4. Sippe: Pedipes

[241] Die artenreichste Gattung ist Auricula, die zugleich eine außerordentliche Biegsamkeit in ihrer Verbreitung zeigt. Einige Arten derselben (A. scarabus und A. minima) leben an feuchten Orten an der Oberfläche des Bodens; eine andere (A. Judae) findet sich an sandigen, vom Meere überschwemmten Stellen; noch andere (A. myosotis, coniformis, nitens und andere) finden sich nur am Meeresufer in Gesellschaft echter Seebewohner, und endlich haben einige südamerikanische Arten die Lebensweise der Süßwasser-Lungenschnecken angenommen und bewohnen gleich diesen die süßen Gewässer. Wenn die Systematiker aus dieser Verschiedenheit des Standortes Veranlassung genommen haben, die Gattung in sogenannte Untergattungen zu theilen und den zoologischen Katalog mit neuen Namen zu belasten, so ist das völlig ungerechtfertigt. Indem wir uns davon leiten lassen, die wahrscheinliche gemeinsame Abstammung als leitenden Gesichtspunkt bei der Ausstellung von Thiergruppen (Gattungen, Familien usw.) gelten zu lassen, können wir auf den verschiedenen [241] Aufenthalt, sofern die Anpassung an ihn die anatomischen und Gestalteigenthümlichkeiten unverändert gelassen, gar kein Gewicht legen. Es beweist das Vorkommen der Arten einer und derselben Sippe auf dem Lande, im süßen und im salzigen Wasser nur die große Anpassungsfähigkeit. Durch eine sehr eigenthümliche Gangweise ist der den Auriculaceen sich anreihende, nur in Tropenländern vorkommende, Pedipes ausgezeichnet. Der Fuß ist bei ihm durch eine Querfurche in zwei ungleiche Hälften getheilt. Wenn er vorwärts kommen will, so befestigt er sich mittels der hinteren Hälfte seines Fußes und schiebt die vordere soweit voran, wie es die Furche, welche hierbei merklich nachgibt, gestattet. Dann zieht das Thierchen die hintere Hälfte nach, bis sie die vordere berührt und rückt mithin den Körper so weit voran, als diese zwei Punkte auseinander sind. Hierauf beginnt es den zweiten Schritt, indem es sich abermals auf die hintere Hälfte stützt und die vordere vorschiebt. Diese spannende Bewegung, wie bei Egeln und Spannerraupen beschaffen, erfolgt mit solcher Raschheit, daß nur wenige Weichthiere den Pedipes an Behendigkeit übertreffen. Sehr ähnlich ist die Bewegungsweise der Pupa pagodula, wie wir ebenfalls nach Johnston zur Ergänzung des wenigen, was oben über die Moosschnecken angeführt wurde, mittheilen wollen. Dieses 3 Millimeter lange, in Frankreich, der Schweiz und Oesterreich gefundene Thierchen ist merkwürdig klein im Verhältnisse zur Schale, welches Mißverhältnis aber wieder ausgeglichen wird durch die größere Stärke der Fußmuskeln und des Stieles, welcher zwischen der Einlenkung des Fußes und dem Körper sich befindet. Bei der Wanderung des Thieres steht die Mündung der Schale senkrecht auf dessen Rücken, während das Gewinde wagerecht, etwas schief nach rechts und gerade hoch genug liegt, um den Boden nicht zu berühren. Diese Haltung der Schale ist eigenthümlich genug, aber die Thätigkeit des Fußes ist es noch mehr. Denn bei jeder Anstrengung zur Voranbewegung wird das Schwanzende etwas in die Höhe gehoben und dann gegen die Bewegungsebene umgeschlagen, um dem Fuße einen stärkeren Antrieb oder dem Körper einen Stoß zu geben, während nur zwei weite Wellenbewegungen sich rasch vom Schwanzende gegen den Kopf hin fortpflanzen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 241-242.
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