Elefantenrobbe (Cystophora proboscidea)

[638] Die Elefantenrobbe, von einzelnen Schiffern auch wohl »Meerwolf«, von den Chinesen »Sameh«, von den Südseeinsulanern »Morunga« genannt (Cystophora proboscidea, Phoca und Morunga elephantina, Macrorhinus elephantinus und angustirostris), Vertreter der Untersippe der Rüsselrobben (Macrorhinus), unterscheidet sich von der Klappmütze zwar nicht wesentlich durch das Gebiß, wohl aber durch die eigenthümliche rüsselartige Verlängerung der Nase alter Männchen, welche dem Thiere zu seinem sehr passenden Namen verholfen hat, sowie durch die verkümmerten Krallen der Vorderfüße. Hinsichtlich der Gestalt im allgemeinen mit den übrigen Robben übereinstimmend, übertrifft diese Robbe doch alle an Größe: ihre Länge, welche von verschiedenen Seefahrern und Robbenschlägern noch merklich überschätzt worden zu sein scheint, kann, laut Scammon, in der That bis zu sieben Meter ansteigen, obgleich sie in den meisten Fällen nicht mehr als fünf Meter beträgt.


Elefantenrobbe (Cystophora elephantina). 1/40 natürl. Größe.
Elefantenrobbe (Cystophora elephantina). 1/40 natürl. Größe.

Das Weibchen erreicht die Hälfte der angegebenen Länge, aber noch nicht einmal ein Drittel des Gewichtes, welches bei alten Männchen auf mehr als fünftausend Kilogramm geschätzt wird. Der Kopf ist groß, breit und etwas gestreckt, die Schnauze mäßig lang, ziemlich breit, nach vorn zu etwas verschmälert und fast gerade abgestutzt, die Oberlippe mit fünfunddreißig bis vierzig starken, bis 15 Centim. langen, dunkelbraunen, in sechs Reihen geordneten Schnurrborsten besetzt, das Auge verhältnismäßig groß, rund, kugelig vorstehend, das Augenlid wimperlos, der Augenbrauenbogen jedoch mit acht oder zehn borstenähnlichen Haaren bekleidet, welche die Braue vertreten, das außerordentlich kleine, in geringer Entfernung hinter und unterhalb des Auges stehende Ohr, eigentlich nur ein rundliches Loch, welches nicht einmal von einem Hautsaume umgeben wird, die Nase endlich je nach dem Geschlechte wesentlich verschieden. Während dieser bezeichnende Theil beim Weibchen keine ungewöhnliche Bildung zeigt, [638] verlängert er sich beim Männchen zu einem Rüssel, welcher am Mundwinkel beginnt und von hier aus etwa um 40 Centim. sich vorstreckt, bei Erregung des Thieres aber fast um das doppelte verlängert werden kann. Der Rüssel zeigt im zusammengezogenen Zustande zahlreiche Querfalten, hängt bogig nach unten herab und trägt an seiner Spitze die dann nach unten sich öffnenden Nasenlöcher, wogegen er, ausgeblasen, sich gerade richtet, so daß alle Falten verschwinden und die Nasenlöcher an dem vorderen, abgestutzten Theile zu sehen sind. Der verhältnismäßig lange, aber dicke Hals geht ohne merklichen Absatz in den massigen Leib über. Die Vorderfüße sind nicht besonders lang, jedoch sehr stark und kräftig; unter den fünf durch Schwimmhäute unter einander verbundenen Zehen ist die Innenzehe kürzer als die zweite längste, von welcher ab die übrigen allmählich an Länge abnehmen; die sehr starken und ziemlich langen fünfzehigen Hinterfüße theilen sich in zwei große und lange seitliche und drei kleinere und kürzere Mittellappen, bilden also, da der mittelste dieser Lappen auch der kürzeste ist, tief ausgeschnittene Ruder. An den Vorderzehen sitzen nicht sehr lange, aber starke, stumpfspitzige Krallen, wogegen die Zehen der Hinterfüße keine Spur von solchen zeigen. Der Schwanz endlich ist wie bei den meisten Robben sehr kurz und spitzig. Die Färbung des ausschließlich aus kurzen, straffen, ziemlich steifen und glänzenden, aber nicht glatt anliegenden Grannen bestehenden Haarkleides ändert nicht allein je nach Alter und Geschlecht, sondern auch nach der Jahreszeit ab. Unmittelbar nach der Härung herrscht ein bläuliches Grau, ähnlich der Hautfärbung des Elefanten, vor; später, wenn das Haar seine volle Länge erreicht hat, geht diese Färbung in Lichtbraun über. Die Unterseite ist immer heller als die obere, dieser jederzeit aber ähnlich gefärbt. Weibliche Thiere sehen oberseits dunkelolivenbraun, an den Seiten gelbbraun, unten lichtgelb, junge im ersten Jahre oben dunkel, seitlich hellsilbergrau, unten gelblichweiß aus; die Schnurren und die Bekleidung der Schwimmhäute haben dunklere Färbung als die übrige Behaarung.

Das Verbreitungsgebiet der Elefantenrobbe umfaßt den südlichen Theil des Stillen Weltmeeres einschließlich des südlichen Indischen Meeres, reicht aber in ersterem über die durchschnittlichen Grenzen hinaus, da sie auffallenderweise auch an der Küste von Kalifornien gefunden wird. Häufiger als hier tritt sie zwischen dem 35. und 65. Grade südlicher Breite auf. Früher auf allen Eilanden und Inseln vor und neben der Südspitze Amerikas, auf Neuseeland, Tasmanien oder Van Diemensland und vielen der dazwischen liegenden Eilanden des Großen Oceans vorkommend, ist sie gegenwärtig auf den meisten bequem zu erreichenden Eilanden innerhalb dieses weiten Gebietes, wenn nicht ausgerottet worden, so doch dem Untergange nahe gekommen und wird jetzt mit Ausnahme der kalifornischen Küsten nur noch auf den Kerguelen und anderen einsamen Inseln jener südlichen Gewässer gefunden.

In ihrer Lebensweise erinnert die Elefantenrobbe an die Seebären und Seelöwen. Auch sie unternimmt alljährlich Wanderungen vom Norden gegen Süden hin und zurück, je nachdem die Sonne ihr diese oder jene Gegend zu sehr erwärmt. Kranke und schwache müssen zurückbleiben; die gefunden reisen sämmtlich. In Patagonien kommen sie im September und Oktober, oft schon im Juni, scharenweise an und reisen Ende December wieder in südlicher Richtung ab; an der Küste Kaliforniens fällt die Zeit ihrer Ankunft und Abreise in den entgegengesetzten Abschnitt des Jahres, ist jedoch nicht so bestimmt an gewisse Monate gebunden wie im Süden. Am Lande selbst bevorzugen sie schlammige und sumpfige Strecken oder treiben sich im süßen Wasser umher. Aus der großen Masse sondern sich Familien, welche zwei bis fünf Glieder zählen; sie trifft man stets dicht nebeneinandergedrängt, gewöhnlich im Schlamme oder im Schilfe schlafend an. Bei großer Hitze kühlen sie sich durch feuchten Sand, welchen sie auf den Obertheil ihres Körpers werfen; manchmal ähneln sie mehr Erdhaufen als lebenden Thieren, erinnern also auch in dieser Hinsicht an die Dickhäuter.

Ihre Bewegungen auf dem Lande sind sehr unbeholfen und ermüden sie in hohem Grade. Um sich fortzubewegen verfahren sie nach Art der Seehunde, krümmen und strecken sich [639] wechselseitig und werfen sich bald vorn, bald hinten auf. Wenn sie sehr fett sind, schlottert bei jeder ruckweisen Bewegung der Leib wie eine mit Gallerte angefüllte große Blase. Nach einem Wege von zwanzig bis dreißig Schritten sind sie ermüdet und müssen ein wenig ausruhen; dennoch klettern sie über fünf bis acht Meter hohe Sandhügel hinweg, erklimmen selbst steile Klippen, welche zwanzig und mehr Meter über dem Spiegel der See gelegen sind. Beharrlichkeit und Geduld er setzen die ihnen fehlende Behendigkeit. Aus dem Meere aufsteigend, krabbeln sie mühselig bis zur höchsten Flutmarke empor, ruhen hierauf aus, schlafen wohl auch ein wenig, setzen dann aber ihren Weg weiter fort und scheinen zuletzt mit keinem Ruheplatze mehr zufrieden zu sein. Im Wasser zeigen sie sich gänzlich anders. Sie schwimmen und tauchen vortrefflich, führen rasche Wendungen aus, legen sich zum Schlafen ruhig auf die Wellen, lassen sich treiben, jagen eifrig und geschickt ihrer Nahrung, hauptsächlich Kopffüßlern und Fischen nach, und wissen selbst Wasservögel, Pinguine z.B., schwimmend zu erreichen. Tange und Steine verschlingen auch sie. So fand Forster in dem Magen eines von ihnen zwölf runde Steine, jeder zwei Fäuste groß, welche so schwer wogen, daß er kaum begreifen konnte, wie die Magenwände die Last auszuhalten vermochten.

Ihre Sinnesfähigkeiten sollen wenig entwickelt sein. Auf dem Lande sehen sie deutlich nur in der Nähe; das Gehör ist sehr schlecht; das Gefühl wird durch die dicke Fettlage auf dem Körper abgestumpft; der Geruch endlich soll auch nicht besonders fein oder scharf sein. Sie sind träge, geistesstumpfe Thiere, welche nur selten aus ihrer faulen Ruhe sich aufstören lassen. Man nennt sie sanft und verträglich, weil man nie gesehen hat, daß sie, ungereizt, auf andere Thiere oder auf einen Menschen losgegangen wären. Kleine Robben einer anderen Gattung oder friedlich badende Menschen schwimmen sicher unter ihnen herum. Pernetty versichert, daß seine Matrosen auf ihnen wie auf Pferden geritten wären, und sie bei zu langsamem Gehen durch Messerstiche zu hurtigerem Gange angetrieben hätten. Aehnliches berichten neuerdings die Gelehrten, welche zur Beobachtung des Venusdurchganges die Kerguelen erwählt hatten. Vier Schritte entfernt von zwei Elefantenrobben, ließ sich Weinek nieder, um jene zu zeichnen, ohne daß die Thiere ihm die geringste Aufmerksamkeit gewidmet hätten. Beide Robben schienen fest zu schlafen, und nur zuweilen hob die größere von ihnen die Flossen, krümmte sie gegen den Bauch, um sich zu kratzen oder auch, was am hübschesten aussah, um eine Hand mit der anderen zu schaben. Dabei schnaufte und pustete sie ununterbrochen, um ihr Wohlbehagen auszudrücken. Die jüngere Robbe erwachte, wandte den Kopf zur Seite, erblickte jedenfalls etwas ganz ungewöhnliches, richtete wiederholt halb ängstliche, halb verwunderte Blicke auf den Fremdling, schmiegte sich, Hülfe suchend, an die Mutter und konnte die Ruhe nicht wieder finden. Endlich erwachte auch das ältere Thier, schaute unseren Gewährsmann ebenfalls fragend an, überlegte jedoch nicht lange, sondern wälzte sich langsam dem Meere zu. Am Abende desselben Tages lag die kleinere Elefantenrobbe wieder um auf der alten Stelle, ließ sich, ohne vorher zu fliehen, ergreifen und als Reitthier mißbrauchen, strebte aber doch mit solcher Kraft dem Meere zu, daß zwei Leute nicht im Stande waren, sie festzuhalten. Trotzdem suchte sie auch, nachdem sie das Meer erreicht hatte, nicht das weite, sondern verfolgte neugierig gutmüthig seine Störenfriede, so lange sie konnte. Pernetty erzählt noch, daß ein englischer Schiffer eins der Thiere liebgewonnen und vor den Nachstellungen seiner Kameraden geschützt habe. Verschont von der Schiffsmannschaft lebte diese Elefantenrobbe längere Zeit in Frieden und ohne Sorge um andere ihrer Art, welche in ihrer Nähe nach und nach getödtet wurden. Der Schiffer näherte sich ihr täglich, um sie zu liebkosen, und hatte sie in wenig Monaten so weit gezähmt, daß er sie zu sich rufen, ihr den Rücken streicheln und den Arm ins Maul stecken konnte. Zum Unglück bekam der Gebieter selbst einmal Streit mit seinen Genossen, und diese waren boshaft genug, das Lieblingsthier von jenem zu tödten.

Die Brunstzeit, welche zwischen die Monate September und Januar fällt, bringt etwas Leben unter die Herde. Wüthend kämpfen die Männchen um die Weibchen, obgleich diese in größerer [640] Anzahl vorhanden sind als jene. Unter eigenthümlichem Grunzen und gurgelnden Lauten, den Rüssel lang aufgeblasen, das Maul weit geöffnet, rücken die Kämpfer auf ein ander los und versuchen nach Möglichkeit gegenseitig sich zu verletzen. Unempfindlich gegen empfangene Wunden, auch wenn sie ein Auge verloren oder andere Verstümmelungen erlitten haben sollten, streiten sie bis zur äußersten Erschöpfung. Die Wunden heilen übrigens mit unglaublicher Schnelligkeit, und dies erklärt es auch, daß nur selten einer der Streiter den Zweikämpfen unterliegt. Alte Männchen sind über und über mit Narben bedeckt: unter tausenden findet man kaum eins, dessen Fell nicht durch Bisse zerrissen wäre. Die Weibchen schauen scheinbar theilnahmslos den Kämpfen zu, und folgen dem Sieger ohne Widerstreben in das Meer hinab, woselbst er sich durch Liebkosungen vollends die Gunst seines Harêm erwirbt. Zehn Monate nach der Paarung, gewöhnlich im Juli und August, in Patagonien anfangs November, etwa einen Monat nach Ankunft auf den Eilanden, erfolgt der Wurf der Jungen. Diese, große, schon 1,3 bis 1,5 Meter lange und vierzig Kilogramm schwere Geschöpfe, werden etwa acht Wochen lang von der Mutter gesäugt und sorgfältig gehütet. Während dieses Zeitraumes bleibt die ganze Familie auf dem Lande, ohne irgend etwas zu fressen, härt sich, das Weibchen und jüngere Thier früher als das alte Männchen, und bereitet sich so auf die Paarungszeit und ihre Kämpfe vor. Schon nach acht Tagen sind die Säuglinge um einen Meter länger und um die Hälfte schwerer geworden, nach vierzehn Tagen brechen die ersten Zähne durch, nach vier Monaten ist das Gebiß vollständig. Je stärker und feister sie werden, um so mehr magern die Alten ab, welche nur von ihrem Fette zehren. In der siebenten oder achten Woche ihres Alters werden die Jungen in das Meer geführt. Der ganze Haufen entfernt sich langsam vom Ufer und rudert täglich weiter und weiter in das Meer hinaus. Hier verweilt er bis zur nächsten Paarung und tritt dann eine neue Reise an. Die Jungen folgen der Hauptmasse auf allen diesen Wanderungen, werden aber schon nach wenigen Monaten von der Alten verstoßen. Im dritten Jahre ihres Lebens entwickelt sich beim Männchen der Rüssel; von dieser Zeit anwächst es nur wenig in die Länge, um so mehr aber in die Dicke. Mit zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren soll das Thier in das Greisenalter eintreten, und die Schiffer behaupten, daß man keins fände, welches älter als dreißig Jahre wäre.

Der Mensch stellt dem Seelefanten überall nach, wo er ihn findet. Früher waren diese Robben auf ihren wüsten Inseln vor allen Feinden sicher; seitdem aber der europäische Robbenschläger ihnen nachzieht, nehmen sie sehr schnell ab. Die Wilden, welche bloß durch Sturm auf das Festland geworfene Rüsselrobben erlegen konnten, bedienten sich brennender Fackeln und stießen ihnen diese, sobald sie das Maul aufsperrten, in den Rachen, bis sie erstickt waren; ein jeder riß ein Stück ab und man aß und schlief so lange, als etwas vorhanden war. Die feindlichsten Stämme verhielten sich friedlich in der Nähe eines derartigen Aases; sobald aber die ekelhaften Gelage ihr Ende erreichten, begannen die gegenseitigen Beleidigungen und die mörderischen Gefechte von neuem.

Die Robbenschläger hausen in fürchterlicher Weise unter den wehrlosen Geschöpfen. »Um zwölf Uhr mittags«, berichtet Coreal, »ging ich mit vierzig Mann ans Land. Wir umringten die Meerwölfe, und in einer halben Stunde hatten wir vierhundert von ihnen erschlagen.« Mortimers Leute tödteten binnen acht Tagen an zwölfhundert Elefantenrobben, hätten aber leicht einige tausend erbeutet, wenn sie die Schlächterei fortgesetzt haben würden. Diese Angaben gelten für Jagden, welche anfangs unseres Jahrhunderts angestellt wurden; gegenwärtig sind die Thiere schon derart zusammengeschmolzen, daß ein Schiffer froh ist, wenn er auf seiner ganzen Reise ein-bis zweihundert Rüsselrobben zusammenbringt. Laut Scammon liefert der Fang an der Küste von Kalifornien kaum noch Ertrag, und man betrachtet daher diese Oertlichkeit gegenwärtig nicht mehr als das Jagdgebiet der Thiere. Um auf sichere Beute rechnen zu können, muß man die einsamen Inseln an der südlichen Grenze des Verbreitungsgebietes aufsuchen und daselbst monate-, ja sogar jahrelang verweilen. Die Ufer dieser vom Menschen nicht bewohnten Inseln, unter denen die Kerguelen als der wichtigste aller Fangplätze gelten, starren von wild zerbrochenen, theilweise unter Wasser versteckten Felsenmassen, welche die Landung erschweren, auf weite Strecken hin auch dem [641] kleinsten Schiffe nirgends gestatten, zwischen ihnen mit Sicherheit zu ankern und die im Boote landenden Robbenschläger selbst beim ruhigsten Wetter zwingen, in das Wasser zu springen und das Boot festzuhalten, damit es nicht gegen die Felsen geschleudert werde. Eine wüthende Brandung umtobt jederzeit die eisigen, felsenstarrenden Küsten und überschüttet sie bei jeder Brise bis zu einer bedeutenden Höhe mit ihrem Schwalle. Nicht umsonst nannte Cook Kerguelenland die Insel der Trostlosigkeit, und doch verdient Herdseiland noch mehr als jenes diesen Namen. Auf Kerguelenland gibt es wenigstens Häfen, in denen ein Schiff einlaufen kann; vor den Herdseilanden, einem sehr ergiebigen Jagdgebiete, muß das Schiff, welches Robbenschläger aussetzt, gerüstet sein, allen, auch den furchtbarsten Stürmen auf der wild bewegten See zu trotzen. Nur die furchtlosesten und unternehmendsten Leute, Männer, welche eine lange Erfahrung im Walfange oder der Robbenschlägerei hinter sich haben, lassen sich zu solcher Jagd anwerben und gebrauchen. Das Schiff, welches sie an ihren Bestimmungsort bringt, wird stets mit doppelter Besatzung versehen und in der Regel begleitet von einem kleineren Fahrzeuge, welches als Lichter dient. Bei Ankunft vor der Insel legt man es vor schweren Ankern fest, nimmt alle Segel ab, birgt sogar die Raaen im Raume und bereitet sich so gut als möglich vor, selbst den schwersten Stürmen Widerstand zu leisten. Nunmehr erst läßt sich ein Theil der Mannschaft an das Land setzen, um hier mit der Jagd zu beginnen. In erbärmlichen Hütten, deren Wände aus losgebrochenen Lavastücken und deren Dächer aus übergebreiteten Segeln bestehen, haust hier die Mannschaft wochen- und monatelang in Sturm und Regen, Frost und Schnee, harrt auf die ankommenden Seelefanten, tödtet so viele von ihnen, als sie kann, schlachtet sie aus, verpackt den Speck in Fässer und wartet günstige Tage ab, um diese im Schiffe zu bergen. In den meisten Fällen bleibt auch nach der Landungszeit der Rüsselrobben noch ein Theil der Mannschaft zurück, wohl versehen zwar mit allen nothwendigen Bedürfnissen zum Leben, aber doch allen Unbilden der Witterung preis gegeben, um während des Winters die Jagd auf diese und andere Robben, Pinguine und dergleichen fortzusetzen. Landen mehrere Schiffe Robbenschläger unter denselben Bedingungen, so grenzen sich die verschiedenen Gesellschaften bestimmte Theile des Eilandes ab und überwachen die ihnen zugesprochenen Strecken mit demselben Eifer wie ein Hochgebirgsjäger sein Gemsgebiet, helfen sich jedoch in den meisten Fällen gegenseitig bei Erlegung und Zurüstung der innerhalb ihrer Grenzen landenden Thiere.

Auf diesen entlegenen Eilanden liefert die Jagd noch heutigen Tages guten Ertrag, obwohl derselbe je nach den Jahren in weiten Grenzen schwanken kann. So wurden auf zwei Inseln der Crozetgruppe im Jahre 1866 fast zweitausend, ein Jahr später nur dreihundertsechsundvierzig Rüsselrobben erbeutet. Die meisten erlegte man in den Monaten Oktober bis Januar, die wenigsten im August.

Zur Jagd der Seelefanten bedient man sich schwerer Keulen und etwa fünf Meter langer Lanzen mit starken, langen, vorn spatelförmig verbreiterten, aber scharfen Spitzen. So ausgerüstet und außerdem mit schweren Hinterladern versehen, versucht man zwischen die gelandete Herde und das Wasser zu gelangen, verursacht hierauf durch Schreien, Schießen und sonstiges Lautgeben einen möglichst tollen Lärm, und bewegt sich, Gewehre, Keulen und Lanzen schwingend, langsam auf die Herde zu, welche, erschreckt durch das ungewohnte Getöse, in der Regel sich zurückzieht. Sollte, wie es nicht selten geschieht, ein Männchen sich zur Wehre setzen oder durch die Linie zu brechen suchen, so endet eine ihm in das Hirn gejagte Kugel sein Leben, oder eine in das Maul gestoßene Lanze hält es auf und zwingt es, auf den hinteren Theil seines Leibes sich niederzulassen, worauf zwei Mann mit ihren schweren eichenen Keulen herbeieilen und es durch wiederholte Schläge auf den Kopf betäuben oder tödten. Nachdem alle kampflustigen Männchen abgethan worden sind, wendet man sich mit voller Macht der gesammten Herde zu. Das Niedermetzeln ihrer Gefährten verursacht solchen Schrecken unter ihnen, daß sie alle Besinnung verlieren und über einander wegklettern, rollen und taumeln, falls es ihnen sonstwie unmöglich scheint, sich zu flüchten. Nach Scammons Versicherung geschieht es, daß sie sich unter solchen Umständen massenhaft auf [642] einander werfen und die unten liegenden buchstäblich ersticken. Bei Beginn des Angriffs schreit die ganze Herde laut auf, und namentlich die Männchen stoßen ihr eigenthümliches, dem eines Rindes ähnelndes, aber mehr gezogenes, von einem sonderbaren, aus tiefster Brust kommenden Rasseln begleitetes Gebrüll aus; bald aber schweigt angsterfüllt die ganze Gesellschaft und läßt das unvermeidliche Geschick willenlos über sich ergehen. Kein Seelefant steht dem anderen bei in der Stunde der Gefahr, und nur die wenigsten von ihnen denken überhaupt an Vertheidigung; die Weibchen namentlich wehren sich nie, sondern fliehen und blicken, wenn man ihnen den Rückweg versperrt, verzweiflungsvoll und mit thränenden Augen um sich. »Ich selbst«, erzählt Peron, »habe ein junges Weibchen häufige Thränen vergießen sehen, während ein grausamer und entmenschter Matrose ihm zu seinem Zeitvertreibe mit einem Ruder die Zähne einschlug. Der Rachen des armen Geschöpfes war voll Blut, und die Thränen rannen ihm aus den Augen, so daß es mein vollstes Mitleiden erwecken mußte.«

Unmittelbar nach der Niedermetzelung beginnt das Ausschlachten der Thiere. Mit einem scharfen Messer wird das Fell längs der ganzen Oberseite des Körpers aufgeschlitzt und soweit als thunlich nach beiden Seiten hin abgestreift, hierauf die zwischen 2 bis 16 Centim. dicke Speckschicht abgeschält und in größere Stücke von 20 bis 40 Centim. Länge und halb so viel Breite zerschnitten, jedes einzelne mit einem Loche versehen und vorläufig mittels eines starken Strickes zusammengebunden. Nachdem man den oberen Theil abgestreift hat, dreht man das Thier um und verfährt in gleicher Weise wie vorher, das Fell immer als Schlachtmulde benutzend. Die ihres Speckes und der Haut beraubten Leichname werden in das Meer geworfen, um den Strand nicht zu verpesten, die verschiedenen Speckbündel zusammengeschnürt, an starke Taue befestigt und mittels derselben nach dem Schiffe geschleppt, woselbst man sie zerkleinert und in besonderen Kesseln ausschmilzt, um eine ölige Flüssigkeit zu erhalten, welche ihrer außerordentlichen Reinheit und Güte halber weit mehr als Walfischthran geschätzt, hoch bezahlt und hauptsächlich zum Brennen in Lampen verwendet wird. Das schwarze, thranige, fast ungenießbare Fleisch des Thieres hat wenig Werth, schon das Herz aber wird von den Matrosen gern gegessen und die Leber von diesen nicht eben verwöhnten Leuten sehr geschätzt, obgleich ihr Genuß eine unüberwindliche, mehrere Stunden anhaltende Schläfrigkeit veranlassen soll. Ein wahrer Leckerbissen dagegen ist die eingesalzene Zunge. Das frische Fett gilt in den Augen der Schiffer als ein treffliches Heilmittel, und weil die Wunden, welche die Robben erleiden, erfahrungsmäßig sehr schnell vernarben, wenden es die Leute hauptsächlich als Arznei gegen die Schnittwunden an. Die kurzhaarige, steife Haut liefert vortreffliche Ueberzüge großer Koffer und ebenso Pferde- und Kutschengeschirre, würde aber noch viel ausgedehntere Verwendung finden, wenn die größten Felle wegen der vielen Narben nicht auch die schlechtesten wären. Doch kommen Fleisch und Haut dem Specke gegenüber kaum in Betracht. Ein großes Thier kann sieben- bis achthundert Kilogramm und dann einen sehr bedeutenden Ertrag liefern. Dieser zu allen Mühen der Jagd unverhältnismäßige Gewinn führt die Seelefanten ihrem sicheren Untergange entgegen. Die beklagenswerthen Thiere können sich vor ihrem grausamen Feinde nicht einmal in die unzugänglichen Theile des Meeres zurückziehen, wie die Walfische: sie müssen ausharren bis das letzte Stück der Vertilgungswuth des unersättlichsten Raubthieres, Mensch genannt, erlegen sein wird.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 638-643.
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