Gordius aquaticus

[135] Durch manche interessante Eigenthümlichkeit des Baues und der Lebensweise ist die Familie der Saitenwürmer (Gordiacea) ausgezeichnet.


Körperende von Gordius setiger, Männchen. Vergrößert.
Körperende von Gordius setiger, Männchen. Vergrößert.

Schon seit Jahrhunderten wird derjenige Saitenwurm, welcher seit Linné den Namen Gordius aquaticus führt, in den naturgeschichtlichen Schriften erwähnt. Der wahrscheinlich sehr alte, im Volke entstandene Name »Wasserkalb« ist seit 1550 durch Geßner aufbewahrt. Die auffälligen Verschlingungen und Verknotungen, welche die Thiere auf dem Grunde der Gewässer einzeln oder zu mehreren bilden, ließen sie mit einem Gordischen Knoten vergleichen, und zum Gordischen Knoten gestaltete sich dem Pastor Göze in Quedlinburg, dem Verfasser der ausgezeichneten Naturgeschichte der Eingeweidewürmer, die von uns jetzt Mermis genannte Gattung, deren dunkle, mit Einwanderungen in Insekten verknüpfte Lebensgeschichte ihm unlösbar schien.

Wir unterscheiden unter den Saitenwürmern zwei Gattungen. Von der einen, Gordius, kommen bei uns mehrere Arten vor, welche früher nicht unterschieden und als Gordius aquaticus, Wasserkalb, zusammengefaßt wurden. Die mittlere Länge der Männchen beträgt 10 bis 15 Centimeter, doch messen einzelne über 30 Centimeter. Die mittlere Länge der Weibchen ist gegen 10 Centimeter. Die Dicke der mittelgroßen Männchen schwankt zwischen zwei Fünftel und einem halben Millimeter; die Weibchen sind etwas dicker. Die im allgemeinen braune Farbe kommt in mannigfachen Nüancen vor. Die Männchen sind durchgehends dunkler und vorwiegend schwärzlich gefärbt, vom glänzenden Mäusegrau bis zum tiefsten, glänzenden Braunschwarz, welches an einigen Körperstellen auch in reines Schwarz übergehen kann. Die Farbe der Weibchen ist stets heller und nicht glänzend, vom Isabellgelb fast bis zum gesättigten Gelbbraun. Auf der Mittellinie des Bauches und des Rückens verläuft bei Männchen und Weibchen ein dunkler Längsstreif, der auch bei den im übrigen dunkelsten Männchen noch wahrnehmbar ist. Bei dem erwachsenen Thiere ist ein Darmkanal nur im verkümmerten Zustande vorhanden, und es scheint, als wenn es in diesem Zustande gar keine Nahrung zu sich nehme. Wir kommen unten, nachdem wir die Verwandlung des Wasserkalbes kennen gelernt, auf diesen Punkt zurück. An eine Ernährung frei lebender Thiere durch bloße Hautaufsaugung ist nicht zu denken. Ein allgemeines Kennzeichen der Gattung Gordius ist das gabelförmig gespaltene Schwanzende des Männchens.

Die Wasserkälber halten sich im geschlechtsreifen Zustande in seichten stehenden und fließenden Gewässern auf. Ueber ihr Vorkommen erzählt von Siebold: »Bei einer zoologischen Exkursion in das liebliche Wiesenthal der Fränkischen Schweiz untersuchte ich zwischen Streitberg und Muggendorf in einem kleinen engen Seitenthale die von einem ausgetrockneten Bache hinterlassenen Lachen und erblickte in diesen ein Paar lebende Gordien, welche mich anspornten, auf diese Thiere meine besondere Aufmerksamkeit zu richten. Meine Mühe blieb nicht unbelohnt; denn nach mehrmaligem Durchsuchen der oben erwähnten Lokalitäten erhielt ich funfzig bis sechzig Stück solcher Fadenwürmer. Sie bestanden aus den beiden Arten Gordius aquaticus und Gordius subbifurcus, [135] unter denen sich aber die erstere nur sehr sparsam vorfand. Bei beiden Arten waren die männlichen Individuen vorherrschend. Es erforderte übrigens das Auffinden dieser Würmer eine gewisse Aufmerksamkeit, indem man sie einzeln in ausgestrecktem Zustande bei ihren trägen, schlangenförmigen Bewegungen oder zu mehreren in einen Knäuel aufgewickelt, bei ihrer dunkeln Farbe zwischen den verschiedenen auf dem Grunde des Wassers liegenden macerirten Pflanzenfasern leicht übersehen konnte. Manche ragten zwischen Steinen und Wurzeln nur mit ihrem Vorderleibsende hervor oder steckten an den Ufern des Flusses theilweise im Schlamme und waren dann noch schwerer zu bemerken.

Da ich wußte, daß ich es hier mit ausgewanderten Parasiten zu thun hatte, so sah ich mich in der Umgebung des Fundortes dieser Würmer nach ihren ehemaligen Wohnthieren um und konnte auch verschiedene Laufkäfer im Thale bemerken, von denen mehrere im Wasser ertrunken lagen; ich brach allen diesen Käfern den Hinterleib auf und erhielt wirklich aus einer Feronia melanaria einen männlichen Gordius aquaticus.

Wie häufig übrigens die Gordiaceen in der Umgebung von Streitberg vorkommen, konnte ich noch aus einem anderen Grunde entnehmen.


Larve des Wasserkalbes. a Mit ausgestülptem, b mit eingezogenem Stachel; c zwei Exemplare im Beine der Eintagsfliegen-Larve. Stark vergrößert.
Larve des Wasserkalbes. a Mit ausgestülptem, b mit eingezogenem Stachel; c zwei Exemplare im Beine der Eintagsfliegen-Larve. Stark vergrößert.

Der Posthalter und Gastwirt im Dorfe Streitberg kannte nämlich die Fadenwürmer, denen ich mit so vielem Interesse nachspürte, recht gut, da sie, wie er mir mittheilte, nicht selten in dem Brunnentroge hinter seinem Hause gefunden würden; auch wußte derselbe, daß diese Würmer mit dem laufenden Wasser seines Röhrenbrunnens dort hineingelangten, weshalb er seiner Dienerschaft zur besonderen Pflicht gemacht, bei dem Herbeiholen von Trinkwasser stets nachzusehen, ob nicht ein solcher Fadenwurm in das dem Brunnenrohre untergehaltene Gefäß mit dem Wasser hineingespült worden sei. Ich nahm hiernach Veranlassung, einige Brunnentröge des Dorfes zu untersuchen, und erhielt auf diese Weise wirklich noch einige Gordien.« Dadurch wurde von Siebold in seiner Vermuthung bestärkt, daß eine Sennerin, die ein einige Centimeter langes Wasserkalb ausgebrochen hatte, dasselbe mit dem Trinkwasser verschluckt haben mochte.

Wie schon oben gesagt, sind die Gordien im geschlechtsreifen Zustande nicht Parasiten, wohl aber bringen sie den größten Theil ihres Lebens bis zur letzten Periode in gewissen Thieren zu. Wir sind zuerst durch die fleißigen Beobachtungen von Meißner über das Einwandern der Larven in Insekten unterrichtet worden. Die aus dem Eie kriechenden kleinen Gordien, ein achtzehntel Millimeter lang, sind sehr sonderbare Wesen, welche, wie der Beobachter sich ausdrückt, sowohl durch ihre äußerst geringe Größe, im Verhältnisse zu fußlangen ausgewachsenen Gordien, als besonders durch ihre Gestalt und Organisation in Erstaunen setzen. Ihr cylindrischer Leib besteht aus einem dickeren Vordertheile und einem dünneren schwanzartigen Anhange. Aus dem Leibe kann eine Art Kopf herausgestülpt werden, welcher mit zwei Kreisen von je sechs Häkchen besetzt ist, und bei dessen völliger Entfaltung noch ein horniger Rüssel hervortritt. Mit dieser Bewaffnung durchbohren die Thierchen zuerst ihre Eihülle. Da sie aber zu Hunderten ruhig am Boden des Aquariums liegen blieben, und es offenbar wurde, daß sie nicht auf einer Wanderung ihre Wirte aufsuchen, sondern abwarten werden, bis diese selbst unmittelbar sich ihnen nähern, that Meißner eine Menge Larven von Eintagsfliegen und Frühlingsfliegen in die Gefäße, worin die jungen Gordien sich [136] befanden, und die Einwanderung ging vor sich. Sie suchen die zarteren Stellen an den Gelenken der Beine auf, zwängen sich hier durch ein mit ihrem Hakenapparat gebohrtes Löchelchen und steigen unter häufigem und kräftigem Aus- und Einstülpen des Kopfes zwischen den Muskelfasern in den Füßen empor, um sich im ganzen Körper der Insektenlarven zu verbreiten. Sie gehen dann in einen Zustand der Ruhe über, indem sie sich ähnlich wie die Muskeltrichinen einkapseln. Daß sie für die zarten Insekten übrigens durchaus die Bedeutung der Trichinen haben, ergab sich daraus, daß jene nach Einwanderung von etwa vierzig jungen Gordien zu Grunde gingen.

Ueber die weiteren Schicksale und Wanderungen sind wir erst 1874 durch Villot belehrt worden, der mehrere Arten in seiner Heimat (Grenoble) untersuchte. Im Freien scheinen die Larven der Eintagsfliegen verschmäht zu werden. Die Gordius-Larven begeben sich in die Larven von Mücken aus den Gattungen Corethra und Chironomus. Diese aber werden eifrig verfolgt von verschiedenen Fischen, z.B. Pfrelle und Bartgrundel, und so gerathen die eingepuppten jungen Gordien in den Darmkanal unserer Süßwasserfische. Hier in der Schleimhaut des Darmes umgeben sie sich nun mit einer neuen Schale oder Cyste und verharren nun in diesem Zustande fünf bis sechs Monate, um dann die letzte Verwandlung zu bestehen, oder richtiger, zu begehen. Denn nunmehr greifen sie wieder selbstthätig in ihr Schicksal ein. Sie machen sich aus ihrer Hülle heraus, verlassen mit den Exkrementen den Darm ihres Wirtes, strecken ihren bisher querrunzeligen Körper und werfen den Bohrapparat am Kopfe ab. Jetzt, im Beginn des freien Lebens, besitzt das Wasserkalb einen Ernährungskanal gleich den anderen Fadenwürmern. Aber durch fortschreitende Entwickelung des Nervensystems und der Fortpflanzungswerkzeuge wird der Darmkanal eingeengt, die Mundöffnung verschwindet vollständig mit der Speiseröhre.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 135-137.
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