17. Sippe: Birnenschnecken (Pyrula)

[282] Eine Sippe, von welcher bis vor noch nicht dreißig Jahren nur das Gehäuse bekannt war, ist die Birnenschnecke (Pyrula), von der Form ihrer Schale auch wohl Feigenschnecke (Ficus Ficula) genannt. Das Gehäuse verläuft an der Basis in einen Kanal, ist ohne Höcker, hat ein kurzes Gewinde, eine platte Spindel, und seine Außenlippe ist ohne Einschnitt. Die Arten gehören theils den tropischen indischen, theils den Küsten Centralamerikas an, wo das höchst auffallend gebaute Thier von dem dänischen Naturforscher Oersted lebend beobachtet wurde.


Birnenschnecke (Pyrula decussata) a von oben, b von unten. Natürliche Größe.
Birnenschnecke (Pyrula decussata) a von oben, b von unten. Natürliche Größe.

Betrachtet man das lebende Thier, während es in Bewegung ist, von oben (in beistehender Figur a), so sieht man, wie eine breite braune Einfassung, welche mit regelmäßigen lichteren Flecken übersäet ist, die Schale umgibt und zum Theil bedeckt. Man läßt sich bei oberflächlicher Betrachtung leicht zur Annahme verleiten, daß die Schale wie bei Natica und anderen Gattungen auf einem großen Fuße liegt. Jedoch nicht dieser umgibt so das Gehäuse, wie man sich leicht überzeugt, wenn man das Thier umwendet. Da zeigt es sich, daß es der freie Rand des Mantels ist, der hier eine ganz eigenthümliche Entwickelung angenommen hat (Fig. b). Der Mantelrand, welcher bei den Bauchfüßern im allgemeinen nur als ein schmaler Saum am inneren Rande der Mündung auftritt, verlängert sich bei einigen und schlägt sich auf die äußere Schalenfläche um. Bis zu welchem Grade dies geschehen kann, wird uns weiter unten die Porzellanschnecke lehren. Auch bei Pyrula hat eine solche Entwickelung stattgefunden, in dem Maße wie bei den Porzellanschnecken, aber doch wesentlich verschieden. Die Ausbreitung ist nämlich vorzugsweise in horizontaler Richtung geschehen, als ein [282] flacher, muskulöser und sehr breiter Saum, welcher den Fuß ganz einschließt und in derselben Ebene mit ihm liegt. Indem nun dieser Theil des Mantelrandes sich eng um den Fuß herum legt, bildet er gleichsam eine Fortsetzung desselben und eignet sich denn auch wegen seines starken muskulösen Baues zum Bewegungsorgan: das Thier kriecht mit Hülfe desselben ebenso gut, wie mit dem Fuße. Wir versäumen keine Gelegenheit, den Leser auf dergleichen Umwandlungen und Anpassungen aufmerksam zu machen, wo ein Körpertheil und Organ seinem ursprünglichen Zwecke entfremdet und zu neuen Verrichtungen im Dienste des Gesammtorganismus geeignet worden ist.

Verweilen wir noch etwas bei der Ansicht des Thieres von unten. Der lange, vorstehende Zipfel gehört ebenfalls dem Mantel an und ist die Rinne, wel che das Wasser zur Kieme leitet. Vor dem fast vierseitigen, vorn mit einem Paar zipfelförmiger Anhänge versehenen Fuße kommt der kleine, kegelförmige Kopf zum Vorscheine. Er trägt die zwei, ebenfalls kegelförmigen Fühler, an deren Außenseite die Augen sitzen. Leider haben wir über die eigentliche Lebensweise des so eigenthümlich gebauten Thieres gar keine Nachrichten. Ob es im Stande ist, den Mantelrand ganz im Gehäuse zu bergen, gibt Oersted nicht an, es geht jedoch aus den erwähnten Versuchen von Agassiz an amerikanischen Arten über die willkürliche Wasseraufnahme in den Körper und die davon abhängige Schwellbarkeit der Gewebe hervor.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 282-283.
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