Antilopen

[195] Unter den Hornthieren stellen wir die Antilopen, welche eine besondere Unterfamilie (Antilopina) bilden, obenan. Die Abtheilung enthält die meisten Arten der Gesammtheit und begreift in sich die zierlichsten und anmuthigsten Hornthiere überhaupt. Jedoch läßt sich dies nur im allgemeinen sagen; denn gerade unter den Antilopen gibt es einige, welche dem von uns gemeiniglich mit dem Namen verbundenen Begriffe wenig entsprechen. Die Abtheilung wiederholt im großen und ganzen das Gepräge der Gesammtheit; es finden sich in ihr die schlankesten und zierlichsten aller hohlhörnigen Thiere und ebenso plumpe, schwerfällige Geschöpfe, welche man auf den ersten Blick hin eher zu den Rindern als zu ihnen zählen möchte. Aus diesem Grunde verursacht ihre allgemeine Kennzeichnung ebenso erhebliche Schwierigkeiten wie die der ganzen Familie, und auch die Abgrenzung der Gruppe ist keineswegs leicht, da einzelne Antilopen anscheinend weit mehr mit den Rindern und Ziegen übereinstimmen als mit dem Urbilde, als welches wir die schon seit den ältesten Zeiten hochberühmte Gazelle anzusehen haben.

Im allgemeinen kann man die Antilopen als schlankgebaute, hirschähnliche Thiere mit kurzem, fast immer eng anliegendem Haarkleide und mehr oder minder gewundenem Gehörn bezeichnen, welches zumeist beiden Geschlechtern zukommt. Die verschiedenen Arten ähneln sich im ganzen außerordentlich, und nur die Bildung der Hörner, der Hufe und des Schwanzes sowie einzelne Abänderungen des Haarkleides geben sichere Unterscheidungsmerkmale. Aber die Anzahl der Antilopen ist so groß, daß die Grenzglieder der Reihe kaum noch Aehnlichkeit mit einander zu haben scheinen; denn mit der großen Ar tenzahl geht natürlich die Verschiedenheit der Gestaltung [195] Hand in Hand, und deshalb übertrifft die Familie an Mannigfaltigkeit alle übrigen der Ordnung.

Es finden sich Anklänge an die plumpen Rinder wie an die zierlichen Rehe, an die kleinen zarten Moschusthiere wie an die Pferde. Der gewöhnlich kurze Schwanz verlängert sich wie bei den Rindern oder ähnelt dem mancher Hirsche. Am Halse bildet sich eine kleine Mähne; um den Mund herum verlängern sich eigenthümlich die Haare, so daß sie fast einen Bart bilden, wie bei den Ziegen. Die Hörner biegen sich gleichmäßig oder winden und drehen sich in dreifachen Bögen; ihre Spitze krümmt sich nach hinten oder nach vorn, nach innen oder nach außen; das ganze Gehörn erscheint leierartig oder die einzelne Stange wie eine gewundene Schraube oder auch wieder ganz gerade, wenigstens nur unbedeutend gekrümmt. Bald ist es rund, bald gekantet, bald gekielt, bald zusammengepreßt; die Querrunzeln, welche das Wachsthum bezeichnen, sind im allgemeinen deutlich, aber auch nur angedeutet etc. Bei einer Sippe besteht das Gehörn sogar aus vier Stangen. Der innere Leibesbau der Antilopen, über welchen wenig eingehende Beobachtungen gemacht worden sind, entspricht ziemlich dem der Hirsche. Die Weibchen haben regelmäßig zwei oder vier Zitzen am Euter.


Geripp der Mendesantilope. (Aus dem Berliner anatomischen Museum.)
Geripp der Mendesantilope. (Aus dem Berliner anatomischen Museum.)

Sie werfen gewöhnlich nur ein Junges, selten zwei, und tragen dasselbe in durchschnittlich neun Monaten aus. Das Kalb ist nach vierzehn bis achtzehn Monaten erwachsen, wenn auch nicht immer zeugungsfähig.

Ganz Afrika, Süd-, West- und Mittelasien, Süd-und Mitteleuropa sind die Heimat der Antilopen. Jede Art scheint ein bestimmtes Lieblingsfutter zu haben, und dieses ihren Aufenthalt zu bedingen, so lange der Mensch nicht eingreift und die scheuen und flüchtigen Thiere in andere Gegenden treibt. Die meisten lieben die Ebene, einige aber ziehen das Hochgebirge entschieden der Tiefe vor und steigen bis zur Grenze des ewigen Schnees empor; diese bewohnen [196] offene, spärlich mit Pflanzen bewachsene Gegenden, jene finden sich in dünn bestandenen Buschwäldern, einzelne auch in den dichtesten Waldungen, einige sogar in Sümpfen und Brüchen. Die größeren Arten schlagen sich in Trupps oder Rudel, oft in solche von außerordentlicher Stärke; die kleineren leben mehr paarweise oder wenigstens in minder zahlreicheren Gesellschaften. Sie sind Tag- und Nachtthiere, unterscheiden sich also auch hierdurch von den Hirschen, welche sich, wie bekannt, zur Nachtzeit äsen und umhertummeln, bei Tage aber sich lagern und schlafen. Ihre Bewegungen sind meist lebhaft und behend, auch ungemein zierlich. Die Schnelligkeit mancher Arten wird von keinem andern Säugethiere übertroffen, die Anmuth ihres Wesens von keinem erreicht. Luft, Licht und ungemessene Freiheit lieben sie über alles; deshalb bevölkern gerade sie die arme Wüste, deshalb beleben sie die todte Einöde. Nur wenige Arten trollen plump und schwerfällig dahin und ermüden schon nach kurzer Verfolgung; die übrigen vergeistigen sich gleichsam während ihrer Bewegung. Sie besitzen sehr scharfe Sinne, äugen, vernehmen und wittern ausgezeichnet, sind lecker und empfindlich für äußere Einflüsse. Ihr Verstand ist nicht besonders, aber doch mehr als bei anderen Familien der Ordnung entwickelt. Neugierig, munter, heiter und neckisch wie die Ziegen, benutzen sie gemachte Erfahrungen, stellen Wachen aus, wenn sie Verfolgungen erlitten haben, und werden dann in hohem Grade scheu. Viele zeichnen sich durch Friedfertigkeit aus, andere können recht bösartig sein. Ihre blökende, stöhnende oder pfeifende Stimme hört man selten, gewöhnlich bloß zur Brunstzeit, wenn die Böcke und Ziegen mit einander sich streiten.

Die Nahrung besteht nur in Pflanzenstoffen, hauptsächlich in Gräsern und Kräutern, in Blättern, Knospen und jungen Trieben. Einigen muß die dürftigste Aesung genügen, andere zeigen sich ungemein wählerisch und genießen nur die saftigsten und leckersten Pflanzen. Bei frischem grünem Futter können die meisten lange dürsten, die in der dürren Wüste lebenden sogar tage- und wochenlang Wasser vollständig entbehren.

Man darf die Antilopen nützliche Thiere nennen und braucht kaum eine Ausnahme zu machen. An den Orten, wo sie leben, bringen sie selten erheblichen Schaden; wohl aber nützen sie durch ihr Fleisch, durch ihr Gehörn und durch ihr vortreffliches Fell. Sie sind deshalb ein Gegenstand der eifrigsten Jagd bei allen Völkern, welche mit ihnen die gleiche Heimat theilen. Noch größer aber dürfte der Nutzen sein, den sie dem Menschen gewähren durch die Freude an ihrer Schönheit, Anmuth und Liebenswürdigkeit und durch das außerordentliche Vergnügen, welches ihre Jagd bereitet. Manche seit uralter Zeit hochberühmte Antilopen sind von Dichtern und Reisenden laut gepriesen worden, wegen anderer setzt der Alpenjäger hundertmal sein Leben ein. In derselben Weise fühlt sich der Mensch zu allen übrigen Antilopen hingezogen. Dazu kommt noch, daß die meisten, wenigstens in ihrem Vaterlande, die Gefangenschaft leicht und dauernd aushalten, sich in derselben fortpflanzen und ihren Pfleger durch Zahmheit und Zutraulichkeit erfreuen. Manche werden förmlich zu Hausthieren und sind in früherer Zeit buchstäblich als solche betrachtet und behandelt worden.

So weit Geschichte und Sage zurückreichen, thun beide einzelner Antilopen Erwähnung. »Eine nicht unerhebliche Anzahl von Arten«, schreibt mir mein gelehrter Freund Dümichen, »begegnen uns in den Abbildungen auf den altegyptischen Denkmälern und zwar vorzugsweise an den Wänden von Giseh, Sakhara, Theben, Beni-Hassan und El-Kab. Am häufigsten und in einer wahrhaft entzückenden Anmuth ist das Bild der zierlichen Gazelle, zumal des jungen, an seinem noch wenig entwickelten Gehörn kenntlichen Thieres von den Altegyptern wiedergegeben worden. Ein paar Mal kommen auch die beiden Nebenarten gedachter, im Texte ›Kahes‹ genannten Antilope, die aus Kleinasien und der arabischen Wüste stammende Isabellgazelle (Antilope isabellina) und die Schwarznasengazelle (Antilope arabica) unter den Bildern vor. Nicht minder häufig sieht man die Säbelantilope oder Steppenkuh (Oryx leucoryx), hieroglyphisch ›Mahet‹, und die Mendesantilope (Addax nasomaculata), hieroglyphisch ›Nutu‹ genannt, bildlich dargestellt. Von anderen Gazellenarten kommen vor: der Tedal (Antilope [197] Soemmerringii), die Ledragazelle (Antilope Dama), von anderen Oryxböcken die Beisa (Oryx Beisa), von Wasserböcken die Defasaantilope (Kobus Defasa) aus Habesch, der Wasserbock (Kobus ellipsiprymnus), der Adjel (Adenota leucotis) und der Abok (Adenota megaceros) aus dem Gebiete des obern Weißen Nil, die Schimmelantilope (Hippotragus leucophoeus) von ebendaher, von Kuhantilopen endlich der Korrigum (Damalis senegalensis) und der Tetel (Bosephalus bubalis), hieroglyphisch ›Schesau‹ genannt, jene aus Sennâr, diese aus dem Steppengebiete unter dem Westabfalle des Abessinischen Hochlandes stammend.« Unter diesen Antilopen finden sich, wie ich hinzufügen will, mehrere Arten, über deren Vorkommen im Norden Afrikas uns erst die in die neueste Zeit fallenden Forschungen Heuglins und Schweinfurths unterrichtet haben, weil sie nur im eigentlichen Herzen Afrikas gefunden werden. Bis dahin also drangen, forschend und sammelnd, die Altegypter vor, um ihrer Neigung, allerhand auffallendes Gethier sich zu eigen zu machen, gerecht zu werden. »Die Antilopen«, fährt Dümichen fort, »wurden von den Altegyptern durch Pfeilschüsse erlegt. Auf den betreffenden Darstellungen erblicken wir den Jäger zumeist begleitet von dem in den Hieroglyphen ›Tesem‹ genannten Windspiele der Wüste oder Steppe, dem Slugui der heutigen Araber, nicht selten aber auch gefolgt von dem Steppen- oder Hiänenhunde, welchen die alten Bewohner des Pharaonenlandes ebenso gut wie den Gepard zu zähmen und abzurichten verstanden.« Zur Jagd der Wasserböcke bediente man sich der Wurfschlinge. Besondere Beachtung verdient, daß Gazellen, Säbel-und Mendesantilopen von den Altegyptern als Hausthiere gehalten wurden und zwar nicht bloß in einzelnen Stücken, sondern in großen Herden neben Rindern und Ziegen. In einem Grabe von Sakhara z.B. wird der Viehreichthum eines vornehmen Egypters angegeben auf 405 Rinder einer selten vorkommenden Rasse, 1225 Rinder und 1220 Kälber des Langhornschlages und 1138 Kälber des Kurzhornschlages, 1135 Gazellen, 1308 Säbel- und 1244 Mendesantilopen.

Es ist sehr schwer, die große Anzahl der Glieder unserer Familie in natürliche Gruppen zu ordnen. Gewöhnlich gründet man die Eintheilung auf ihre Aehnlichkeit mit Hirschen, Ziegen, Stieren etc.; doch genügt dies nicht, und so hat man bis jetzt immer noch das Gehörn als bestes Merkmal für eine übersichtliche Eintheilung und Einordnung beibehalten.

Wir heben bloß die wichtigsten Gestalten dieser reichsten Gruppe der Wiederkäuer hervor.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 195-198.
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