Seehund (Phoca vitulina)

[630] Die Robbe, deren Lebensbild dem vorstehenden zur Grundlage gedient hat, ist der Seehund der Deutschen und Engländer, das »Seekalb« der Briten und Franzosen, von den Schotten »Selkin«, »Selach« und »Tangfisch«, in Schweden »Kubbsäl«, »Algar«, »Laggar« und »Skältokar«, in Dänemark und Norwegen »Kobbe«, in Finnland »Hylje«, in Lappland »Nuorjo«, in Grönland »Kassigiak«, von den Eskimos endlich »Tupalo« genannt (Phoca vitulina, Ph. communis, canina, variegata, littorea, Linnei, Calocephalus vitulinus), Vertreter der gleichnamigen Sippe (Phoca) oder der Untersippe der Meerhunde (Calocephalus), ein weit über die nördlichen Meere verbreitetes und auch in unseren deutschen Gewässern häufiges Thier. Die Merkmale der von ihm vertretenen Gruppe liegen zunächst in dem Gebisse, welches aus drei Schneidezähnen im Ober-, zwei im Unter-, je einem Eckzahne und fünf Backenzähnen in jedem Kiefer besteht und sich dadurch von dem anderer Sippen unterscheidet, daß die ersten Backenzähne einwurzelig, die übrigen zweiwurzelig und alle mit drei bis vier in einer Reihe stehenden Zacken versehen sind, sodann aber auch in dem eiförmigen Schädel, der kahlen, zwischen den Nasenlöchern tiefgefurchten Schnauzenspitze, der langen Handwurzel und den fast gleich langen, nach innen wenig kürzer werdenden Fingern mit wohl entwickelten Krallen, den behaarten Schwimmhäuten und der spärlichen Unterwolle. Die Länge des erwachsenen Thieres, von der Schnauze bis zur Schwanzspitze gemessen, schwankt zwischen 1,6 und 1,9 Meter, und zwar pflegen die Weibchen auffallenderweise größer zu sein als die Männchen. Der Kopf ist eirund, die Schnauze kurz, das Auge groß, dunkel und von klugem Ausdrucke, das Ohr einzig und allein durch eine kleine dreieckige Erhöhung angezeigt, die mit steifen, etwas gewellten Schnurrbor sten besetzte Oberlippe dick, aber sehr beweglich, der Hals kurz und dick, der Körper von der Schultergegend an bis zum Schwanze fast gleichförmig verschmächtigt, der Vorderfuß sehr kurz, der Hinterfuß breit und wohl entwickelt, der Schwanz wie immer ein kurzer Stummel. Das Haarkleid besteht aus steifen und glänzenden Grannenhaaren, welche eine sehr spärliche Unterwolle bedecken; seine allgemeine Färbung ist ein gelbliches Grau; die Zeichnung wird gebildet durch unregelmäßige, aber über die ganze Oberseite vertheilte, bräunliche bis schwarze, auf dem Kopfe kleine rundliche und dicht stehende, auf dem Rücken verhältnismäßig große, mehr eckige und spärlicher auftretende Flecken.


Geripp des Seehundes. (Aus dem Berliner anatomischen Museum.)
Geripp des Seehundes. (Aus dem Berliner anatomischen Museum.)

Der Seehund verbreitet sich über alle nördlichen Theile des Atlantischen Weltmeeres, einschließlich des ganzen Eismeeres. Vom Mittelmeere an, in wel [630] ches er durch die Straße von Gibraltar zuweilen eindringt, bewohnt er alle Atlantischen Küsten Europas, Westspanien und Frankreich, Belgien, Holland, Deutschland, Großbritannien, Skandinavien und Island, ebenso die Ostsee, findet sich im Bottnischen und Finnischen Meerbusen kaum minder häufig als im Sunde und in den Belten, kommt noch im Weißen Meere, nach einzelnen Angaben sogar an der Küste von Nordsibirien vor, ist bestimmt auf Spitzbergen, an beiden Küsten Grönlands, in der Davisstraße, Baffins- und Hudsonsbai beobachtet worden und wandert längs der nordamerikanischen Ostküste oft ziemlich weit nach Süden hinab, keineswegs selten den Meerbusen von Mejiko, in einzelnen Fällen sogar die Nordküste Südamerikas besuchend. Vom Meere aus steigt er zuweilen meilenweit in Flüssen empor und wird daher oft tief im Inneren des Landes angetroffen. Im Süden seines Verbreitungsgebietes unternimmt er wahrscheinlich nur kurze Streifzüge, im Norden dagegen, wenn auch vielleicht nicht regelmäßig, ausgedehnte Wanderungen von einem Meerestheile zum anderen.

Von den Meerhunden unterscheidet sich die Sattelrobbe zwar nicht durch das Gebiß, wohl aber durch den längeren und schmäleren Kopf mit flacherer Stirne und gestreckterer Schnauze sowie den Bau der Hand, welche kürzer als bei den Meerhunden ist und eine andere Zehenbildung zeigt, indem hier nicht die erste Zehe die längste ist, sondern die zweite alle übrigen überragt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 630-631.
Lizenz:
Kategorien: