Vermetus triqueter

[265] Es würde schwer sein, aus den leeren Schalen, welche bei den meisten Arten (z.B. Vermetus gigas und V. triqueter) weiß, bei einer ebenfalls im Mittelmeere häufigen Art (V. subcancellatus) schwarz sind, auf die Thierklasse zu schließen. Zwar der immer der steinigen Unterlage angewachsene Anfangstheil ist regelmäßig spiralig gewunden, gleich einer Thurmschnecke.


Gewöhnliche Wurmschnecke (Vermetus lumbricalis). Etwas vergrößert.
Gewöhnliche Wurmschnecke (Vermetus lumbricalis). Etwas vergrößert.

Nach einer gewissen Anzahl von Umgängen aber wird die sich erweiternde Röhre unregelmäßig, und da es nun auch verschiedene Arten von Röhrenwürmern der Sippe Serpula gibt, deren Kalkwohnungen ganz ähnlich gewunden sind, so ist jedenfalls die bloße Schale ein sehr trügerischer Wegweiser. Man kommt aber bald über das Thier ins Reine, wenn man die Geduld hat, in unbequemer Lage am Strande zu warten, bis es den Kopf hervorstreckt, wenn man es nicht vorzieht, mit dem Spitzhammer, welcher bei zoologischen Ausflügen nie fehlen darf, einige Thiere mit einem Stück ihrer Unterlage abzusprengen, um sie in einem größeren Gefäße nach Hause zu tragen und dort mit Muße ihre sehr einfachen Lebensäußerungen zu beobachten. Die Wurmschnecke kann sich tief in ihre Röhre zurückziehen. Macht sie Anstalt, sich umzusehen, so kommt über der Schalenöffnung zuerst eine Art von Stöpsel zum Vorscheine, auf dessen oberer abgerundeter und glatter Fläche sich eine kleine hornige Platte befindet. Gerade so sieht der Fuß und der Deckel bei manchen anderen Seeschnecken im Zustande der größten Zusammenziehung aus. In unserem Falle behält der Fuß aber diese Stoppelform auch nach dem Hervorstrecken bei. Auch ein kleiner Einschnitt zwischen Fußwurzel und Körper ist so, wie bei den unten zu beschreibenden Purpur- und Kreiselschnecken, vorhanden. Nun folgt ein sehr plumper, durch die starke Entwickelung der Schlingwerkzeuge aufgetriebener Kopf, welcher durch den Besitz von zwei Fühlhörnern und den am Grunde derselben stehenden Augen die Legitimation der Schnecke vollendet. Die beiden vorderen fadenförmigen Organe sind keine Fühler, sondern bloße Verlängerungen der Lippe. Der Kopf läßt sich um so genauer betrachten, als das Thier, muthiger als alle übrigen Schnecken, beim Berühren sich nicht schleunig in sein Gehäuse zurückzieht, sondern sowohl, wie Lacaze-Duthiers mittheilt, von weichen, vorgehaltenen Gegenständen Stücke abbeißt, als auch härtere mit dem Munde umfaßt und mit einer gewissen Gewalt zurückhält. Ich muß gleich hier bemerken, daß über die Nahrung der Vermeten nichts bekannt ist; höchst wahrscheinlich sind sie Fleischfresser, denen die an ihnen herumkriechenden Thiere zum Opfer werden. Zahlreiche Würmer und Krebschen befinden sich immer in ihrer nächsten Nähe.

Kopf und Fuß können ganz von dem sackförmigen Mantel eingehüllt werden. Spaltet man denselben, so kommt auf der linken Seite die gestreckte kammförmige Kieme zum Vorscheine. Unsere Abbildung zeigt das Thier zwar aus den Windungen der Schale herausgenommen, aber mit derselben noch durch den bekannten Schalenmuskel in Verbindung, und so lehrt uns denn die einfachste Untersuchung, wie der scheinbare Wurm in jeder Beziehung eine Schnecke, und zwar ein Kammkiemer ist. Vergleicht man die Ausdehnung des die Geschlechtsorgane und die Leber enthaltenden Hinterleibes mit demselben Abschnitte anderer Schnecken mit langem Gewinde, so ist der Unterschied ein ganz unerheblicher.

[266] Schon wiederholt hat uns die Entwickelungs- und Verwandlungsgeschichte der niederen Thiere, mit welchen dieser Band sich beschäftigt, das Interesse ersetzen müssen, welches bei so vielen höheren Thieren die mannigfaltigen Lebensgewohnheiten und Instinkte erwecken. Namentlich haben wir gesehen, wie die festsitzenden Thiere oft ganz erstaunliche Formumwandlungen durchmachen, im Verlaufe welcher sie mehr und mehr unerkennbar werden und Ursprung und Verwandtschaft verleugnen.


a Vermetus triqueter. Schale aufgeschlagen, in derselben Eikapseln. Natürliche Größe. b Larve desselben. Stark vergrößert.
a Vermetus triqueter. Schale aufgeschlagen, in derselben Eikapseln. Natürliche Größe. b Larve desselben. Stark vergrößert.

Obwohl Vermetus so weit nicht geht, bietet seine Fortpflanzung und Entwickelung doch des Interessanten genug. Als echter Kammkiemer ist auch diese Gattung getrennten Geschlechtes. Da eine unmittelbare Annäherung der Geschlechter nur durch einen reinen Zufall der Ansiedelung neben- und aufeinander herbeigeführt werden könnte, so findet eine Begattung nicht statt, sondern die Befruchtung ist dem Zufall und der Vermittelung durch das Wasser überlassen. Der Ausdruck Zufall paßt eigentlich in diesem und den meisten ähnlichen Fällen nicht. Man findet zur bestimmten Jahreszeit, nämlich in den Sommermonaten (vielleicht auch im Winter), die Weibchen mit Eierlegen beschäftigt; überall, wo Ansiedelungen von Vermeten sind, muß das umgebende Wasser Millionen und aber Millionen befruchtender Samenelemente enthalten, und müssen viele derselben nicht sowohl zufällig, sondern mit positiver Sicherheit in die Röhren der Weibchen gerathen. Die frei lebenden Schnecken pflegen ihre Eier nicht dem Treiben der Wellen zu überlassen, sondern sie in bestimmter Weise irgendwo anzuheften. Das Vermetus-Weibchen hat die Wahl, entweder das erstere zu thun, oder sie, da ihnen die freie Bewegung nicht gestattet ist, bei sich zu hüten. Das letztere geschieht. Es bildet eine Reihe blasenförmiger Behälter – man vergleiche unsere Abbildung a –, welche im Gehäuse auf kurzen Stielen befestigt sind und je zehn bis dreißig Eier enthalten. Der erste dieser Kokons wird am nächsten bei der Mündung abgesetzt; er ist der größte, indem der Umfang mit dem Wachsthume der Embryonen zunimmt. Obschon die Aufeinanderfolge der Organe in ihrer Entwickelung im Eie bei den verschiedenen Abtheilungen der Schnecken nicht ganz übereinstimmt, so pflegen doch der Fuß und das sogenannte Segel am frühesten zu erscheinen, auch der Mantel und die Schale. Das geschieht auch beim Vermetus, aus dessen Entwickelung wir leider nur einen späteren Zustand haben abbilden können, der uns das Segel in voller Entwickelung zeigt. Das Segel besteht aus einem Paare halbkreisförmiger Lappen zu beiden Seiten des Mundes, deren Rand mit langen Wimpern besetzt ist. Schon im Eie sind diese thätig, und der erstaunte Beobachter sieht das Thier in der Eiflüssigkeit in spiraliger Bewegung. Der Fuß des jungen Vermetus ist beim Verlassen des Eies so wohl ausgebildet, wie man es nur von einer Schnecke verlangen kann. Die wichtigeren [267] Organe, welche man sonst noch am Embryo sieht, sind Fühler, Augen, Mantel, Speiseröhre, im Mittelkörper der Magen und hinten die Leber. Was uns aber außer dem Segel am meisten auffällt, ist die zierliche rechtsgewundene Schale, welche unser Thierchen am besten als eine wahre Schnecke charakterisirt.

So ausgestattet, verläßt der junge Vermetus Ei und Kokon und schwimmt, gleich allen Seeschnecken, mit Hülfe der Segellappen frei im Meere. Schon ist er mit dem Schalenmuskel versehen, vermag auch mit großer Leichtigkeit die Segel einzuziehen und sammt den übrigen Weichtheilen ganz im Gehäuse zu verbergen. Seine Verwandlung und die Weiterbildung der Schale sind zwar nicht direkt beobachtet; es liegt aber klar vor, was mit ihm vorgehen muß, um seine definitive Gestalt zu erreichen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die kleinen, für das Auge punktförmigen Thierchen noch eine Zeitlang frei mit Hülfe des Fußes kriechen, nachdem das Segel seine Wimpern verloren hat, verkümmert und eingegangen ist, und daß während dieser noch freien Periode noch einige Umgänge des Gehäuses wachsen. Jedenfalls wird dieser Zustand nicht lange währen. Auch der Fuß zieht sich zusammen, während die Schale auf unbekannte Weise sich an den Felsen anheftet und ankittet, und das Wachsthum geschieht von nun an vorzugsweise in die Länge.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 265-268.
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