1. Sippe: Maulwürfe (Talpa)

[255] Die Maulwürfe oder Mulle (Talpina) verbreiten sich fast über Europa, einen großen Theil von Asien, Südafrika und Nordamerika. Ihre Artenzahl ist nicht eben groß; es scheint jedoch wahrscheinlich, daß es noch viele den Naturforschern unbekannte Maulwürfe gibt. Alle Arten sind so auffallend gestaltet und ausgerüstet, daß sie sofort sich erkennen lassen. Der gedrungene Leib ist walzenförmig und geht ohne abgesetzten Hals in den kleinen Kopf über, welcher sich seinerseits zu einem Rüssel verlängert und zuspitzt, während Augen und Ohren verkümmert und äußerlich kaum oder nicht sichtbar sind. Der Leib ruht auf vier kurzen Beinen, von denen die vorderen als verhältnismäßig riesige Grabwerkzeuge erscheinen, während die Hinterpfoten schmal, gestreckt und rattenfußartig sind und der Schwanz nur kurz ist. Letzterer zeichnet sich besonders dadurch aus, daß die Haare einen wirklichen Metallglanz haben, wie man ihn sonst bei keinem Säugethiere bemerkt. Mit diesen äußerlichen Merkmalen steht die Anlage und Ausbildung der inneren Theile im innigsten Einklange. Das Gebiß besteht aus 36 bis 44 Zähnen, da alle Zahnarten mehr oder weniger abändern, ebensowohl was Form und Größe, als was die Anzahl betrifft. Der Schädel ist sehr gestreckt und platt, seine Höhle vollständig, ein Jochbogen vorhanden, die einzelnen Kopfknochen sind auffallend dünn. In der Wirbelsäule, welche außer den Halswirbeln von 19 bis 20 rippentragenden, 3 bis 5 rippenlosen, 3 bis 5 Kreuz- und 6 bis 11 Schwanzwirbeln zusammengesetzt wird, fällt die Verwachsung mehrerer Halswirbel auf. Bau und Stellung der Vorderfüße bedingen eine Stärke des Oberbrustkorbes, wie sie verhältnismäßig kein anderes Thier besitzt. Das Schulterblatt ist das schmalste und längste, das Schlüsselbein das dickste und längste in der ganzen Klasse, der Oberarm ungemein breit, der Unterarm stark und kurz. Zehn Knochen finden sich in der Handwurzel. Man erkennt, daß diese riesigen Vorderglieder bloß zum Graben bestimmt sein können: sie sind Schaufeln, welche man sich nicht vortrefflicher gestaltet denken kann. An diese Knochen setzen sich nun auch besonders kräftige Muskeln an, und daher kommt eben die verhältnismäßige Stärke des Thieres im Vordertheile seines Körpers.

Alle Maulwürfe bewohnen mit Vorliebe ebene, fruchtbare Gegenden, ohne jedoch im Gebirge zu fehlen. Wiesen und Felder, Gärten, Wälder und Auen werden von ihnen erklärlicherweise den trockenen, unfruchtbaren Hügelabhängen oder sandigen Stellen vorgezogen. Nur ausnahmsweise finden sie sich an den Ufern der Flüsse oder Seen ein, und noch seltner begegnet man ihnen an den Küsten des Meeres. Alle Arten führen ein vollkommen unterirdisches Leben. Sie scharren sich Gänge durch den Boden und werfen Haufen auf, ebensowohl im trockenen, lockern oder sandigen als im feuchten und weichen Boden. Manche Arten legen sich weit ausgedehnte und sehr zusammengesetzte Baue an. Als Kinder der Finsternis empfinden sie schmerzlich die Wirkung des Lichts. Deshalb kommen sie auch nur selten freiwillig an die Oberfläche der Erde und sind selbst in der Tiefe bei Nacht thätiger als bei Tage. Ihr Leibesbau verbannt sie entschieden von der Oberfläche der Erde. Sie können weder springen noch klettern, ja kaum ordentlich gehen, obgleich sich manche [255] rasch auf dem Boden fortbewegen, diesen meist bloß mit der Sohle der Hinterfüße und dem Innenrande der Hände berührend. Um so rascher ist ihr Lauf in ihren Gängen unter der Erde und wahrhaft bewundernswürdig die Geschwindigkeit, mit welcher sie graben. Auch das Schwimmen verstehen sie sehr gut, obgleich sie von dieser Fertigkeit bloß im Nothfalle Gebrauch machen. Die breiten Hände geben vorzügliche Ruder ab, und die kräftigen Arme erlahmen im Wasser erklärlicher Weise noch weit weniger als beim Graben in der Erde.


Geripp des Maulwurfs. (Aus dem Berliner anatomischen Museum).
Geripp des Maulwurfs. (Aus dem Berliner anatomischen Museum).

Unter den Sinnen sind Geruch, Gehör und Gefühl besonders ausgebildet, während das Gesicht sehr verkümmert ist. Ihre Stimme besteht in zischenden und quiekenden Lauten. Die geistigen Fähigkeiten sind gering, obwohl nicht in dem Grade, als man gewöhnlich zu glauben geneigt ist. Doch scheinen die sogenannten schlechten Eigenschaften weit mehr entwickelt zu sein als die guten; denn alle Mulle sind im höchsten Grade unverträgliche, zänkische, bissige, räuberische und mordlustige Thiere, welche selbst den Tiger an Grausamkeit übertreffen und mit Lust einen ihres Gleichen auffressen, sobald er ihnen in den Wurf kommt.

Die Nahrung besteht ausschließlich in Thieren, nie aus Pflanzenstoffen. Unter der Erde lebende Kerbthiere aller Art, Würmer, Asseln und dergleichen bilden die Hauptmasse ihrer Mahlzeiten. Außerdem verzehren sie, wenn sie es haben können, kleine Säugethiere und Vögel, Frösche und Nacktschnecken. Ihre Gefräßigkeit ist ebenso groß wie ihre Beweglichkeit; denn sie können bloß sehr kurze Zeit ohne Nachtheil hungern und verfallen deshalb auch nicht in Winterschlaf. Gerade aus diesem Grunde werden sie als Kerbthiervertilger nützlich, während sie durch ihr Graben dem Menschen viel Aerger bereiten.

Ein- oder zweimal im Jahre wirft der weibliche Maulwurf zwischen drei bis fünf Junge und pflegt dieselben sorgfältig. Die Kleinen wachsen ziemlich rasch heran und bleiben ungefähr einen oder zwei Monate bei ihrer Mutter. Dann machen sie sich selbständig, und die Wühlerei beginnt. In der Gefangenschaft kann man sie nur bei sorgfältigster Pflege erhalten, weil man ihrer großen Gefräßigkeit kaum Genüge zu leisten vermag.

Nach der Beschaffenheit des Gebisses, der Bildung des Rüssels und dem Fehlen oder Vorhandensein des mehr oder weniger langen Schwanzes theilt man die Maulwürfe in Sippen ein, welche wir aus dem Grunde übergehen können, als die Mulle im wesentlichen eine durchaus übereinstimmende Lebensweise führen und die in Europa lebenden Arten letztere uns genügend kennen lehren.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 255-256.
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