am Lande absterben zu lassen. Sie in Stücke schneiden und wieder ins Wasser werfen, würde nichts anderes heißen, als sie künstlich vermehren. Man findet nicht selten mehrere Seesterne um eine Muschel geballt, und gar oft bin ich von dem Aerger der Fischer Zeuge gewesen, wenn sie an den über Nacht gelegenen Tiefangeln statt der gehofften Dorsche und Kabeljaus die auf der Jagd nach den Ködern sich angehakt habenden Seesterne aufzogen. Für den Naturforscher fällt dabei allerdings nicht selten gute Beute ab. Das einzige Exemplar des seltenen Asteronyx Loveni, eines Schlangensternes, welches ich auf meiner norwegischen Reise erbeutete, bekam ich am Oexfjord von einem Fisch-Lappen, der es noch an der langen Angelschnur hatte. Einem anderen Fisch-Lappen, [440] den ich als Ruderer gedungen hatte, überkam, als er hörte, wie ich mich auch mit dem Einsammeln der von ihm so gründlich verachteten Seesterne abgäbe, ein solches Gefühl der Ueberlegenheit, daß er mir fast den Gehorsam kündigte und auf der ganzen Fahrt seine Genossen mit schlechten Witzen über mich belustigte.


Schlangenstern (Ophiotrix fragilis). 2/3 natürl. Größe.
Schlangenstern (Ophiotrix fragilis). 2/3 natürl. Größe.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 439-441.
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