Weißbartaffe (Cebus leucogenys)

[200] Bei den Weißbartaffen (Cebus leucogenys) aus Brasilien ist der Haarputz vorzugsweise über den Augenbrauen entwickelt. Das lange, seidige Haar des durch Unterhaar bereicherten Pelzes hat graulichschwarze, der Backenbart hellgelbe oder gelblichweiße Färbung.

Infolge der gegenwärtig noch herrschenden Unklarheit über Begrenzung der Arten läßt sich noch nicht bestimmen, welche Angaben der Reisenden wir auf diese oder jene Art zu beziehen haben, also nur ein allgemeines Bild der Gruppe entwerfen. Ich spreche somit keineswegs vom Kapuziner allein, obgleich ich seinen Namen vorzugsweise gebrauche.

Der Verbreitungskreis des Kapuziners reicht über den südlichen Wendekreis und hinweg über die Andes. Von Bahia bis Columbia ist er überall gemein. Er zieht Waldungen vor, deren Boden nicht mit Gestrüpp bewachsen ist. Den größten Theil seines Lebens verbringt er auf den Bäumen; denn diese verläßt er überhaupt nur dann, wenn er trinken oder ein Maisfeld besuchen [200] will. Sein Aufenthalt ist nicht bestimmt. Bei Tage streift er von Baum zu Baume, um sich Nahrung zu suchen, bei Nacht ruht er zwischen den verschlungenen Aesten eines Baumes. Gewöhnlich trifft man ihn in kleinen Familien von fünf bis zehn Stücken, von denen die größere Anzahl Weibchen sind. Selten findet man wohl auch einzelne alte Männchen.


1. Weißbartaffe (Cebus leucogenys). 2. Apella (Cebus Apella). 3. Weißschulteraffe (Cebus hypoleucus). 4. Fahlaffe (Cebus olivaceus). 1/6 natürl. Größe.
1. Weißbartaffe (Cebus leucogenys). 2. Apella (Cebus Apella). 3. Weißschulteraffe (Cebus hypoleucus). 4. Fahlaffe (Cebus olivaceus). 1/6 natürl. Größe.

Das Thier läßt sich schwer beobachten, weil es sehr furchtsam und scheu ist: Rengger versichert, daß er nur zufällig zu Beobachtungen habe gelangen können. Einmal machten ihn angenehm flötende Töne aufmerksam, und er sah ein altes Männchen, furchtsam umherblickend, auf die nächsten Baumgipfel näher kommen; ihm folgten zwölf oder dreizehn andere Affen beiderlei Geschlechts, von denen drei Weibchen theils auf dem Rücken, theils unter einem Arme Junge trugen. Plötzlich erblickte einer von ihnen einen nahestehenden Pomeranzenbaum mit reifen Früchten, gab einige Laute von sich und sprang auf den Baum zu. Nach wenigen Augenblicken war die ganze Gesellschaft dort versammelt und beschäftigte sich mit Abreißen und Fressen der süßen Früchte. Einige fraßen gleich auf dem Baume; die anderen sprangen, mit je zwei Früchten beladen, auf einen der nächsten Bäume, dessen starke Aeste ihnen eine bequeme Tafel abgaben. Sie setzten sich auf einen Ast, umschlangen diesen mit ihrem Schwanze, nahmen dann eine der Pomeranzen zwischen die Beine und versuchten nun bei [201] dieser die Schale in der Vertiefung des Stielansatzes mit den Fingern zu lösen. Gelang es ihnen nicht sogleich, so schlugen sie unwillig und knurrend die Früchte zu wiederholten Malen gegen den Ast, wodurch die Schale einen Riß erhielt. Kein einziger versuchte, die Schale mit den Zähnen zu lösen, wahrscheinlich weil sie den bitteren Geschmack derselben kannten; sobald aber eine kleine Oeffnung in derselben gemacht worden war, zogen sie mit der Hand rasch einen Theil davon ab, leckten gierig von dem herabträufelnden Safte, nicht nur an der Frucht, sondern auch den, welcher an ihrem Arme oder der Hand war, und verzehrten dann das Fleisch. Der Baum war bald geleert, und jetzt suchten die stärkeren Affen die schwächeren um das Ihrige zu berauben, schnitten dabei die seltsamsten Gesichter, fletschten die Zähne, fuhren einander in die Haare und zausten sich tüchtig. Andere durchsuchten die abgestorbene Seite des Baumes, hoben die trockene Rinde vorsichtig auf und fraßen die darunter hausenden Kerbthierlarven. Als sie sich gesättigt hatten, legten sie sich in der bei den Brüllaffen beschriebenen Stellung der Länge nach über einen wagrechten Ast weg, um zu ruhen. Die Jüngeren begannen mit einander zu spielen und zeigten sich dabei sehr behend. An ihrem Schwanze schaukelten sie sich oder stiegen an ihm wie an einem Stricke in die Höhe.

Die Mütter hatten ihre Noth mit den Kindern, denen nach den süßen Früchten gelüstete. Anfangs schoben sie ihre Sprößlinge noch langsam mit der Hand weg, später zeigten sie ihre Ungeduld durch Grunzen, dann faßten sie das ungehorsame Kind bei dem Kopfe und stießen es mit Gewalt auf den Rücken zurück. Sobald sie sich aber gesättigt hatten, zogen sie das Junge wieder sachte hervor und legten es an die Brust. Die Mutterliebe zeigte sich durch die große Sorgfalt, mit welcher jede Alte ihr Junges behandelte, durch das Anlegen desselben an die Brust, durch beständiges Beobachten, durch das Absuchen seiner Haut und durch die Drohungen gegen die übrigen Affen, welche sich ihm nahten. Als die Jungen der drei Mütter gesogen hatten, kehrten zwei der größeren auf den Rücken ihrer Pflegerinnen zurück, das kleinste und schwächste aber blieb seiner Erzeugerin an der Brust hängen. Die Bewegungen der Jungen waren weder leicht noch gefällig, sondern plump und unbeholfen, und die Thierchen schienen sehr schläferig zu sein.

Ein anderes Mal stieß Rengger auf eine Affenfamilie, welche sich eben anschickte, ein dicht am Walde gelegenes Maisfeld zu plündern. Sie stiegen langsam, sorgfältig sich umsehend, von einem Baume herab, brachen sich zwei oder drei Fruchtkolben ab und kehrten, dieselben mit der Hand an die Brust drückend, so schnell als möglich in den Wald zurück, um daselbst ihre Beute zu verzehren. Als unser Forscher sich zeigte, floh der ganze Trupp mit krächzendem Geschrei durch die Wipfel der Bäume; jeder aber nahm wenigstens einen Kolben mit sich weg. Rengger schoß nun auf die Fliehenden und sah ein Weibchen mit einem Säuglinge auf dem Rücken von einem Aste zum anderen stürzen. Schon glaubte er, es in seine Gewalt bekommen zu haben, als es, schon mit dem Tode ringend, sich noch mit dem Schwanze um einen Ast schlang und an ihm wohl eine Viertelstunde hängen blieb, bis der Schwanz schlaff wurde und sich durch das Gewicht des Affen aufrollte. Das Junge hatte seine Mutter nicht verlassen, vielmehr, obgleich einige Unruhe zeigend, fest an sie sich angeklammert. Nachdem sie erstarrt und es von der Mutter gedrückt worden war, suchte das arme verwaiste Thierchen dieselbe noch mit kläglichen Tönen zu rufen und kroch nach ihr hin, sobald es freigelassen wurde. Erst nach einigen Stunden, bei eingetretener Todeskälte, schien es dem Säuglinge vor der Mutter zu grauen, und er blieb willig in der Busentasche seines nunmehrigen Beschützers sitzen.

Unser Berichterstatter sagt, daß auch in der Familie des Kapuziners die Zahl der Weibchen die der Männchen übertrifft, und vermuthet wohl mit vollstem Rechte, daß dieser Affe in Vielweiberei lebt. Im Januar wirft das Weibchen ein Junges und trägt es die ersten Wochen an der Brust, später aber auf dem Rücken. Niemals verläßt die Mutter ihr Kind, nicht einmal, wenn sie verwundet wird. Rengger beobachtete zwar, daß ein Weibchen, welchem sein Jagdgefährte den einen Schenkel durch einen Schuß zerschmettert hatte, seinen Säugling von der Brust riß und auf [202] einen Ast setzte; doch ist wohl wahrscheinlich, daß dies mehr deshalb geschah, um den Säugling der Gefahr zu entrücken, als um sich selbst eine Erleichterung zu verschaffen.

Der Kapuziner wird häufig eingefangen und gezähmt. Alte wollen sich nicht an die Gefangenschaft gewöhnen: sie werden traurig, verschmähen Nahrung zu sich zu nehmen, lassen sich niemals zähmen und sterben gewöhnlich nach wenigen Wochen; der junge Affe dagegen vergißt leicht seine Freiheit, schließt sich den Menschen an und theilt, wie viele andere Ordnungsgenossen, sehr bald mit dem Menschen Speisen und Getränke. Er hat, wie alle seine Gattungsverwandten, ein sanftes Aussehen, welches mit seiner großen Gewandtheit nicht im Einklange zu stehen scheint. Gewöhnlich stellt er sich auf Hände und Füße und streckt dabei den am Ende etwas eingerollten Schwanz aus. Der Gang auf ebenem Boden geschieht sehr verschieden, bald im Schritte, bald im Trabe, und ist bald ein Hüpfen oder endlich ein Springen. Auf den Hinterfüßen geht er aus eigenem Antriebe höchstens drei oder vier Schritte weit; doch zwingt man ihn zum aufrechten Gange, indem man ihm die Vorderhände auf den Rücken bindet. Anfangs fällt er freilich oft auf das Gesicht und muß deshalb durch eine Schnur hinten gehalten werden. Zum Schlafen rollt er sich zusammen und bedeckt das Gesicht mit den Armen und dem Schwanze. Er schläft des Nachts und, wenn die Hitze groß ist, in den Mittagsstunden; während der übrigen Tageszeit ist er in beständiger Bewegung.

Unter den Sinnen des Thieres steht der Tastsinn obenan; die übrigen sind schwach. Er ist kurzsichtig und sieht bei Nacht gar nicht; er hört schlecht, denn man kann ihn leicht beschleichen. Noch schwächer scheint sein Geruch zu sein; denn er hält jeden zu beriechenden Gegenstand nahe an die Nase und wird noch immer oft genug durch den Geruch getäuscht und verleitet, Sachen zu kosten, welche ihm der Sinn des Geschmackes als ungenießbar bezeichnet. Bei großem Hunger oder Durst nimmt er seinen eigenen Koth zu sich und trinkt seinen eigenen Harn. Der Tastsinn ersetzt die Schwächen der übrigen Sinne wenigstens einigermaßen. Er zeigt sich hauptsächlich in den Händen, weniger in den Füßen und gar nicht im Schwanze. Durch Uebung und Erziehung wird dieser Sinn einer großen Vervollkommnung fähig. Renggers Gefangener brachte es so weit, daß er seinen Herrn in der dunkelsten Nacht erkannte, sobald er nur einen Augenblick dessen gewöhnliche Kleidung betastet hatte.

Die Laute, welche der Kapuziner von sich gibt, wechseln im Einklange mit seinen Gemüthsbewegungen. Man hört am häufigsten einen flötenden Ton von ihm, welcher, wie es scheint, aus Langeweile ausgestoßen wird. Verlangt er dagegen etwas, so stöhnt er. Erstaunen oder Verlegenheit drückt er durch einen halb pfeifenden Ton aus; im Zorne schreit er mit tiefer und grober Stimme mehrmals »hu, hu!« Bei Furcht oder Schmerz kreischt, bei freudigen Ereignissen dagegen kichert er. Mit diesen verschiedenen Tönen theilt der Leitaffe seiner Herde auch in der Freiheit seine Empfindungen mit. Diese sprechen sich übrigens nicht allein durch Laute und Bewegungen, sondern zuweilen auch durch eine Art von Lachen und Weinen aus. Das erstere besteht im Zurückziehen der Mundwinkel; er gibt dabei aber keinen Ton von sich. Beim Weinen füllen sich seine Augen mit Thränen, welche jedoch niemals über die Wangen herabfließen.

Wie alle Affen ist er sehr unreinlich. Er läßt seinen Koth überall fallen und beschmutzt sich auch häufig damit, und zwar um so mehr, je weniger Freiheit man ihm läßt; mit seinem Harn besudelt er sich unaufhörlich.

Auch dieser Affe unterscheidet männliche und weibliche Menschen; der männliche Affe liebt mehr Frauen und Mädchen, der weibliche mehr Männer und Knaben.

Es kommt nicht selten vor, daß sich die Kapuziner in der Gefangenschaft begatten und dort Junge gebären. Ihre Zärtlichkeit für dieselben scheint hier noch größer zu sein als in der Freiheit. Die Mütter geben sich den ganzen Tag mit ihrem Kinde ab, lassen es von keinem Menschen berühren, zeigen es bloß Leuten, welchen sie gewogen sind, und vertheidigen es muthig gegen jeden Anderen.

Unser Affe ist sehr empfindlich gegen Kälte und Feuchtigkeit und muß gegen sie geschützt sein, wenn er nicht erkranken soll. Dies fällt leicht, weil er sich gern in eine wollene Decke einwickelt. [203] In das Wasser geht er aus freien Stücken niemals. Auch hat man nie beobachtet, daß er sich durch Schwimmen zu retten versuchte. Wohl aber weiß man, daß er bald untergeht, wenn man ihn in das Wasser wirft. In der Gefangenschaft ist er vielen Krankheiten, namentlich dem Schnupfen und Husten ausgesetzt und leidet, wie seine altweltlichen Vettern, ebenfalls oft genug an der Schwindsucht. Gegen die leichten Krankheiten helfen ärztliche Mittel oder bringen wenigstens dieselben Wirkungen hervor wie beim Menschen. Nach Renggers Schätzung dürfte sich das Alter, welches er erreichen kann, auf etwa fünfzehn Jahre belaufen.

Die geistigen Eigenschaften des Kapuziners sind unserer vollsten Beachtung werth. Er lernt schon in den ersten Tagen seiner Gefangenschaft seinen Herrn und Wärter kennen, sucht sich bei ihm Nahrung, Wärme, Schutz und Hülfe, vertraut ihm vollständig, freut sich, wenn dieser mit ihm spielt, läßt sich alle Neckereien gern von ihm gefallen, zeigt nach einer Trennung beim Wiedersehen eine ausgelassene Freude und gibt sich dem Gebieter zuletzt so hin, daß er bald seine Freiheit ganz vergißt und zum halben Hausthiere wird. Ein altes Männchen, welches Rengger besaß, machte sich zuweilen von seinem Riemen los und entfloh im ersten Gefühle der Freude über die erlangte Freiheit, kehrte aber nach Verlauf von zwei bis drei Tagen immer wieder in seine Gefangenschaft zurück, suchte seinen Wärter auf und ließ sich nun ohne alle Umstände von diesem anbinden. Diejenigen Stücke, welche niemals mishandelt worden sind, zeigen auch gern Zutrauen, besonders gegen die Neger, denen sie überhaupt mehr zugethan sind als den Weißen. Uebrigens schließt er sich nicht allein Menschen an, sondern auch Hausthieren, mit denen er aufgezogen wird. Es geschieht nicht selten in Paraguay, daß man ihn mit einem jungen Hunde aufzieht, welcher ihm als Reitpferd dienen muß. Wird er von diesem getrennt, so bricht er in ein Geschrei aus; beim Wiedersehen überhäuft er ihn mit Liebkosungen. Und dabei ist seine Liebe auch der Aufopferung fähig; denn bei Balgereien mit anderen Hunden vertheidigt er seinen Freund mit großem Muthe.

Ganz anders zeigt sich das Thier, wenn es Mishandlungen erdulden muß. Fühlt es sich stark genug, so sucht es Gewalt mit Gewalt zu vertreiben und beißt den Menschen derb, sobald er es beleidigt. Wenn es aber seinen Gegner fürchtet, nimmt es seine Zuflucht zur Verstellung und versucht dann an ihm sich zu rächen, falls es ihn unvermuthet überfallen kann. Renggers Gefangener biß Leute, die ihn vorher geneckt hatten, auf die heimtückischste Weise und kletterte hierauf immer schnell auf einen hohen Balken, wo man ihm nicht beikommen konnte. Alle Kapuziner, welche man früher foppte, sind gegen Jedermann äußerst mistrauisch, und man muß sich vor ihnen in Acht nehmen. Sie selbst necken aber gern und lassen kein Thier unangefochten vorübergehen. Hunde und Katzen zerren sie am Schwanze, Hühnern und Enten reißen sie Federn aus, selbst Pferde, welche in ihrer Nähe angebunden sind, ziehen sie am Zaume, und ihre Freude ist um so größer, je mehr sie ein Thier geärgert oder geängstigt haben.

Auch der Kapuziner ist höchst naschhaft und lernt bald, wenn er dabei ertappt wird, heimlich stehlen, wobei er alle Kniffe und Pfiffe anwendet. Ertappt man ihn bei der That, so schreit er aus Furcht vor der Strafe schon im voraus laut auf, wird er aber nicht entdeckt, dann thut er so unschuldig und furchtlos, als ob nichts geschehen wäre. Kleinere Gegenstände versteckt er, wenn er gestört wird, im Munde und frißt sie erst später. Seine Habsucht ist sehr groß. Was er einmal besitzt, läßt er sich so leicht nicht wieder nehmen, höchstens von seinem Herrn, wenn er diesen sehr lieb hat. Diese Habsucht ist schuld, daß man ihn in ausgehöhlten Kürbissen (S. 47) fangen kann. Außer diesen Eigenschaften zeigt er noch Neugierde und Zerstörungssucht im hohen Grade.

Selbständig wie er ist, unterwirft er sich nicht gern dem Willen des Menschen. Man kann ihn wohl von etwas abhalten, nicht aber zu etwas zwingen. Dagegen sucht er andere Geschöpfe, und selbst den Menschen, bald durch Liebkosungen, bald durch Drohungen, seinem eigenen Willen zu unterwerfen. Diejenigen Thiere, denen er an Kraft und Gewandtheit überlegen ist, müssen sich in seinen Willen fügen. Dies thut seiner Gelehrigkeit bedeutenden Abbruch. Er lernt bloß das, was ihm Nutzen bringt, z.B. Schachteln öffnen, die Taschen seines Herrn untersuchen usw. Mit [204] den Jahren nimmt er an Erfahrung zu und weiß diese wohl zu benutzen. Gibt man ihm zum ersten Male ein Ei, so zerbricht er es mit solchem Ungeschick, daß er den größten Theil des Inhaltes verliert; später öffnet er es bloß an der Spitze und läßt nichts mehr verloren gehen. Selten läßt er sich mehr als einmal durch etwas täuschen. Schon nach kurzer Zeit lernt er den Ausdruck der Gesichtszüge und die verschiedenen Betonungen der Stimme seines Herrn verstehen und zeigt Furcht oder Freude, je nachdem er rauh oder sanft angeredet oder angesehen wird. Auslachen läßt er sich nicht, wahrscheinlich weil ihn das Gelächter an frühere unangenehme Lagen erinnert. Seine gemachten Erfahrungen wendet er auch bei verschiedenen Gegenständen geschickt an, d.h. er versteht das, was er einmal gelernt hat, in der ausgedehntesten Weise zu benutzen. So lernt er den Hammer zum Zertrümmern, den Hebel zum Aufbrechen gebrauchen. Entfernungen schätzt er auf das genaueste und richtet hiernach seine Bewegungen ein. Sein treues Gedächtnis und seine Urtheilsfähigkeit machen sich oft bemerklich. Diese beiden Geisteskräfte sind wohl bei allen gleichmäßig ausgebildet, bei älteren aber entschiedener als bei jüngeren.

Nur die Indianer benutzen das Fell und Fleisch des Thieres und stellen ihm deshalb mit Pfeil und Bogen nach. Die Weißen verfolgen ihn höchstens dann, wenn er sich gar zu unverschämt in der Nähe der Pflanzung zeigt, halten ihn aber gern in Gefangenschaft. Auf unseren Thiermarkt gelangt er regelmäßig, man darf wohl sagen mit jedem Schiffe, welches von einem thierfreundlichen Führer befehligt wird, und sein Preis ist dem entsprechend gering. Im Gesellschaftskäfige des Affenhauses erwirbt er sich zwar bald eine gewisse Stellung, zeigt aber doch recht deutlich, wie weit er hinter den Meerkatzen, seinen altweltlichen Vertretern, zurücksteht. Erst wenn man ihn mit diesen vergleichen kann, merkt man, daß seine Munterkeit und Fröhlichkeit denn doch eine ganz andere ist als die der muthwilligen Altweltsaffen, welche ihre Tollheiten stets mit dem größten Ernste ausführen und bei jeder Gelegenheit eine geradezu unübertreffliche Dreistigkeit an den Tag legen. Dem gegenüber zeigt sich der Kapuziner ängstlich, ja fast unbeholfen, und sein beständiges Wehklagen trägt nur dazu bei, diesen Eindruck zu verschärfen. So selbstherrlich er schwächeren Affen gegenüber verfährt, so kriechend und demüthig zeigt er sich in Gesellschaft seiner altweltlichen Ordnungsgenossen, just wie so mancher Mensch, welcher ebenfalls nach unten hin herrschsüchtig auftritt, nach oben hin den Rücken gebührend zu krümmen weiß. Unter Meerkatzen ist er das allgemeine Opferlamm, der Prügelknabe, an welchem jene ihre Launen nach Herzenslust auslassen, in Gesellschaft von Hundsköpfen befindet er sich anscheinend weit besser, weil sein Gewinsel früher oder später die mitleidige Seele einer Pavianmutter rührt und sie veranlaßt, sich des anscheinend Hülflosen anzunehmen. Einen solchen Schutz erkennt der Kapuzineraffe stets sehr dankbar an und läßt sich, selbst wenn er längst über die Jahre der Kindheit hinaus ist, hätscheln und pflegen, als wäre er ein unmündiger Säugling.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CC200-CCV205.
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