[205] Die Gazelle (Antilope dorcas, Capra Gazella, Gazella africana und dorcas) erreicht nicht ganz die Größe unseres Rehes, ist aber viel zarter und schlanker gebaut, auch schöner gezeichnet als dieses. Alte Böcke messen 1,1 Meter, mit dem Schwanze 1,3 Meter in der Länge und sind am Widerriste 60 Centim. hoch. Der Körper ist gedrungen, obwohl er der hohen Läufe wegen schmächtig erscheint; der Rücken schwach gewölbt, am Kreuze höher gestellt als am Widerriste, der Schwanz ziemlich lang, an der Spitze stark behaart. Die Beine sind außerordentlich zart, schlank und höchst zierlich behuft. Auf dem gestreckten Halse sitzt der mittellange Kopf, welcher hinten breit und hoch, nach vorn verschmälert, und an der Schnauze schwach gerundet ist; die Ohren haben etwa Dreiviertel der Kopfeslänge; die großen feurigen und lebhaften Augen zeigen einen fast runden Stern; die Thränengruben sind von mittlerer Größe. Das Gehörn ist nach dem Geschlechte ziemlich verschieden. Der Bock trägt immer stärkere Hörner als die Rike, und die Wachsthumsringe sind dort stets mehr ausgeprägt als hier. Bei beiden richten sich die Hörner nach auf-und rückwärts, wenden sich aber mit den Spitzen wieder nach vorn und etwas gegen einander, so daß sie, von vorn betrachtet, an die Leier der Alten erinnern. Mit zunehmendem Alter rücken die sogenannten Wachsthumsringe immer weiter nach der Spitze zu; bei recht alten Böcken erreichen sie dieselbe, wahrscheinlich, weil sie durch Abnutzung kürzer wird, bis auf zwei Centimeter. Uebrigens stehen die Wachsthumsringe nur bedingt in einem geraden Verhältnisse mit dem Alter des Thieres: ein im Hause erzogener, fünfvierteljähriger Bock, welchen ich untersuchte, zeigte bereits fünf Ringe auf seinen noch sehr kurzen Hörnchen. Die vorherrschende Färbung ist ein sandfarbiges Gelb, welches aber gegen den Rücken hin und auf den Läufen in ein mehr oder weniger dunkles Rothbraun übergeht. Ein noch dunklerer Streifen verläuft längs der beiden Leibesseiten und trennt die blendend weißgefärbte untere Seite von der dunklern obern. Der Kopf ist lichter als der Rücken, ein von den Augenwinkeln bis zur Oberlippe verlaufender Streifen braun, Nasenrücken, Kehle, Lippen, ein Ring um die Augen und ein Streifen zu beiden Seiten des Nasenrückens sind gelblichweiß, die Ohren gelblichgrau, schwarz gesäumt und mit drei Längsreihen ziemlich dicht aneinanderstehender Haare besetzt. Der Schwanz ist an seiner Wurzel dunkelbraun, wie der Rücken, in seiner letzten Hälfte aber schwarz. Bei manchen Stücken zieht die Färbung mehr ins Graue und ähnelt dann sehr dem Kleide der persischen Gazelle, welche, wie mehrere andere Ab- oder Spielarten, von einigen Forschern als besondere Art betrachtet wird.
Nordostafrika ist die Heimat der Gazelle. Sie reicht von der Berberei an bis nach dem steinigen Arabien und Syrien und von der Küste des Mittelmeeres bis in die Berge Abessiniens und in die Steppen des innern Afrika. Der ganze Wüstenzug und das ihn begrenzende Steppengebiet kann als ihre Heimat betrachtet werden; in den Gebirgen von Habesch steigt sie, laut Heuglin, höchstens bis zu 1500 Meter empor. Je pflanzenreicher die Einöde, um so häufiger findet man das Thier; jedoch muß hierbei festgehalten werden, daß eine pflanzenreiche Gegend nach afrikanischen Begriffen von einer gleichbezeichneten in unserem Klima sehr verschieden ist. Man würde sich irren, wenn man die Gazelle in wirklich fruchtbaren Thalniederungen als ständigen Bewohner vermuthen wollte; solche Strecken berührt sie nur flüchtig, ungezwungen [205] wohl kaum. Sie zieht Niederungen den durchglühten Hochebenen vor, aber nur Niederungen der Wüste: in Flußthälern findet man sie ebenso selten wie auf dem Hochgebirge. Mimosenhaine und noch mehr jene sandigen Gegenden, in denen Hügelreihen mit Thälern abwechseln und die Mimosen überall sich finden, ohne eigentlich einen Hain oder Buschwald zu bilden, sind ihre Lieblingsplätze, weil die Mimose als ihre eigentliche Nährpflanze angesehen werden muß. In den Steppen kommt sie ebenfalls und zwar an manchen Orten sehr häufig vor; allein auch hier bevorzugt sie dünnbestandene Buschgegenden dem wogenden Halmenwalde. In den Steppen Kordofâns sieht man Rudel von vierzig bis funfzig Stücken, welche, vielleicht nicht das ganze Jahr hindurch, ziemlich weit umherstreifen; an ihren Lieblingsplätzen gewahrt man sie jedoch nur in kleinen Trupps von zwei, drei bis acht Stücken, sehr oft auch einzeln. Nahe der Mittelmeerküste ist sie selten. Je weiter man nach Nubien hin vordringt, um so häufiger wird sie; am gemeinsten dürfte sie in den zwischen dem Rothen Meere und dem Nil gelegenen Wüsten und Steppen zu finden sein. Die schwachen Rudel sind gewöhnlich Familien, bestehend aus einem Bocke mit seinem Thiere und dem jungen Nachkommen, welcher bis zur nächsten Brunstzeit bei den Eltern verweilen darf. Ebenso häufig aber findet man auch Trupps, welche nur aus Böcken und zwar wohl aus solchen bestehen, die von den stärkeren abgetrieben wurden. Diese Junggesellen halten bis gegen die Brunstzeit hin treu zusammen.
Jeder Reisende, welcher auch nur auf einige Meilen hin die Wüste durchzieht, kann eine Gazelle zu sehen bekommen, und wer erst ihre Lebensweise kennt, findet sie mit Sicherheit in allen Theilen ihres Heimatskreises auf. Als Tagthier zeigt sie sich gerade zur günstigsten Zeit dem Auge. Nur während der größten Hitze des Tages, in den Mittagsstunden bis etwa vier Uhr abends, ruht sie gern wiederkäuend im Schatten einer Mimose; sonst ist sie fast immer in Bewegung. Aber man sieht sie nicht so leicht, als man glauben möchte: die Gleichförmigkeit ihres Kleides mit der herrschenden Bodenfärbung erschwert ihr Auffinden. Schon auf eine Achtelmeile hin entschwindet sie unserem schwächlichen Gesichte, während die Falkenaugen der Afrikaner sie oft in mehr als meilenweiter Entfernung noch wahrnehmen. Gewöhnlich steht der Trupp unmittelbar neben oder unter den niederen Mimosenbüschen, deren Kronen sich von unten aus schirmförmig nach oben ausbreiten und somit den Thieren unter ihnen ein schützendes Dach gewähren. Die wachhaltende Gazelle äst sich, die anderen liegen wiederkäuend oder sonst sich ausruhend unweit von ihr. Nur die stehende fällt ins Auge, die liegende gleicht einem Steine der Wüste so außerordentlich, daß selbst der Jäger oft sich täuschen kann. So lange nicht etwas ungewöhnliches geschieht, bleibt das Rudel auf der einmal gewählten Stelle und wechselt höchstens von einem Orte zu dem andern, hin und herziehend; sowie es aber Verfolgungen erfährt, vertauscht es augenblicklich seinen Stand. Auch der Wind schon ist hinreichend, um die Gazelle zu solchem Wechsel zu bewegen. Sie steht stets unter dem Winde, am liebsten so, daß sie von dem Berghange aus die vor ihr liegende Ebene überschauen und durch den Luftzug von einer Gefahr im Rücken Kunde erhalten kann. Aufgestört flüchtet sie zunächst auf die Höhe des Hügels oder Berges, stellt sich auf dem Kamme auf und prüft nun sorgfältig die Gegend, um den geeignetsten Ort zur Sicherung zu erspähen.
Es läßt sich nicht verkennen, daß man in der Gazelle ein hochbegabtes Thier vor sich hat. Sie ist so bewegungsfähig wie irgend eine andere Antilope, dabei lebhaft, behend und überaus anmuthig. Ihr Lauf ist außerordentlich leicht; sie scheint kaum den Boden zu berühren. Ein flüchtiges Rudel gewährt einen wahrhaft prachtvollen Anblick; selbst wenn die Gefahr ihm nahe kommt, scheint es noch mit seiner Befähigung zu spielen. Oft springt mit zierlichen Sätzen von ein bis zwei Meter Höhe eine Gazelle, gleichsam aus reinem Uebermuthe, über die andere hinweg, und ebenso oft sieht man sie über Steine und Büsche setzen, welche ihr gerade im Wege liegen, aber sehr leicht umgangen werden könnten. Alle Sinne sind vortrefflich ausgebildet. Sie wittert ausgezeichnet, äugt scharf und vernimmt weit. Dabei ist sie klug, schlau und selbst listig, besitzt ein vortreffliches Gedächtnis und wird, wenn sie Erfahrung gesammelt hat, immer verständiger. Ihr [206] Betragen hat viel ansprechendes. Sie ist ein harmloses und etwas furchtsames Geschöpf, keineswegs aber so muthlos, als man gewöhnlich glaubt. Unter dem Rudel gibt es oft Streit und Kampf, wenn auch bloß unter den gleichgeschlechtigen Gliedern desselben, zumal unter Böcken, welche gern zu Ehren der Schönheit einen Strauß ausfechten, während sie die Riken bis gegen die Brutzeit hin mit Liebenswürdigkeit, ja mit Zärtlichkeit behandeln und gleiches von diesen empfangen. Mit allen übrigen Thieren lebt die Gazelle in Frieden; deshalb sieht man sie auch gar nicht selten in Gesellschaft anderer, ihr nahestehender Antilopen.
Man kann nicht eben sagen, daß die Gazelle scheu wäre; aber sie ist vorsichtig und meidet jeden ihr auffallenden Gegenstand oder jedes ihr gefährlich scheinende Thier mit Sorgfalt. In Kordofân ritt ich einmal durch eine von der gewöhnlichen Straße abgelegene Gegend, welche nur wenig bevölkert ist und ausgedehnte Graswälder besitzt. Hier sah ich während des einen Tages wohl zwanzig verschiedene, und zwar ausnahmslos sehr starke Rudel. Wahrscheinlich hatten diese Thiere das Feuergewehr noch nicht kennen gelernt. Sie ließen mich bis auf etwa vierzig Schritte herankommen, ungefähr soweit, als ein Sudâner seine Lanze zu schleudern vermag. Dann zogen sie vertraut weiter, ohne mich groß zu beachten. Im Anfange fesselten mich die schönen Thiere so, daß ich nicht daran dachte, mein Gewehr auf sie zu richten. Aber die Jagdbegierde beseitigte bald jedes Bedenken. Ich feuerte auf den ersten besten Bock, welcher sich mir zur Zielscheibe bot, und schoß ihn zusammen. Die anderen flüchteten, blieben aber schon nach hundert Schritten Entfernung stehen und trollten gemächlich weiter. Ich konnte mich von neuem bis auf achtzig Schritte nähern und erlegte den zweiten Bock, und schließlich schoß ich noch einen dritten aus demselben Rudel, bevor es eigentlich flüchtig wurde.
Die Verschiedenheit der klimatischen Verhältnisse Nordostafrikas bedingt auch eine sehr verschiedene Brunstzeit der Gazellen. Im Norden fällt sie etwa in die Monate August bis Oktober, in den Gleicherländern beginnt sie erst Ende Oktober und währt dann bis Ende December. Die Böcke fordern einander mit laut blökendem Schrei zum Kampfe auf und streiten sich so heftig, daß sie sich gegenseitig die Hörner abstoßen: ich habe viele von ihnen erlegt, bei denen die eine Stange an der Wurzel abgebrochen worden war. Von dem Thiere vernimmt man nur ein sanftes, helles Mahnen. Der stärkste Bock wird natürlich von ihm bevorzugt, duldet auch keinen Nebenbuhler. Traulich zieht das Thier mit ihm hin und her, und gern nimmt es Liebkosungen von Seiten des Herrn Gemahls entgegen. Dieser folgt seiner Schönen auf Schritt und Tritt nach, beriecht sie von allen Seiten, reibt den Kopf zart an ihrem Halse, beleckt ihr das Gesicht und sucht ihr überhaupt seine Liebe auf alle Weise zu erkennen zu geben. Beim Beschlage hebt er sich plötzlich auf die Hinterläufe und geht auf diesen dem Thiere nach, welches vorwärts rückt und, spröde thuend, mit einer raschen Bewegung sich seitwärts wendet. Jener läßt sich aber nicht sogleich abweisen, folgt vielmehr der Erkorenen immer wieder, treibt sie hin und her und kommt endlich zum Ziele. Im Norden setzt die Rike Ende Februar oder Anfang März, im Süden zwischen den Monaten März und Mai, also nach etwa fünf- oder sechsmonatlicher Tragzeit, ein einziges Kalb. Zu Ende des März und im Anfange des April waren die meisten weiblichen Gazellen, welche ich erlegte, hoch beschlagen, und manche trugen bereits ein sehr ausgebildetes Junge. Das zur Welt gekommene Kälbchen ist in den ersten Tagen seines Lebens ein verhältnismäßig unbehülfliches Geschöpf, und daher kommt es auch, daß viele junge Gazellen von den flinken Arabern und Abessiniern mit den Händen gefangen werden. Je hülfsbedürftiger das Thierchen ist, umsomehr wird es von der Mutter geliebt. Nicht allzumächtigen Feinden geht sie muthig entgegen: so weiß sie einen etwa heranschleichenden Fuchs, welcher schlimme Absichten verrathen sollte, mit den scharfen Hufen abzutreiben. Doch hat das junge Thier viele Gefahren auszustehen, ehe es so flüchtig wird, daß es mit den Eltern gleichen Schritt halten kann. Man dürfte schwerlich übertreiben, wenn man sagt, daß die Hälfte der Nachkommenschaft unserer Gazellen und anderer Schwächlinge ihrer Verwandtschaft den zahllosen Räubern, welche sie beständig umlauern, zum Opfer fällt. Freilich würden sich die Gazellen ohne [207] diese, das Gleichgewicht herstellenden Glieder der Thierwelt, auch so vermehren, daß sie, wie im Süden Afrikas die Springböcke und andere in Herden lebende Antilopen, die niedere Pflanzenwelt so gut als vernichten könnten.
Jung ins Haus gebrachte Gazellen werden nach wenigen Tagen zahm, ertragen auch, zumal in ihrer Heimat, leicht und dauernd die Gefangenschaft. Die Schönheit der Augen dieser Thiere ist unter allen morgenländischen Völkern so vollständig anerkannt, daß schwangere Frauen Gazellen nur aus dem Grunde zu halten pflegen, um ihrer Frucht die Schönheit des Thieres einzuprägen. Oft setzen sie sich längere Zeit vor das Thier hin und sehen ihm in die schönen Augen, streichen ihm mit den Fingern über die weißen Zähne, berühren dann die ihrigen und sagen dabei verschiedene Sprüche her, denen sie noch besondere Kraft zutrauen. In den europäischen Häusern der größeren Städte Nord- und Ostafrikas sieht man regelmäßig gezähmte Gazellen, und unter ihnen findet man viele, welche sich so an den Menschen gewöhnt haben, daß sie als echte Hausthiere angesehen werden können. Sie folgen ihrem Herrn wie Hunde nach, kommen in die Zimmer herein, betteln bei Tische um Nahrung, unternehmen Ausflüge in die benachbarten Felder oder in die Wüste und kehren, wenn der Abend kommt, oder wenn sie die Stimme ihres geliebten Pflegers vernehmen, gern und freudig wieder nach Hause zurück. Auch bei uns zu Lande kann man Gazellen jahrelang am Leben erhalten, falls man ihnen die nöthige Pflege angedeihen läßt. Wie zu erwarten, müssen die höchst empfindlichen Kinder des Südens vor allen Einflüssen der rauhen Witterung sorgfältig behütet werden; ein warmer Stall für den Winter und eine größere Parkanlage für den Sommer sind deshalb zu ihrem Wohlbefinden unentbehrlich. Ein Rudel Gazellen verleiht jedem größern Garten oder Parke eine Zierde, welche schwerlich von einer andern übertroffen werden kann. Das schmucke Reh erscheint der Gazelle gegenüber plump und schwerfällig; steht ihr ja doch fast jeder andere Wiederkäuer an Anmuth und Lieblichkeit nach! Zahme Gazellen zeigen sich auch gegen fremde Leute sanft und zutraulich; nur die Böcke gebrauchen bisweilen ihr Gehörn, doch immer mehr um zu spielen, als in der Absicht zu verletzen. Heu, Brod und Gerste, im Sommer Klee und anderes Grünzeug genügen zur Ernährung der Gefangenen; sehr gut bekommt ihnen auch ein Kleientrank, wie ihn Ziegen erhalten. Wasser bedürfen sie nur sehr wenig: täglich ein mittelgroßes Glas voll befriedigt ihren Durst vollständig. Dagegen verlangen sie Salz, welches sie begierig auflecken.
Ueberall, wo man solche gefangene Gazellen gut hält, schreiten sie zur Fortpflanzung, im Süden natürlich leichter als in unserem rauhen Norden. In Kairo hat eine Gazelle fünf Jahre nach einander je ein wohlgebildetes Junge zur Welt gebracht und glücklich aufgezogen; in unseren Thiergärten gehören derartige Vorkommnisse eben auch nicht zu den Seltenheiten.
Die Gazelle bildet in ihrer Heimat einen Gegenstand der eifrigsten, ja der leidenschaftlichsten Jagd. Alle Völkerschaften, welche mit ihr denselben Wohnkreis theilen, wetteifern mit einander in Ausübung dieses herrlichen Vergnügens. Der edle Perser und der vornehme Türke jagen die Gazelle mit derselben Lust wie der Beduinenhäuptling und der Sudâner. Im Norden Afrikas bildet das Feuergewehr die Hauptwaffe; in Persien und im Herzen der Wüste, auch schon in Egypten, beizt man das Wild mit Falken oder hetzt es mit den Windhunden zu Tode. Ich habe in Egypten oft genug die hohen Herren mit dem Falken auf der Faust zur Gazellenbeize hinausreiten sehen, zufällig aber niemals Gelegenheit gehabt, derselben beizuwohnen, und muß mich daher, um solche Jagd zu schildern, auf die Mittheilungen Heuglins und Sponys stützen. Die Edelfalken, welche man im Norden abzutragen versucht, sind der Wander-, Würg- und Rothnackenfalke. Um sie auf Gazellen abzurichten, wirft man sie, nachdem sie einigermaßen gezähmt worden sind, gefesselt auf eine ausgestopfte Gazelle, deren Augenhöhlen mit Fleisch gefüllt wurden. Die Entfernung, in welcher sich der Wärter von der Gazelle stellt, wird täglich etwas vergrößert, bis der Jagdfalke sich gewöhnt hat, diese auf weithin zu suchen. Nachdem er sich von dem in den Augenhöhlen aufgespeicherten Fleische geäst hat, wird er wieder zurückgenommen und jedesmal auf der Hand gekröpft. [208] Nach und nach befreit man ihn von allen Fesseln und sucht ihn dahin zu bringen, daß er auf den Ruf zu dem Falkner zurückkehrt. Das schwierigste der Lehre besteht darin, daß er auch auf lebende Gazellen stößt. Zu diesem Zwecke versucht man ihn zuerst an eingefangenen Jungen; hat man solche nicht, so werden sie in der Wüste aufgesucht, womöglich von der alten Rike getrennt und durch eine längere Jagd ermüdet; alsdann häubelt man den Falken ab und wirft ihn auf das junge Thier. So lernt er nach und nach auch auf ältere Gazellen stoßen, und wenn er erst einmal Kämpfe mit solchen bestanden hat, ist er zur Jagd geeignet.
Die Gazellenbeize erfordert eine große Anzahl von Menschen, Pferden, Hunden und Falken, ist also sehr kostspielig und wird daher nur von den Großen des Reiches betrieben. Halím Pascha richtete, laut Spony, in der letzten Zeit jährlich wenigstens funfzehn Pferde und dreißig Hunde dabei zu Grunde. Vor der Jagd wird die erwählte Oertlichkeit, welche erfahrungsmäßig Gazellen beherbergt, durch mehrere Tage genau untersucht und der zeitweilige Wechsel des Lagerplatzes des Wildes sorgfältig erkundet. Am Vorabende der Jagd erhalten die Stallknechte die nöthigen Befehle; denn der Jagdzug setzt sich am andern Morgen noch im Dunkel der Nacht in Bewegung, da man vor Sonnenaufgang zur Stelle sein muß. Im tiefsten Schweigen zieht man zur Wüste hinaus und dem Jagdplatze zu, welcher bereits in der Nacht von den Jägern umstellt worden ist. Hier gewahrt man einen Falkner zu Pferde mit dem Stoßvogel auf der Faust und dem Hunde an der Leine, dort einen andern zu Fuße mit einem Falken auf der Faust, einem zweiten auf der Schulter, einem dritten vielleicht noch auf dem Kopfe; hinter ihm schreiten die Hundejungen mit einer Meute gefesselter Windspiele. Außerdem befinden sich mit Wasser und Lebensmitteln beladene Kamele zur Stelle. Den Vortrupp bilden die Jäger, vollkommen fährtegerechte, mit allen zur Jagd erforderlichen Kenntnissen ausgerüstete Leute, denen das Amt obliegt, von den sich findenden Erhöhungen aus das Wild zu erkunden, durch Zeichen die Richtung, wo solches steht, anzugeben und unter Berücksichtigung der Windrichtung die Jäger anzuweisen, wie sie reiten sollen. Langsam und still, soviel wie möglich gegen den Wind, nähert man sich nun einem Rudel Gazellen, indem man alle vorhandenen Bodenverhältnisse weidmännisch benutzt. In geeigneter Entfernung läßt man einen erprobten Falken abhäubeln und wirft ihn, sobald er die Gazelle eräugt hat. Der Falke erhebt sich hoch in die Luft und eilt in pfeilschnellem Fluge auf die Gazelle zu, stürzt sich von oben herab auf sie und versucht, in der Augengegend die Fänge einzuschlagen. Das überraschte Wild ist bemüht, durch Rütteln und Ueberschlagen des Raubvogels sich zu entledigen, während dieser nöthigenfalls den Kopf des Opfers verläßt, um ihn sofort wieder von neuem zu packen. Obgleich die Hunde bis dahin von den Gazellen noch nichts gesehen haben, wissen sie doch erfahrungsmäßig, daß die Jagd mit dem Enthauben des Falken beginnt, werden hitzig, zerren an den Leinen und lassen sich nicht mehr halten. Abgekoppelt folgen sie sogleich dem Falken, welchen sie fest im Auge behalten, und hinter ihnen drein jagen nun im vollsten Laufe die Jäger. Wenn der Falke gut ist, hält er jede nicht allzu große Antilope auf, bis die Hunde herangekommen sind und sie niederreißen. Für die Betheiligten ist die Jagd entzückend. Jedesmal wenn der Falke die flüchtige Gazelle überholt, sie stößt und die Fänge in Hals und Kopf zu schlagen versucht, ertönt ein Freudenschrei aus allen Kehlen; wenn ein guter Falke sich von der Gazelle, in deren Hals er seine Fänge eingeschlagen hat, eine längere Strecke mit fortschleppen läßt, vernimmt man von allen betheiligten Jägern die lautesten Beifallszeichen. Wird das Wild von den Windspielen ereilt und niedergerissen, so bilden Hunde und Gazelle dann nur eine für das Auge unentwirrbare Masse, und nunmehr ist es Zeit, daß wenigstens einer der Jäger auf der Walstatt anlangt. Er bemächtigt sich des Falken, gibt dem lebenden Wilde den Gnadenstoß, treibt die Hunde weg und kröpft den Falken. Zuweilen geschieht es bei solchem Durcheinander, daß ein Falke einen Hund auf Ohr und Nase schlägt und dadurch zwar den Hund arg belästigt, aber selbst den ernsthaftesten Jäger heiter stimmt, weil fast stets zur Lösung derartiger Mißverständnisse die Beihülfe eines Menschen nöthig wird. Manchmal schlägt der Falke anstatt der Gazelle einen Hasen, und dann [209] ist selbstverständlich die Jagd verdorben; im allgemeinen aber halten sich die vortrefflichen Vögel an das richtige Wild.
In einigen Gegenden Nordafrikas verfolgen gut berittene Jäger die Gazelle und suchen sie von ihren ausdauernden Pferden herab zu erlegen. Dies ist kein leichtes Stück; denn so schnellfüßig auch die Rosse der Wüste, so schwer wird es ihnen, dem flüchtigen Wilde nachzukommen. Nach langer Hatze, welche abwechselnd von mehreren geführt wird, nähern sich die Reiter diesem aber doch, und wenn sie einmal bis zu einer gewissen Entfernung an das abgemattete Thier herangekommen sind, ist es verloren. Mit der größten Sicherheit schleudern die Jäger ihm starke Knüppel zwischen die Läufe und brechen fast regelmäßig einen der Knochen entzwei. Dann ist es kein Kunststück weiter, das arme, verwundete Geschöpf mit den Händen zu greifen.
Ich habe die Gazellenjagd nur mit der Büchse betrieben und mehr als einmal an einem Tage sechs Stück erlegt, auch wenn ich es mit schon gewitzigten zu thun hatte. Der Pirschgang führt unbedingt am sichersten zum Ziele. Auf meiner letzten Reise in Habesch hatte ich Gelegenheit genug, Gazellen zu jagen, obgleich ich eigentlich niemals vom Wege abging. Wenn wir, mein Begleiter van Arkel und ich, einen Trupp stehen sahen, ritten wir, höchstens mit einer geringen Abweichung, ruhig unseres Weges weiter und so nahe, als es uns passend erschien, an die Gazellen heran. Dann sprang einer von uns hinter einem Busche vom Maulthiere, übergab dieses dem begleitenden Diener und schlich nun, oft kriechend, mit sorgfältigster Beobachtung des Windes an das Wild heran. Der andere zog seines Weges fort, weil wir sehr bald erfahren hatten, daß die Gazelle auf Reiter weit weniger achtet als auf Fußgänger, und ebenso auch, daß sie augenblicklich davon geht, wenn ein Reiterzug plötzlich Halt macht. Gewöhnlich schaute das Leitthier des betreffenden Rudels neugierig den Dahinziehenden nach und vergaß dabei, die übrige Umgebung prüfend zu beobachten. Der Jagende benutzte seine Zeit so gut als möglich und konnte auch in den meisten Fällen von einem der dichteren Büsche aus einen glücklichen Schuß thun, in der Regel nicht weiter als auf neunzig bis hundertfunfzig Schritte. Die überlebenden Gazellen eilten nach dem Schusse so schnell als möglich davon, am liebsten dem nächsten Hügel zu, an welchem sie bis zu dem Gipfel eilfertig hinaufkletterten. Dort aber blieben sie stehen, gerade als wollten sie sich genau von dem Vorgegangenen überzeugen, und mehr als einmal ist es uns gelungen, uns selbst bis an diese, dort wie Schildwachen aufgestellten Thiere mit Erfolg heranzuschleichen. Doch kam es auch vor, daß das Wild rührende Beweise seiner Anhänglichkeit an den Gefährten gab. Zweimal in wenigen Jagdtagen habe ich zwei Gazellen von einem Busche aus erlegt. Auf den ersten Schuß blieb eine Gazelle, gleichsam starr vor Schrecken, neben dem verendenden Genossen stehen, ließ von Zeit zu Zeit ein ängstliches Blöken vernehmen und ging höchstens im Kreise um den Gefallenen herum, ihn mit sichtlicher Angst betrachtend. Da wurde rasch die Büchse wieder geladen und noch eine zweite tödtliche Kugel entsandt. Ich bemerke ausdrücklich, daß ich nur das eine Mal ein Paar auf diese Weise erlegte: die zweiten, welche ich nach einander zusammenschoß, waren Böcke; aber sie zeigten nicht geringere Anhänglichkeit an einander als jene, bei denen die Gattenliebe ins Spiel kam. An einigen Orten belebten sich nach und nach die höheren Hügel mit Gazellen, welche, durch unsere Schüsse erschreckt, von allen Seiten herbeikamen, um von ihrer Warte aus die Gegend zu überschauen. Ich darf wohl behaupten, daß die meist unbewachsenen Berge hierdurch einen wunderbaren Schmuck erhielten. Die schönen Gestalten zeichneten sich so klar gegen den tiefblauen Himmel ab, daß man auch auf große Entfernung hin jedes Glied deutlich wahrnehmen konnte. Oft kam es auch vor, daß die erschreckten Gazellen über einen der unzähligen niederen Hügel, an denen die Samhara so reich ist, weggingen und gleich hinter denselben, d.h. sobald sie den Jäger aus dem Auge verloren hatten, stehen blieben. Im Anfange foppten sie mich einige Male durch dieses sonderbare Betragen. Ich kletterte höchst behutsam an dem Hügel empor und suchte mein Wild in der Entfernung, während es doch dicht unter mir stand. Das Herabrollen eines Steines oder ein anderes Geräusch, welches ich verursachte, schreckte dann die Gazellen auf, und sie eilten [210] jetzt in solch rasender Flucht dahin, daß die Fehlschüsse, welche ich mir zu schulden kommen ließ, wohl verzeihlich erscheinen dürften. Niemals aber sah ich von Menschen verfolgte Gazellen in ihrer wahren Schnelligkeit; denn diese nehmen sie bloß an, wenn ihnen ein Hund auf den Fersen ist. Ich vermag es nicht, das Schauspiel zu beschreiben, welches die beiden Thiere gewähren; ich könnte höchstens sagen, daß eine so dahineilende Gazelle nicht mehr zu laufen, sondern zu fliegen scheint: aber damit hätte ich ihre Flüchtigkeit noch immer nicht geschildert!
In Kordofân und anderen innerafrikanischen Ländern, wo das Feuergewehr nicht in jedermanns Händen ist, sondern noch heutigen Tages als bevorzugte Waffe des Weißen betrachtet und mit einer gewissen Scheu angestaunt wird, legt man sich mehr auf den Fang als auf die Jagd der Gazelle. Man stellt in geringen Abständen auf dem oft begangenen Wechsel sogenannte Teller auf und umgibt jeden einzelnen mit einer Schlinge, welche an einem starken Knüppel befestigt ist. Die Teller bestehen aus einem vielfach durchbohrten Reifen, durch welchen dicht neben einander Stäbchen gesteckt werden. Letztere laufen nach dem Mittelpunkte des Reifes zu, sind etwas nach unten gerichtet und da, wo sie inmitten des Reifes zusammenstoßen, scharf zugespitzt. Jeder Teller wird über eine kleine Grube gelegt, welche man im Sande ausgescharrt und durch ein reifenartig zusammengebogenes breites Rindenstück ausgekleidet hat, damit sich die Grube nicht wieder mit Sand ausfüllt. Die Gazelle, welche ruhig ihres Weges wandelt, tritt auf den Teller, ihr glatter Huf rutscht auf den biegsamen Stäbchen nach der tiefern Mitte herab, dringt dort durch, sinkt tief in die Grube hinein, und sie hat nun einen höchst unangenehmen Kranz am Laufe, dessen Spitzen ein unerträgliches Jucken verursachen. Hiervon belästigt, sucht sie durch Schnellen mit den Läufen von dem Anhängsel sich zu befreien und zieht gerade hierdurch die Schlinge zu, aus welcher sie sonst den Fuß ungefährdet entfernt haben würde. Geängstigt, wie sie ist, beginnt sie rascher zu laufen, aber der Knüppel, welcher hinten nachfolgt, flößt ihr bald das höchste Entsetzen ein; sie eilt so schnell als möglich davon, der Knüppel kommt in raschere Bewegung und schlägt ihr schließlich einen der Läufe entzwei. Das nun fluchtunfähige Wild gelangt leicht in die Gewalt des Menschen. Der Jäger, welcher seine Fallen untersucht, bemerkt sehr bald, daß eine ihren Zweck erfüllt hat und setzt jetzt seine leichten, schnellen Windhunde auf die Spur oder folgt dieser selbst, weil ja der nachschleifende Knüppel sie deutlich genug bezeichnet. So fängt man viele Gazellen und Antilopen überhaupt, jedoch nicht die meisten, welche erbeutet werden; denn ergiebiger noch ist die Jagd mit den Windspielen der Steppe, welche oft an einem einzigen Tag dreißig bis vierzig Stück des leckern Wildes fangen.
Großartige Treibjagden werden zeitweilig von den Beduinenstämmen angestellt und dabei unter günstigen Umständen hunderte von Gazellen mit einem Male getödtet. In den an Antilopen reichen Wüstenstrecken sieht man hier und da aus Steinen aufgeschichtete Mauern von Mannshöhe und darüber, welche in auseinandergehender Richtung auf weithin durch die Wüste geführt wurden, derartig, daß sie an dem einem Ende mindestens auf eine halbe Meile von einander entfernt sind, während sie an dem andern in einen ringsumschlossenen hofartigen Raum übergehen. Zur Zeit nun, wenn viele Antilopen in der Nähe dieser Mauern stehen, macht sich der Beduinenstamm zur Jagd auf, umreitet in weitem Bogen das Wild und sucht es der Einhegung zuzutreiben. Nicht immer, wohl aber in den meisten Fällen, gelingt die Absicht vollkommen, und wenn die Gazellen erst einmal zwischen die Mauern gerathen sind, bleibt ihnen kein Ausweg mehr übrig; denn in der Angst versuchen sie kaum, über die Mauern wegzuspringen. Endlich erfüllen sie den geschlossenen Raum, und nunmehr beginnt ein abscheuliches, durchaus unweidmännisches Abschlachten des edlen Wildes unter Triumphgeschrei der Betheiligten.
Außer den Menschen stellen der erwachsenen Gazelle wenige Feinde nach, vor allen Leopard und Jagdpanther, Hiänenhunde, Schakalwölfe und andere Windhunde und vielleicht noch ein und der andere Adler.
[211] Mit den Gazellen haben die Springantilopen (Antidorcas) große Aehnlichkeit, unterscheiden sich jedoch durch ein wesentliches, einzig und allein ihnen zukommendes Merkmal von den genannten und allen übrigen Verwandten. Längs des Rückens nämlich, etwa von der Mitte desselben beginnend, verläuft eine durch Verdoppelung der Oberhaut gebildete, mit sehr langen Haaren ausgekleidete Falte, welche bei ruhigem Gange der Thiere geschlossen ist, bei heftiger Bewegung, insbesondere beim Springen, aber entfaltet wird. Die Hörner, welche von beiden Geschlechtern getragen werden, erheben sich steil an der Stirn, biegen sich sodann gleichzeitig nach außen und hinten, hierauf wieder etwas nach vorn und wenden sich mit den Spitzen nach einwärts, sind also verdreht leierförmig. Der Leib ist ebenso kräftig wie zierlich gebaut, der Kopf mäßig groß, der Hals schlank, der Schwanz mittellang, die Füße sind ziemlich hoch, die Ohren lang und zugespitzt, die Augen sehr groß, glänzend und lang bewimpert, die Thränengruben klein und undeutlich.
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