Riesenkänguru (Macropus giganteus)

[591] Das Riesenkänguru (Macropus giganteus, M. major), der »Boomer« der Ansiedler, gehört zu den größten Arten der Familie. Sehr alte Männchen haben in sitzender Stellung fast Mannshöhe; ihre Länge beträgt gegen drei Meter, wovon etwa 90 Centim. auf den Schwanz gerechnet werden müssen, ihr Gewicht schwankt zwischen 100 bis 150 Kilogramm. Das Weibchen ist durchschnittlich um ein Drittheil kleiner als das Männchen. Die Behaarung ist reichlich, dicht, glatt und weich, fast wollig, die Färbung ein schwer zu bestimmendes Braun, gemischt mit Grau. Die Vorderarme, Schienbeine und Fußwurzeln sind hellgelblichbraun, die Zehen schwärzlich; der Kopf ist auf dem Nasenrücken lichter als auf den Seiten, an den Oberlippen aber weißlich, die Außenseite der Ohren nußbraun, die Innenseite weiß; der Schwanz zeigt an seiner Wurzel die Färbung des Rückens, wird dann grau und an der Spitze schwarz.

Cook entdeckte das Känguru 1770 an der Küste von Neusüdwales und gab ihm nach einer Benennung der dortigen Eingebornen den Namen, welcher später zur Bezeichnung der ganzen Familie gebraucht wurde. Das Thier lebt auf grasbewachsenen Triften oder in spärlich bestandenen Buschwaldungen, wie solche in Australien häufig gefunden werden. In das Gebüsch zieht es sich namentlich im Sommer zurück, um sich vor der heißen Mittagssonne zu schützen. Gegenwärtig ist es durch die fortwährende Verfolgung weit in das Innere gedrängt worden, und auch hier beginnt es seltener zu werden. Es lebt in Trupps, ist jedoch nicht so gesellig, als man anfangs glaubte, getäuscht durch Vereinigung verschiedener Familien. Gewöhnlich sieht man nur ihrer drei oder vier zusammen, und diese in so losem Verbande, daß sich eigentlich keines um das andere kümmert, sondern jedes unabhängig seinen eigenen Weg geht. Besonders gute Weide vereinigt eine größere Anzahl, welche wieder sich trennt, wenn sie eine Oertlichkeit ausgenutzt hat. Früher glaubte man, in den Männchen die Leitthiere eines Trupps annehmen zu dürfen, wahrscheinlich, weil sie ihrer bedeutenden Größe wegen zu solchem Amte geeignet erscheinen mochten; aber auch diese Annahme hat sich als unrichtig herausgestellt. Alle Beobachter stimmen darin überein, daß das Känguru im hohen Grade scheu und furchtsam ist und dem Menschen nur selten erlaubt, ihm in erwünschter Weise sich zu nähern. Gould, welcher ein vortreffliches Werk über diese Familie geschrieben hat, sagt über die flüchtigen Kängurus folgendes: »Ich erinnere mich mit besonderer Vorliebe eines schönen Boomers, welcher sich in der offenen Ebene zwischen den Hunden plötzlich aufrichtete und dann dahin jagte. Zuerst warf er seinen Kopf empor, um nach seinen Verfolgern zu schielen und gleichzeitig zu sehen, welche Seite des Weges ihm offen war;[591] dann aber jagte er, ohne einen Augenblick zu zögern, vorwärts und gab uns Gelegenheit, das tollste Rennen zu beobachten, welches ein Thier jemals vor unseren Augen ausgeführt hat. Vierzehn (englische) Meilen in einem Zuge rannte der vogelschnelle Läufer, und da er vollen Spielraum hatte, zweifelte ich nicht im geringsten, daß er uns entkommen würde. Zu seinem Unglück aber hatte er seinen Weg nach einer Landzunge gerichtet, welche ungefähr zwei Meilen weit in die See hinauslief. Dort wurde ihm der Weg abgeschnitten und er gezwungen, schwimmend seine Rettung zu suchen. Der Meeresarm, welcher ihn vom festen Lande trennte, mochte ungefähr zwei Meilen breit sein, und eine frische Brise trieb die Wellen hart gegen ihn. Aber es blieb ihm keine andere Wahl, als entweder den Kampf mit den Hunden aufzunehmen, oder seine Rettung in der See zu suchen. Ohne Besinnen stürzte er sich in die Wogen und durchschwamm sie muthig, obgleich die Wellen halb über ihn hinweggingen. Schließlich jedoch wurde er genöthigt, umzukehren, und abgemattet und entkräftet, wie er war, erlag er nunmehr seinen Verfolgern in kurzer Frist.


Pademelon (Macropus Thetidis). 1/8 natürl. Größe.
Pademelon (Macropus Thetidis). 1/8 natürl. Größe.

Die Entfernung, welche er auf seiner Flucht durchjagt hatte, konnte, wenn man die verschiedenen Krümmungen hinzurechnen wollte, nicht unter achtzehn Meilen betragen haben, und sicherlich durchschwamm er deren zwei. Ich bin nicht im Stande, die Zeit zu bestimmen, in welcher er diese Strecke durchrannte, glaube jedoch, daß ungefähr zwei Stunden vergangen sein mochten, als er am Ende der betreffenden Landzunge ankam. Dort aber rannte er noch ebenso schnell wie im Anfange.«

Im übrigen habe ich über das Leben des Thieres nach dem bereits Mitgetheilten nichts weiter zu bemerken; denn gerade an dieser Art der Familie hat man die meisten Beobachtungen gemacht. Gegenwärtig sieht man das Känguru seltener bei uns in der Gefangenschaft als früher, da es in seiner Heimat weit häufiger war. Bei guter Pflege dauert es bei uns lange aus; einzelne lebten zehn bis funfzehn Jahre in Europa.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 591-592.
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