5. Sippe: Kammuscheln (Pecten)

[396] Den Mittelpunkt der Familie, welcher Lima beigezählt wird, der Kammuscheln, bildet die Gattung Kammuschel (Pecten), dem Leser vielleicht schon nach ihrer Schale bekannt, die von den größeren Arten als Schüssel für feines Ragout (Ragout fin en coquilles) gebraucht wird, und welche auch, um einen ästhetischeren Anknüpfungspunkt zu nennen, Hut und Kleid der aus dem Morgenlande heimkehrenden Pilger zu schmücken pflegte. Das Gehäuse ist also frei und regelmäßig, bei vielen Arten ungleichschalig, indem die eine Hälfte vertiefter, schüsselförmig ist und die andere darauf als ein flacher Deckel paßt.


Feilenmuschel (Lima hians), schwimmend. Kleines Exemplar.
Feilenmuschel (Lima hians), schwimmend. Kleines Exemplar.

Auffallend sind auch die Ohren jederseits neben dem Wirbel, von welchem aus meist Rippen nach den Rändern ausstrahlen. Das Thier hat die Mantellappen vollkommen frei, am Rande verdickt und mit mehreren Reihen fleischiger Tentakeln besetzt, zwischen ihnen zahlreiche Augen. Wir erwähnen hier die Gesichtswerkzeuge einer Muschel zum erstenmale, und noch dazu sind sie bei Pecten durch ihr diamant- und smaragdartiges Leuchten am auffallendsten, obschon noch einige Sippen, von den früher genannten, z.B. die Gienmuscheln, damit versehen sind. Weder die Arten, noch die Individuen, noch auch die Mantelhälften verhalten sich in Bezug auf Zahl und Lage dieser Augen gleich. Sie stehen in der Nähe des Schlosses und zumal hinter demselben am dichtesten, und sind an dem konvexen Mantellappen, das heißt dem unteren, weniger zahlreich als an dem flachen. Sie erreichen bei den größeren Arten einen Durchmesser von einem Millimeter; zwischen diesen liegen kleinere, kaum halb so große, aber alle zeigen den wundervollen Glanz, hervorgerufen durch eine besondere Beschaffenheit der Regenbogenhaut, durch welche die Lichtstrahlen zurückgeworfen werden. Ueberhaupt erstaunt man über die Vollkommenheit dieser Augen, welche trotz ihrer auch im höchsten Grade befremdenden Lage die optischen Einrichtungen haben, daß gute Bilder von der die Muschel umgebenden Außenwelt erzeugt und durch den Nervenapparat auch zu ihrem dämmernden Muschelbewußtsein gebracht werden. In jedem Falle aber kann die Muschel vermittels derselben nicht in die Ferne sehen, sondern sie thun ihr die Dienste, die wir uns durch feine kleine Linsen verschaffen; es sind Gesichtsorgane für die nächste Nähe, unmittelbare Wächter und Bewacher der Schalen und Mantelränder.


Stück vom Mantelrande der Kammuschel mit Tastern und Augen. Etwas vergrößert.
Stück vom Mantelrande der Kammuschel mit Tastern und Augen. Etwas vergrößert.

Es wäre daher weit gefehlt, wollte man das Sehvermögen der Kammuscheln mit ihrer ausgezeichneten Fähigkeit zu springen und zu schwimmen in Verbindung bringen. Man hat dieselbe vielfach beobachtet, und sie verfahren dabei wie die Limen, daß sie vermittels des starken Schließmuskels die durch das Ligament geöffneten Schalen hastig zuklappen. Ein englischer Beobachter sagt, daß er in einem von der Ebbe zurückgelassenen Wassertümpel die Jungen von Pecten opercularis ganz munter umherhüpfen sah. Ihre Bewegung war reißend und schnell und zickzackartig, sehr ähnlich der der Enten, welche auf einem Teiche während [396] eines Sonnenblickes vor dem Regen spielend sich vergnügen. Sie schienen durch plötzliches Oeffnen und Schließen ihrer Klappen das Vermögen zu haben, wie ein Pfeil durch das Wasser zu fliegen. Ein Sprung entführte sie mehrere Ellen weit, und mit einem zweiten waren sie plötzlich wieder nach einer anderen Richtung auf und davon. Ueber die Erwachsenen wird die Vermuthung ausgesprochen, daß auch sie sich auf ähnliche Weise belustigen mögen, aber ungesehen spielen und in der Tiefe ihre Kreuz- und Quersprünge ausführen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 396-397.
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