1. Sippe: Praniza

[39] Eine bei den angeführten Familien der Asseln nicht gut systematisch unterzubringende, aber in ihre Nähe gehörige Gattung, Praniza, gleicht durch die Verschmelzung der Brustringe mit dem Kopfe und in ihrem ganzen Aussehen den Zehnfüßern, hat aber unter anderem die sitzenden Augen der Asseln und mag uns dazu dienen, die Beispiele der unglaublichen Variabilität des Krebstypus zu vermehren. Während seiner Jugendperiode, wo das Thier einen kleinen Kopf, große Augen und einen Saugrüssel besitzt, lebt es parasitisch auf verschiedenen Seefischen. In diesem Zustande verharrt das Weibchen, über welches sich das Männchen durch einen kolossalen viereckigen Kopf und mächtige Oberkiefer erhebt. Das Aussehen des Männchens ist so verschieden von dem des Weibchens, daß jenes bis in die neuere Zeit als eine besondere Gattung, Anceus, betrachtet wurde.


Männchen der Praniza, etwas vergrößert.
Männchen der Praniza, etwas vergrößert.

Den Abschnitt über die Asseln weiß ich nicht besser zu beschließen, als mit Anführung einer Beobachtung meines Freundes Fritz Müller. Dieselbe befindet sich in seinem geistreichen Buche »für Darwin« und bezieht sich auf das Vorhandensein zweier Formen von Männchen für eine einzige Art Weibchen. Es ist eine mit Scheren versehene Assel der Gattung Tanais, welche von den Systematikern in die Nähe der gemeinen Wasserassel gebracht wird. Er macht im Eingange seiner Darstellung der merkwürdigen Zweimännerschaft darauf aufmerksam, daß, wo bei den Krustern hand- oder schienenförmige Bildungen vorkommen, dieselben bei den Männchen überhaupt stärker als bei den Weibchen entwickelt zu sein pflegen und bei ihnen oft zu ganz unverhältnismäßiger Größe anschwellen. Die Winkerkrabbe (Gelasimus) hat uns oben ein Beispiel dafür geliefert. »Eine zweite Eigenthümlichkeit [39] der Krustermännchen«, sagt Fr. Müller weiter, »besteht nicht selten in einer reichlichen Entwickelung zarter Fäden an der Geisel der vorderen Fühler«, welche man jetzt mit Müller und anderen Autoritäten für Geruchs- oder höchst feine Tastorgane hält, eine Ansicht, in welcher man durch die Thatsache bestärkt wird, »daß auch sonst ja die männlichen Thiere nicht selten durch den Geruch beim Aufspüren der Weibchen geleitet werden.

Bei unserer Scherenassel nun gleichen die jungen Männchen bis zur letzten, der Geschlechtsreife vorausgehenden Häutung den Weibchen; dann aber erleiden sie eine bedeutende Verwandlung. – Was dabei das Merkwürdigste ist, sie erscheinen nun unter zwei verschiedenen Gestalten. Die einen bekommen gewaltige, langfingerige, recht bewegliche Scheren und statt des einzigen Riechfadens der Weibchen deren zwölf bis siebzehn, die zu zwei bis drei an den Gliedern der Fühlergeisel stehen; die anderen behalten die plumpe Scherenform der Weibchen, dafür aber sind ihre Fühler mit weit zahlreicheren Riechfäden ausgerüstet, die zu fünf bis sieben beisammen stehen.

Es war natürlich, daran zu denken, ob nicht etwa zwei verschiedene Arten mit sehr ähnlichen Weibchen und mehr verschiedenen Männchen zusammen lebten, oder ob nicht die Männchen, statt in zwei scharf geschiedenen Formen aufzutreten, nur innerhalb sehr weiter Grenzen veränderlich wären. Ich kann weder das eine noch das andere annehmen. Unsere Scherenassel lebt zwischen dicht verfilzten Wasserfäden, die einen etwa zolldicken Ueberzug auf Steinen in der Nähe des Ufers bilden. Bringt man eine Hand voll dieses grünen Filzes in ein größeres Glas mit reinem Seewasser, so sieht man bald seine Wände sich mit Hunderten, ja Tausenden dieser kleinen plumpen weißlichen Asseln bedecken. So habe ich mit der einfachen Lupe manches Tausend, und ich habe mit dem Mikroskope viele Hunderte durchgemustert, aber ich habe keine Verschiedenheiten unter den Weibchen und keine Zwischenformen zwischen den zweierlei Männchen auffinden können.«

Wie unser Landsmann in Brasilien die verschiedene Ausbildung der »Packer« und der »Riecher« zu erklären und zu Gunsten der Darwin'schen Theorie zu verwenden sucht, müssen wir an dieser Stelle weiter mitzutheilen uns versagen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 39-40.
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