Pagurus Prideauxii

[18] Zahlreiche Arten sind, gleich vielen Krabben, Landthiere und versehen sich auch meist mit der Gattung Bulimus angehörigen Landschneckengehäusen, welche sie auf ihren oft weiten und beschwerlichen Wanderungen mit sich schleppen. Alle diese leben in heißeren Klimaten. Die in unseren Meeren vorkommenden vielen Formen zählen zur Gattung Pagurus. Die meisten leben unmittelbar am Strande, der stellenweise von ihnen so belebt ist, daß alles durcheinander wimmelt. Andere halten sich in größeren Tiefen auf, wie Pagurus Prideauxii, ein Einsiedlerkrebs, auf dessen Schneckenhaus sich fast ausnahmslos ein der Familie der schönen Seerosen angehörige Polyp findet, die Mantel-Actinie, Actinia (Adamsia) palliata. Ich habe den Krebs mit seiner Aftermieterin besonders häufig mit dem Schleppnetz aus der Tiefe des breiten Kanals von Zara erhalten. Außerordentlich gemein ist er bei Neapel. Es ist ein weiteres Beispiel für die merkwürdige Verkettung des Daseins ganz verschiedener organischen Wesen. Der bekannte englische Naturforscher Gosse, der sich besonders um die Einführung der Aquarien verdient gemacht und über die darin gehaltenen Thiere eine Reihe werthvoller Beobachtungen gemacht hat, theilt über das Zusammenleben jener Thiere folgendes mit: »Der Gefährte der See-Anemone, welcher den Namen des Herrn Prideaux aus Plymouth, seines Entdeckers, trägt, ist ausschließlich eine Tiefwasserart. An verschiedenen Stellen unserer Küste gefunden, kommt er unveränderlich in dieser Vergesellschaftung vor. Ich glaube, der Krebs lebt unter allen Umständen nur mit der Anemone und diese mit ihm. Es [18] werden allerdings von Forbes1 Beispiele angeführt, wo der eine ohne die andere im Schleppnetz herauf kam, aber ich glaube, daß dies nur geschah, wenn das unsanfte Schleppnetz den Krebs erschreckt hatte und ihn vermochte, das Schneckenhaus zu räumen und seine Freundin zu verlassen. Ueber die Anemone muß vorausgeschickt werden, daß sie zur Familie der Sagartien gehört, von prächtiger Farbe und merkwürdiger Gestalt ist. Sie ist gewöhnlich röthlichbraun in ihrem unteren Theile, während nach oben die Farbe in ein Schneeweiß übergeht. Das Ganze ist mit rosigpurpurnen Flecken gesprenkelt und umgeben von einem blaß-scharlachenen Randsaum. Die Fühler und die Fußscheibe (über die Organe ist unten im Abschnitt über die Polypen Ausführlicheres mitzutheilen) sind rein weiß. Sie erreicht eine ziemliche Ausdehnung und hat die Eigenthümlichkeit, daß sie nicht, wie bei den übrigen See-Anemonen, kreisrund ist, sondern länglich, indem sie die Basis in zwei seitliche Lappen ausbreitet. Das Thier wählt immer die innere Lippe eines Schneckengehäu ses, um sich anzuheften, und die zwei Fußlappen legen sich nach und nach um die Mündung des Gehäuses, bis sie am Außenrand an einander stoßen und hier verwachsen; so bildet das Thier einen Ring.

Ich habe oft mit Interesse darüber nachgedacht, auf welche Weise wohl das gehörige Größenverhältnis zwischen der Mantel-Actinie und der Muschel bei dem allmählichen Wachsthume der ersteren im Gleichgewichte bleibe. Offenbar besteht nämlich ein solches richtiges Verhältnis zwischen beiden, indem die jungen Mantel-Anemonen auf kleinen, die ausgewachsenen auf großen Schneckengehäusen sitzen. Der Krebs kann von einer kleineren in eine größere übersiedeln, wenn er das Bedürfnis einer geräumigeren Wohnung fühlt. Und da wir wissen, daß sein Kamerad, der Bernhardkrebs (Pagurus Bernhardus), dies gewöhnlich thut, setzen wir natürlich dasselbe von dem Pagurus Prideauxii voraus. Dies angenommen, was wird mit der Mantel-Actinie? Wenn die Krebse ihre Quartiere wechseln und die Adamsien verlassen, wird die Verbindung aufgelöst; wir sollten also regelmäßig die einen ohne die anderen finden. Das geschieht aber nicht.

Auf der anderen Seite, wenn auch die Adamsie ihre Wohnung verändern kann, auf welche Weise sucht sie ein neues Schneckengehäuse? Wenn sie die alte Behausung zugleich mit dem Krebs verläßt und zugleich mit ihm eine neue in Besitz nimmt, wie kommt Einheit in ihren Willen und ihr Thun? Wie theilen sie sich einander ihre Gedanken mit? Da die Adamsie nicht am Krebse festhängt, sondern an dem Gehäuse, da sie also in ihren gegenseitigen Bewegungen unabhängig von einander sind, wer ergreift die Initiative? Wer macht sich auf, die neue Wohnung zu suchen, und zu welchem Zeitpunkte der Uebersiedelung begibt sich auch das Andere daran? Ueber alle diese Fragen hatte ich mit Interesse nachgedacht, bis ich endlich einigen Aufschluß bekam.

Am 16. Januar 1859 fing ich mit dem Schleppnetze ein ungefähr halb ausgewachsenes Exemplar der Adamsia palliata auf einem etwas kleinen Gehäuse von Natica monilifera, bewohnt von einem Pagurus Prideauxii, der für sein Logis schon etwas zu dick zu sein schien. Ich setzte sie in ein wohleingerichtetes weites Aquarium, dessen Inhalt sich in vortrefflichem Zustande befand, und hatte das Glück, was mir noch nie gelungen, beide, den Krebs und die Adamsie, im Aquarium einzubürgern. Beide erfreuten sich einer vortrefflichen Gesundheit und fühlten sich ganz wie zu Hause. Jedoch bemerkte ich nach drei Monaten, daß die Adamsie nicht mehr so wohl aussah. Dazu gab auch der Krebs später Anzeichen, daß er unbehaglich beengt sei, indem er seine vorderen Körpertheile weit herausstreckte. Ich konnte mich jedoch noch nicht entschließen, dem Krebse ein weiteres Schneckengehäuse anzubieten, indem ich fürchtete, er möchte, sich desselben bemächtigend, seine zoophytische Freundin verlassen, diese würde dann sterben und ich sie verlieren.

Endlich siegte das Verlangen, eine wissenschaftliche Aufgabe zu lösen, über das Gefühl. Eine Thatsache ist besser als ein Exemplar. Und so nahm ich aus meiner Sammlung ein ausgewachsenes [19] Natica-Gehäuse und legte es in den Wasserbehälter in die Nähe des in Uneinigkeit gerathenen Trios. Der Einsiedler fand sogleich das neue Gehäuse und begann unmittelbar, es zu untersuchen. Er ging jedoch anders zu Werke, als sein Bruder Bernhard (d.h. Pagurus Bernhardus) gethan haben würde. Der würde nämlich ohne weiteres das neue Haus bezogen haben. Jener wendete es mit der Mündung nach aufwärts, faßte sowohl die Außen- als Innenlippe mit einer Klaue, und begann nun, es über den Boden des Gefäßes hinzuziehen. Gelegentlich ließ er mit einer Klaue los, betastete das Innere und setzte dann seinen Marsch fort. Ein Geschäft rief mich ab, und als ich nach ungefähr einer Stunde zurückkehrte, fand ich den Einsiedler bequem in seiner neuen Wohnung eingerichtet; die alte aber lag verlassen in einiger Entfernung. Schnell kehrte ich sie um, zu sehen, was aus der Adamsie geworden. O weh! keine Adamsie war da. Als aber nun gerade der Einsiedler an die Wand des Aquariums herankam, sah ich zu meiner großen Genugthuung, daß die alte Vergesellschaftung ungebrochen fortdauerte. Die Adamsie hing mit dem einen Fußlappen auf dem neuen Gehäuse, offenbar auch mit dem anderen. Aber bei der Stellung der Gruppe konnte ich keine volle Gewißheit darüber erlangen. Die Stellung des Zoophyten war ganz normal. Indem ich mir nun den Zusammenhang der Dinge mit einer Lupe genauer betrachtete, sah ich, daß die Adamsie mit einer kleinen Fläche des mittleren Theiles ihrer Fußscheibe an der Unterseite des Kopfbruststückes des Krebses zwischen der Basis seiner Beine anhaftete.

Nun ist dieses Anhaften an dem Krebse ein Umstand, welcher unter gewöhnlichen Verhältnissen, so weit mir bekannt, nicht Platz greift. Deshalb mußte ich ihn für ein außerordentliches und zeitweiliges Auskunftsmittel halten, die Adamsie von dem alten auf das neue Gehäuse zu schaffen und um sie in die richtige Stellung auf demselben zu bringen. Müssen wir daraus nicht mit Nothwendigkeit schließen, daß, sobald der Krebs das neue Gehäuse passend gefunden hatte, auch die Adamsie davon in Kenntnis gesetzt wurde; daß in den zwei darauf folgenden Stunden letztere ihre Anhaftung an das alte Gehäuse lockerte, und daß sie, an die Brust ihres Beschützers sich anlegend, von ihm zum neuen Hause getragen wurde, wo sie unmittelbar darauf sich einen Halt zu sichern begann, gleich dem, den sie eben verlassen hatte?

Elf Tage nach diesen Beobachtungen bekam ich einen anderen interessanten Aufschluß über diese merkwürdige Genossenschaft. Die Adamsie hatte seit dem Wohnungswechsel kein gutes Aussehen. Sie haftete zwar zum Theil sehr gut, den einen Tag in größerer, den anderen in geringerer Ausdehnung an dem Gehäuse; aber meist hing ein beträchtlicher Theil des Zoophyten an dem Gehäuse herab. Der Krebs dagegen fühlte sich offenbar behaglich und zeigte durchaus keine Neigung, in sein altes Logis zurückzuziehen. Am 2. Mai fand ich die Adamsie losgelöst und hülflos auf dem Boden des Gefäßes unter dem Krebs liegend, der, wenn man ihn störte, davon lief und seine Gemahlin im Stiche ließ. Ich glaubte nun, es sei aus mit meinem schönen Schützlinge. Gleichwohl, wie groß war mein Erstaunen, als ich nach wenigen Stunden die Adamsie wieder prächtig auf ihrer alten Stelle sah, breit angeheftet auf dem Gehäuse und von frischerem Aussehen als viele Tage vorher. Aber sonderbar, sie haftete fast in der umgekehrten Lage wie sonst an dem Gehäuse. Hier lag eine Probe irgend welchen Verstandes vor, die zu entdecken ich mir vornahm.

Indem ich das Gehäuse mit der Aquarium-Zange sorgfältig bis zum Wasserspiegel hob, löste ich die Adamsie los und ließ sie auf den Boden fallen. Dann legte ich das Gehäuse mit seinem Insassen nahe zur Anemone. Kaum berührte der Krebs die Adamsie, als er sie mit seinen Scheren anfaßte, erst mit der einen, dann mit beiden, und ich sah augenblicklich, was er beginnen wollte. Höchst geschickt und erfahren machte er sich daran, die Adamsie auf das Gehäuse zu bringen. Er fand sie, wie sie mit der Fußscheibe nach oben lag; sein erstes Geschäft war, sie ganz umzudrehen. Abwechselnd mit den beiden Kneipzangen zugreifend und dabei die Adamsie ziemlich roh ins Fleisch kneipend, wie es schien, hob er sie in die Höhe, daß er ihren Fuß gegen den bestimmten Theil des Gehäuses, die Innenlippe, drücken konnte. Dann hielt er, sie fest andrückend, ungefähr [20] zehn Minuten ganz still. Dann zog er behutsam die eine, dann die andere weg. Indem er sich in Bewegung setzte, hatte ich das Vergnügen, zu sehen, wie die Adamsie viel schöner haftete, und nun am richtigen Platze. Zwei Tage darauf war die Adamsie wieder los. Ich entdeckte sie in einer Spalte und legte sie auf den Boden. Hier fand sie der Krebs wieder und sogleich nahm er die eben beschriebenen Hantirungen mit ihr vor und heftete sie wieder an. Aber ich sah, daß sie krank war, denn sie konnte sich kaum auf ihrem Platze halten. Doch ist die Aeußerung der instinktiven Thätigkeiten der beiden Geschöpfe hinreichend klar. Sicher ist der Krebs der aktivere Theil der Genossenschaft; hinreichend deutlich ist es, daß er die Gesellschaft seiner schönen, aber sehr verschieden gearteten Freundin würdigt. Unsere letzten Beobachtungen nöthigen zu dem Schlusse, daß immer die Scheren des Krebses angewendet werden, um die Mantel-Actinie von Gehäuse zu Gehäuse zu versetzen.«

Ich kann diese höchst interessanten Beobachtungen durch meine eigenen, im Aquarium zu Neapel gemachten Wahrnehmungen nur bestätigen und ergänzen. Sieht man die Krebse auf ihrem natürlichen Boden, nämlich auf feinerem Kies, so wird augenblicklich klar, warum die Actinie das Schneckenhaus so anfaßt, daß ihr Mund nach unten gekehrt ist. Pagurus Prideauxii wirbelt nämlich mit seinen Hülfskiefern den Sand so auf, daß ein Strom an seiner Mundöffnung vorübergeht, wobei er allerlei Nahrung profitirt. Diese kommt nun auch der Actinie zu statten, welche durch den vom Krebse verursachten Wirbel förmlich gefüttert wird und ihren Mund um so weiter öffnet und die Tentakeln um so mehr entfaltet, je eifriger der Gastfreund den Sand umrührt. Unsere Paguren unterlassen übrigens das Wirbeln, wenn sie bessere, kompaktere Fleischnahrung, todte Fische und dergleichen um sich haben. Daß sie davon der Actinie mittheilten, habe ich nicht gesehen, wohl aber, daß sie unter einander äußerst zänkisch und brotneidisch sind. Sehr oft wird ein kleinerer von einem größeren verfolgt, indem dieser jenem einen Bissen abjagen will. Der Verfolgte wird von der Schere seines Gegners gefaßt, weiß aber gewöhnlich, wenn ihm selbst nur eine Schere frei geblieben, sehr geschickt mit dieser seine Beute so zu halten und von sich zu strecken, daß der Angreifer schließlich unverrichteter Sache abziehen muß. Welchen Vortheil der Prideaux'sche Einsiedlerkrebs von der ohne ihn völlig hülflosen Adamsie zieht, ist mir durchaus unklar geblieben. Es versteht sich aber von selbst, daß die Angewöhnung des Krebses an die Actinie und die von Gosse richtig geschilderte Sorgfalt des Krebses für seinen Schützling nur auf einem dem Krebse erwachsenden Nutzen beruhen kann.

Fußnoten

1 Ein englischer Forscher, welcher sich um die Kenntnisse der geographischen Verbreitung der Bewohner unserer Meere hohe Verdienste erworben.


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 18-21.
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