Pinseläffchen (Hapale penicillata)

[236] Fast ebenso häufig wie der Saguin ist das Pinsel-oder Weißstirnäffchen (Hapale penicillata, Jacchus penicillatus, Simia penicillata), ein jenem in der Größe annähernd gleichkommendes Thierchen, von ähnlicher Färbung. Ein rundlicher Stirnfleck und die mit kurzen Haaren besetzten Gesichtstheile sind weiß, der lange Ohrbüschel, Kopf, Nacken und Ober- und Unterhals, kragenartig abgegrenzt, schwarzbraun, der übrige Pelz röthlichgrau, weil die an der Wurzel dunkelgrauen Haare in der Mitte blaßroth, an der Spitze weiß aussehen, Hände und Füße lichtgrau, manchmal dunkelbraun, die Schwanzringe abwechselnd grau und schmutzigweiß.

Der Saguin findet sich, nach Prinz von Wied, in den unmittelbaren Umgebungen der Stadt Bahia und kommt zuweilen in die Pflanzungen, welche am Rande der benachbarten, niederen Gebüsche belegen sind; das Pinseläffchen bewohnt die Waldungen der Ostküste zwischen dem 14. und 17. Grade. Beider Lebensart ist die aller geschilderten Arten. Kleine Gesellschaften von einer oder ein paar Familien, also von drei bis acht Stücken, ziehen umher, beständig einen feinen pfeifenden oder zwitschernden Ton wie kleine Vögel von sich gebend. Die Nahrung besteht in mancherlei Früchten, namentlich in Bananen, nicht minder aber auch in Kerbthieren, Spinnen und dergleichen. Ueber Tags sind die Thierchen in beständiger Bewegung; bei Nacht sitzen sie stille, beugen sich zusammen, wenn sie schlafen, und bedecken ihren Kopf mit dem Schwanze. Das Weibchen wirft mehrere Junge, von denen jedoch meist nur eines aufkommt, und trägt dieses in der gewöhnlichen Weise umher.

Nach Europa gelangen lebende Saguins häufiger als jede andere Art ihrer Familie. Man kennt sie schon seit der Entdeckung von Amerika und hat sie stets in der Gefangenschaft gehalten. Sie lassen sich mit Obst, Gemüse, Kerbthieren, Schnecken und Fleisch recht gut ernähren, werden auch gewöhnlich sehr bald zutraulich, doch nur gegen Diejenigen, welche sie beständig pflegen. Fremden gegenüber zeigen sie sich mistrauisch und reizbar, überhaupt sehr eigensinnig wie ein ungezogenes Kind. Ihren Unwillen geben sie durch pfeifende Töne zu erkennen. Alles Fremdartige bringt sie in Aufregung: sie sind so furchtsam, daß ihnen der Anblick einer vorüberfliegenden Wespe große Angst einflößt. Alt Gefangene zeigen sich anfangs ziemlich wild, schreien schon bei der geringsten Annäherung, und es währt ziemlich lange, bis man sie berühren darf. Wenn sie einmal zahm geworden sind, befreunden sie sich nicht nur mit den Menschen, sondern auch mit den Hausthieren, vor allen anderen mit den Katzen, mit welchen sie spielen, und in deren Nähe sie wahrscheinlich der Wärme halber gern schlafen. Sie suchen sich beständig sorgfältig gegen Kälte zu schützen und tragen die ihnen dargereichte Baumwolle und andere Stoffe, Lumpen, wollene Flecken usw. in einen Winkel ihres Käfigs, bereiten sich ein Lager daraus und hüllen sich ein, so gut sie können. Es sieht sehr hübsch aus, wenn das kleine Thier sein zierliches Köpfchen aus seinem Bettchen hervorstreckt, sobald ihm Bekannte mit leckeren Bissen sich nahen.

In Paris paarten sich zwei dieser Aeffchen Ende Septembers, und das Weibchen warf gegen Ende Aprils, das wäre also nach sieben Monaten, drei sehende Junge, ein männliches und zwei weibliche. Die jungen Thierchen waren, als sie zur Welt kamen, mit sehr kurzen, graulichen Haaren bekleidet. Sie hefteten sich sogleich an die Mutter und versteckten sich in deren Haaren. Aber ehe sie zu saugen begannen, biß die Alte einem von ihnen den Kopf ab und fraß denselben. Nachdem die beiden anderen sich angesaugt hatten, nahm sie sich ihrer an, und der Vater that das Gleiche. Wenn der Mutter die Jungen zu schwer wurden, streifte sie dieselben an einer Wand ab, worauf sie das Männchen sogleich auf seinen Rücken klettern ließ. Auch kam es vor, daß sie ihrem Herrn Gemahl mit kläglichen Tönen sich näherte, als wolle sie ihn bitten, ihr die Last zu erleichtern, und auch dann zeigte sich das Männchen stets willfährig. Es trug, wie sein Weibchen, [236] die Jungen entweder auf dem Rücken oder unter dem Leibe und behielt sie so lange bei sich, bis die Kleinen saugen wollten; dann gab es sie der Mutter wieder zurück. Diese schien weniger Sorge für ihre Sprößlinge zu haben als der Vater, und daher mochte es wohl auch kommen, daß beide nach einander dahin starben. Schon nach wenigen Wochen nämlich wurde die Alte häufig müde, ihre Kinder herumzuschleppen, und auch der geplagte Vater weigerte sich zuletzt, die Jungen zu tragen. Nun kletterte das kleine Volk zu der Decke seines Käfigs hinauf. Hatte es sich hier verstiegen, und konnte es nicht wieder herunterkommen, so schrie es um Hülfe. Bisweilen leisteten ihm die Eltern diese; oft aber ließen sie die Kleinen auch schreien, ohne sich um sie zu kümmern, und die Wärter mußten nun ihr Flehen erhören. Zu vorstehender Schilderung habe ich zu bemerken, daß die Angabe einer siebenmonatlichen Tragzeit jedenfalls falsch ist; denn der Saguin geht, wie auch aus dem Nachfolgenden sich ergibt, höchstens drei und einen halben Monat trächtig.

Das Mitgetheilte steht nicht vereinzelt da; denn der Uistiti hat in Europa schon mehrmals Junge gezeugt, einmal sogar in Petersburg und unter sehr ungünstigen Verhältnissen. Man hielt die Thiere selbst bei ziemlich rauhen Herbst- und Frühlingstagen im ungeheizten Zimmer und gab ihnen durchaus keine Freiheit; gleichwohl brachten sie in zwei Jahren dreimal Junge zur Welt und erzogen dieselben auch glücklich bei geringer Wartung, welche ihnen zu Theil wurde. Wir verdanken den Bericht hierüber dem Naturforscher Pallas, und da dieser zugleich eine sehr ausführliche Beschreibung des Betragens der Thiere selbst in der Gefangenschaft beifügt, will ich seine Angaben im Auszuge hier folgen lassen.

»Der Saguin ist wie alle langschwänzigen, kleinen Meerkatzensippen der neuen Welt, so zu sagen weit weniger Affe als die größeren Arten. Er springt und klettert zwar sehr schnell, wenn er will, allein er ist nicht wie andere Affen in so beständiger Unruhe und Bewegung, sondern zeigt zuweilen, zumal wenn er satt ist und der Sonne genießen will, viel Trägheit und sitzt in Gesellschaft seiner Gespielen ganze Stunden lang still, am Drahte des Vogelbauers hängend. Er klettert in allen Richtungen, oft mit dem Kopfe abwärts, allezeit mit einem ziemlich phlegmatischen Anstande, hält sich, zuweilen mit den Hinterfüßen allein, abwärts gerichtet an oder dehnt den Körper, an den Vorderfüßen befestigt, wie ein fauler Mensch. Bei warmem Sonnenscheine reinigen die Gespielen sich gegenseitig mit den Vorderpfoten und Zähnen nach Affenart, bald neben einander am Gitter hängend, bald auf dem Boden ruhend, wobei einer lang ausgestreckt auf dem Rücken liegt. Dabei lassen sie ein geringes Zwitschern und einen girrenden Laut hören. Mit demselben Girren pflegten die Thiere des Abends beinahe auf Schlag sechs Uhr in eine ihrer bloß mit Stroh gefütterten Seitenhütten ihres Käfigs zusammenzukriechen und ließen sich vor morgens sechs oder sieben Uhr nicht wieder sehen, auch keinen Laut von sich hören. Selten kam einmal einer während der Schlafzeit hervor, um einige Nothdurft zu verrichten, wobei sie nie ihr Nest verunreinigten. Die übrigen elf oder zwölf Stunden waren sie immer munter und außerhalb der Nester beschäftigt, bald mehr, bald weniger in Bewegung und dabei ziemlich laut. Außer ihrem gewöhnlichen Girren ließen sie, besonders wenn sie auf Nahrung aufmerksam gemacht wurden, eine ihren französischen Namen ›Uistiti‹ ziemlich genau ausdrückende, stärker tönende Stimme hören, oft mehrere Male hinter einander. Wenn sie gesättigt ruhten oder sich sonnten, stießen die Aeltesten zuweilen mit weit aufgesperrtem Rachen ein langes, eintöniges, außerordentlich durchdringendes und den Ohren wehthuendes Pfeifen aus, waren auch durch Scheuchen und Rufen davon nicht abzubringen. Sahen sie etwas Ungewöhnliches, z.B. Hunde, Krähen usw., so machten sie ein wiederholtes, absetzendes Geschnatter, fast wie eine Elster, und warfen dabei den Obertheil des Leibes mit dem eingezogenen Kopfe jedesmal hin und her wie ein Mensch, welcher lauernd nach etwas sieht und den rechten Gesichtspunkt sucht. Noch ein anderes knarrendes und zuweilen grunzendes Geschelte ließen die alten Männchen vernehmen, wenn man sie ärgerte oder ihnen etwas von weitem darbot und nicht geben wollte. Dabei verlängerten sie das Gesicht, wie andere Affen, wenn sie zornig werden, stotterten in ungewöhnlicher Weise und [237] suchten den Störenfried mit den Vorderpfoten zu greifen und zu kratzen, wurden aber sehr ängstlich, wenn man die Pfote erhaschte und außer dem Käfige festhielt. Fast ebenso knarrten die Kleinen, erst im selbigen Sommer Geborenen, welche den Alten weder an Vollhaarigkeit noch an Größe glichen, wenn sie sich unter einander oder mit den Alten um einen Leckerbissen zankten, und eben diese ließen, wenn sie den Kürzeren zogen, einen klagenden Laut hören, welcher dem Miauen einer jungen Katze ähnelte.

Alle Nahrung nehmen diese Affen mit dem Maule an, und, wenn sie durch das Gitter nicht dazu kommen können, ist das Ergreifen derselben mit den Vorderpfoten sehr ungeschickt, weil deren Daumen den anderen Fingern nicht entgegensteht. Bissen, welche sie nicht auf einmal genießen können, halten sie daher mehr mit den eingeschlagenen Fingern gegen den Handballen (wie es die Eichhörnchen thun) als mit dem Daumen fest; an den Hinterfüßen aber ist der stärkere und allein mit einem Nagel versehene Daumen zum Anhalten sehr geschickt. Sie trinken auf allen Vieren sitzend mit ausgestrecktem oder zusammengezogenem Leibe, entweder wie eine Katze leckend oder mit eingetauchten Lippen und schlürfend. So fraßen sie auch das erweichte Brod, welches man in die ihnen vorgesetzte Milch legte und eben als gewöhnliches Futter gab. Nach Zuckerwaren sie ungemein begierig und konnten ihn mit ihren stumpfen Zähnen recht hurtig nagen, obgleich sie sonst nicht stark und auch im größten Zorne kaum durch die Haut bissen. Auf Fliegen, Schmetterlinge und Spinnen waren sie sehr erpicht. Von allem anderen Futter fraßen sie mit Mäßigung; doch war ihr Geschmack dabei sehr verschieden: denn das, was einigen wohlschmeckte, wollten andere nicht annehmen. Namentlich ein in Petersburg geborenes und dort groß gewordenes Weibchen wollte verschiedene Dinge nicht genießen, welche den anderen angenehm waren.

Die sonst bei Affen so gemeine Schlüpfrigkeit war bei diesen Thieren gar nicht anstößig. Man sah sie außerhalb ihrer Nester nie etwas Unanständiges begehen; nur wenn man sie zornig machte oder reizte, spritzten sie ihren Harn von sich, und zwar die Männchen mehr gegen weibliche Personen als gegen Männer. Des Morgens waren sie alle sehr unsauber, weil sie ihren über Nacht aufgesammelten Harn und Unrath, so weit sie konnten und oft einige Fuß weit zu spritzen und zu schleudern suchten, während sie zu anderen Zeiten denselben ohne Umstände in das Heu des Käfigs ablegten. Ihr Harn verunreinigt alles, was er berührt, mit einem widerlichen, moschus- oder amberartigen, aber zugleich fauligen Gestank, und so reinlich man sie auch mit fast täglichem Wechsel des Heues und Auswaschen des Käfigbodens zu halten sucht, verursachen sie doch, zumal in kleineren Zimmern, einen durchdringenden Uebelgeruch, welcher der Gesundheit sehr nachtheilig zu sein scheint. Wenigstens haben Leute, welche mit diesen Affen das Zimmer Tag und Nacht theilten, schon mehrere Male Faulfieber bekommen. Ihre Nester hielten die Thiere stets trocken und reinlich.

Als Affen, welche eigentlich in Südamerika zu Hause sind, hätte man die Saguinchen für weit frostiger halten können, als sie es wirklich sind. In den kalten Herbsttagen, in denen ich sie bei mir hatte, hielten sie im ungeheizten Zimmer, wo sie am Fenster standen, bei Wärmegraden aus, welche beständig dem Gefrierpunkte nahe waren. Freilich suchten sie alsdann die Sonne oder die Nachbarschaft des neben sie gestellten Feuerbeckens, bei welchem sie sich, am Käfige hängend, stundenlang wärmten. Sehr sonderbar ist, daß ihnen hier in Petersburg die große Hitze unangenehm wurde. Ihr Herr versicherte, daß er sie bei heißen Sommertagen öfters in krampfhaften Zuckungen habe niederfallen sehen, welches ihnen sonst nur selten widerfährt. Uebrigens ist es wahrhaft rührend anzusehen, wie sich die Gesunden augenblicklich mit einem derartig Erkrankten beschäftigen, und wie sie bemüht sind, um ihm zu Hülfe zu kommen.

Das Weibchen trägt ungefähr drei Monate und kann zweimal im Jahre werfen. Die Mutter hat hier nun schon seit nicht ganz zwei Jahren das dritte Mal, auf jeden Wurf zwei Junge, und zwar größtentheils Männchen gebracht, und diese sind alle glücklich aufgewachsen, und nur zwei nach erreichtem vollkommenen Wachsthum gestorben. Die Jungen, welche die [238] ersten Wochen hindurch ganz kahl sind, lassen sich von der Mutter immer umhertragen und klammern sich gleich hinter den großen, mit weißen, langen Haaren umpflanzten Ohren so dicht und versteckt an, daß man nur den Kopf mit den munteren Augen zu sehen glaubt. Wenn die Mutter ihrer überdrüssig ist, reißt sie dieselben ab und wirft sie den Männchen auf den Hals oder schlägt und zankt auf dieses los, bis es die Jungen aufnimmt. Nachdem diese Haare bekommen haben, sucht sie die Alte, etwa nach einem Monat oder sechs Wochen, zu entwöhnen und schützt sie auch vor ihren erwachsenen Brüdern nicht mehr. Mit letzteren nämlich und auch unter sich selbst gerathen sie oft in Streit, wobei der Schwächere zuweilen unterliegt und manchmal von den anderen fast erwürgt wird.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CCXXXVI236-CCXXXIX239.
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