Rösels Trompetenthierchen (Stentor Röselii)

[550] Hierher gehört die Gattung Trompetenthierchen (Stentor). Eine sehr häufig vorkommende Art, Rösels Trompetenthierchen der Neueren, ist von diesem Naturforscher unter dem Namen »der schallmeienähnliche Afterpolyp« sehr gut beschrieben worden. »Es findet sich selbige Art am häufigsten an der unteren Fläche der Meerlinsen, an welchen sie mit ihrem spitzigen [550] Hintertheile festsitzen. Wenn man die Thiere betrachtet, so verändern sie fast alle Augenblicke ihre Gestalt; und ob sie gleich dieselbe immerzu verändern, so bleibt der Körper doch allezeit vorne am dickesten, der Theil aber, womit sie sich ansetzen, am dünnesten und spitzigsten. Oeffnet ein solcher Afterpolyp sein dickes Vordertheil, wo eigentlich der Kopf und Mund sind, so gleicht solches dem weiten Schalloche einer Trompete oder Schallmeie, und da hat er auch, wie dieses, eine vertiefte Höhlung, an seinem Rande aber ist es, wie unsere Augendeckel, mit einer Reihe kurzer, aber doch gleich großer Härlein besetzet, mit welchen ein solcher Afterpolyp wechselsweis vippert.


Rösels Trompetenthierchen (Stentor Röselii). 200mal vergrößert. (Nach dem Leben von Simroth.)
Rösels Trompetenthierchen (Stentor Röselii). 200mal vergrößert. (Nach dem Leben von Simroth.)

Mit dieser Mündung können aber dergleichen Afterpolypen einen beständigen Wirbel im Wasser erregen, und durch solchen viele und mancherlei kleine Körper in sich ziehen, auch wieder, was ihnen dann nicht anständig ist, von sich stoßen. Bei ihren verschiedenen Bewegungen verlängern sie bald ihren Leib oder sie strecken denselben völlig aus, und da öffnen sie allezeit den vorderen Theil. Bald verkürzen sie denselben und ziehen ihn schnell zusammen, bald aber schwimmen sie, und da wird die Gestalt ihrer Körper ebenfalls auf mancherlei Weise verändert. Wenn sie an einer Meerlinse sitzen, und man betrachtet dieselbe mit Aufmerksamkeit, so wird man folgende Veränderungen an ihrem Körper beobachten. Sie können nämlich selbigen so zusammenziehen, daß man fast gar nichts erblicket; bald darauf aber kommt er wieder kolbenförmig zum Vorscheine. Darauf öffnete sie ihren vorderen Theil. Gleichwie sich aber zwischen diesen Bewegungen, bald da bald dorten, einer von diesen Afterpolypen schnell einziehet und wieder ausstrecket, so verschwinden sie auch, wenn sie etwa eine Erschütterung verspüren, alle auf einmal. Wenn sie sich von dem Orte, woran sie erst gesessen, wegbegeben, wie dann bald mehrere [551] derselben ihre übrigen Gesellen verlassen und im Wasser herumschwimmen, aber auch wieder zu ihrer Gesellschaft zurückkehren, oder anderswo ihren Sitz nehmen: so verändern sie ihre Gestalt ebenfalls auf verschiedene Weise, und da sehen sie bald kurz und dick aus, bald lang, bald dick und klein. Im Schwimmen machen sie bald eine gerade, bald aber auch eine geschwungene Linie, und zuweilen einen Kreis.«

Unsere Abbildung läßt uns zunächst jene wichtigen, die echten Infusorien kennzeichnenden Theile sehen, den Mundtrichter innerhalb der Wimperspirale des Vorderendes, rechts davon die Blase und in der Mitte des Leibes den lang gezogenen Kern. Die Stentoren lieben es, mit dem Hinterende sich festzusetzen. Sie können dasselbe wie eine Art von Saugnapf benutzen; außerdem sind aber dabei die längeren Wimpern behülflich, welche offenbar klebrig sind und den Wurzelfüßchen der Rhizopoden (siehe unten) sehr nahe zu stehen scheinen. Die zahlreichen Gestaltveränderungen, welche Rösel uns beschrieben hat, werden durch muskelartige Protoplasmastränge hervorgebracht. Selbst bei vollständiger Streckung ist die Körperoberfläche, außer am Hinterende, nicht ganz glatt, sondern es verlaufen in der Längsrichtung Furchen. Eben in diesen Furchen, unter dem den ganzen Körper überziehenden Oberhäutchen, liegen die kontraktilen Protoplasmabänder, bei deren Zusammenziehung die Oberhaut sich runzelt. In den Thalfurchen befinden sich auch die regelmäßigen Wimperreihen, welche in den Streifen wurzeln. Es ergibt sich daraus die Erklärung der hier und bei anderen Infusorien leicht zu beobachtenden Erscheinung, daß die Thiere die Richtung im Schwimmen schnell wechseln und bald mit dem Vorder-, bald mit dem Hinterende vorausgehen können. Es bedarf nämlich nur einer vom kontraktilen Streifen ausgehenden Stellung des Wurzeltheiles der Wimpern in der Richtung nach hinten oder vorn, um den Körper nach vorn oder hinten zu bewegen.

Das Bild des Rösel'schen Stentors zeigt uns noch einen seitlichen geschwungenen Streifen solcher starken Wimpern, wie sie sich auf der Spirale des Vorderendes finden. Schon Trembley hatte seit 1744 diese Erscheinung an den Stentoren verfolgt. Er hatte bemerkt, daß einzelne Thiere diesen Wimperstreifen besitzen, andere nicht; er hatte gesehen, daß damit eine Theilung eingeleitet wird, welche schief durch das Thier geht, und wobei aus jener Anlage die Mundspirale des neuen Hinterthieres wird. In neuerer Zeit hat ein französischer Forscher, Fermontel diesen Vorgang beschrieben. Er beginnt mit der Erhebung eines gezähnelten Hautstreifens, der sich in die bewimperte Linie verwandelt. Dieselbe steigt bis ungefähr zur Mitte des Körpers mehr oder weniger schief herab, worauf eine quere schiefe Einschnürung erfolgt, während welcher der untere Theil der Wimperscheide sich in die Mundspirale des neuen Hinterindividuums verlängert, der vordere Theil aber eingeht. Die Abschnürung ist bald so tief, daß es aussieht, als ob das Vorderthier wie in einem Trichter im Hinterthiere stecke. Jenes hat die Wimperspirale, die kontraktile Blase, Mund und Schlund behalten, vom Kern die obere Hälfte. Abgesehen von der Kernhälfte, hat das Hinterthier sich alle diese Organe neu bauen müssen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 550-552.
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