Erste Ordnung: Die Zehnfüßer [7] (Decapoda)

Der oben genauer zergliederte Flußkrebs ist ein Repräsentant dieser, die am höchsten entwickelten Kruster umfassenden Abtheilung, charakterisirt durch die gestielten, beweglichen Augen, das unbewegliche, zu einem Ganzen verwachsene und durch das große Schild bedeckte Kopfbruststück und fünf Paar Beine. Ferner bestehen ihre Mundwerkzeuge aus Oberlippe, Oberkiefer, zwei Paar Unterkiefern und drei Paar Hülfskiefern, und ihre büscheligen oder blätterigen Kiemen sind in besonderen Höhlen unter dem Rückenschilde eingeschlossen.

Die höhere Entwickelung und Stellung der Zehnfüßer wird sich zwar bei der Vergleichung mit den übrigen Krustern von selbst ergeben, die maßgebenden Momente dürfen aber doch schon jetzt hervorgehoben werden. Ein Thier ist höher entwickelt als ein anderes, wenn es mehr leistet. Die Leistungsfähigkeit hängt aber ab von der Güte der Sinneswerkzeuge, um die Außenwelt aufzufassen, und von der Stärke des Körpers, um gegen die Außenwelt zu reagiren. In beiden Richtungen stehen die Zehnfüßer obenan. In keiner anderen Ordnung finden wir solche Beispiele von Auffassung, von Schlauheit in der Berückung der Beute oder zur Bewerkstelligung der Flucht, ein so scharfes Beobachten der Umgebung und eine solche Entfaltung von List als hier. Und diese die Güte des Nervensystems und der Sinneswerkzeuge, namentlich der Augen, bethätigenden Eigenschaften sind gepaart mit der innerhalb der Klasse größten Widerstandskraft des Hautskelettes und mächtiger Entwickelung der Muskeln. Allerdings erscheinen viele Zehnfüßer, aus dem Wasser herausgenommen, gar ungeschickt gebaut, und sie vermögen ihre ungeheueren Scheren kaum zu heben; man hat sie aber eben nicht so, sondern nach dem Verhalten in ihrem Elemente zu beurtheilen, wo sie um so viel leichter sind, als das Gewicht der von ihrem Körper verdrängten Wassermasse beträgt. Demgemäß sind dann die Bewegungen vieler nach Art unseres Flußkrebses langgeschwänzter Zehnfüßer äußerst behend und pfeilgeschwind.

Nächst diesen die ganze Ordnung betreffenden Eigenthümlichkeiten ist das gegenseitige Verhältnis der sie zusammensetzenden Gruppen von hohem Interesse, besonders insofern es sich zuspitzt zum Gegensatze von landlebigen zu wasserlebigen Thieren. Die zehnfüßigen Kruster werden um so behender und zum Laufen und Klettern geschickter, je kürzer und leichter der beim Flußkrebse oben von uns Nachleib (Schwanz, postabdomen) genannte Körperabschnitt wird. Er vertritt bekanntlich beim Flußkrebse die Stelle eines kräftigen Ruders, und die großen muskelstarken Hummern und Langusten können sehr derbe Schläge damit versetzen. Für die Laufbewegung ist aber dieser Anhang sehr störend, so daß namentlich außer dem Wasser die langschwänzigen Zehnfüßer sich in einer unangenehmen Situation befinden. Es folgt also daraus von selbst, daß diejenigen Krebse sich am geschicktesten gehend bewegen werden, welche von jenem für einen anderen Zweck brauchbaren Anhängsel nicht genirt sind. Mit der Verkümmerung oder geringen Ausbildung des Nachleibes ist daher die wichtigste Bedingung zu einer solchen veränderten Lebensweise gegeben, und deshalb bilden die Langschwänze und die Kurzschwänze oder Krabben zwei natürliche Unterabtheilungen der zehnfüßigen Kruster, zwischen denen, wie überall in dem Systeme der Thierwelt, eine vermittelnde, man möchte sagen charakterlose Gruppe sich einschiebt. Nun nehmen unter diesen Krabben diejenigen konsequenterweise den höchsten Rang ein, deren Beine die geschicktesten sind, und welche, dem nassen Elemente der Klasse untreu werdend, trotz ihrer Kiemen es zum Leben auf dem Lande gebracht haben.

[7] Die ganze lebendige Welt ist ein Beweis dafür, daß die Landgeschöpfe in ihrer Gesammtheit, in ihrer Lebensenergie und Leistungsfähigkeit über den Wassergeschöpfen stehen. Man braucht bloß den einen Punkt zu berücksichtigen, daß in der Luft die Athmung, d.h. das Zuführen von Sauerstoff in das Blut, viel ergiebiger ist als im Wasser, daß mithin das Blut wärmer, die Ernährung kräftiger, daß infolge davon das Sinnes- und Nervenleben, die Reaktionsfähigkeit energischer werden, um die Vorzüge des Luftlebens zu begreifen. Wir dürfen daher auch bei den Krabben, welche im Stande sind, kürzere oder längere Zeit auf dem Lande zu leben, eine entsprechende Erhöhung der Sinnesthätigkeiten und der sogenannten Instinkte, kurz die höchste Entwickelung des Krusterdaseins erwarten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 7-8.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon