Desman (Myogale moschata)

[237] Der Desman oder Wuchuchol (Myogale moschata, Castor und Sorex mochatus, M. moscovitica), unterscheidet sich von dem spanischen Verwandten zunächst durch seine Größe; denn seine Gesammtlänge beträgt bis 42 Centim., wovon auf den Leib 25 Centim., auf den Schwanz 17 Centim. kom men. Die Augen sind klein, die Ohröffnungen dicht mit Haaren bedeckt, die Nasenöffnungen durch eine Warze verschließbar, die Pfoten kahl, auf der Oberseite fein geschuppt, unten genetzt, am äußeren Rande mit Schwimmborsten besetzt. Der aus sehr glatten Grannen und äußerst weichen Wollhaaren bestehende Pelz ist oberseits röthlichbraun, unterseits weißlich aschgrau, silbern glänzend.

Der Desman bewohnt den Südosten Europas und zwar hauptsächlich die Flußgebiete der Ströme Wolga und Don, findet sich jedoch auch in Asien und zwar in der Bucharei. Sein Leben ist an das Wasser gebunden, und nur höchst ungern unternimmt er kleine Wanderungen von einem Bache zum anderen. Ueberall, wo er vorkommt, ist er häufig.

Sein Leben ist sehr eigentümlich, dem des Fischotters ähnlich. Es verfließt halb unter der Erde, halb im Wasser. Stehende oder langsam fließende Gewässer mit hohen Ufern, in denen er [237] leicht Gänge sich graben kann, sagen ihm am meisten zu. Hier findet man ihn einzeln oder paarweise in großer Anzahl. Die Röhren sind künstlich und ebenfalls nach Art des Fischotterbaues angelegt. Unterhalb der Oberfläche des Wassers beginnt ein schief nach aufwärts steigender Gang, welcher unter Umständen eine Länge von sechs Meter und darüber erreichen kann; dieser führt in einen Kessel, welcher regelmäßig anderthalb bis zwei Meter über dem Wasserspiegel und jedenfalls über dem höchsten Wasserstande liegt, somit auch unter allen Umständen trocken bleibt. Ein Luftgang nach oben hin findet sich nicht; demungeachtet ist die Angabe, daß der Desman im Winter oft in seinen Bauen ersticken müsse, eine Unwahrheit.

Als vortrefflicher Schwimmer und Taucher bringt der Desman den größten Theil seines Lebens im Wasser zu, und nur, wenn Ueberschwemmungen ihn aus seinen unterirdischen Gängen vertreiben, betritt er die Oberfläche der Erde; aber selbst dann entfernt er sich nur gezwungen auf kurze Strecken von dem Wasser. Hier treibt er sich Tag und Nacht, Sommer und Winter umher; denn auch wenn Eis die Flüsse deckt, geht er seinem Gewerbe nach und zieht sich bloß, wenn er gesättigt und ermüdet ist, nach seiner Höhle zurück, deren Mündung immer so tief angelegt wird, daß selbst das dickste Eis sie nicht verschließen kann. Seine Nahrung besteht aus Blutegeln, Würmern, Wasserschnecken, Schnaken, Wassermotten und Larven anderer Kerbthiere. Die Fischer sagen freilich, daß er Wurzeln und Blätter vom Kalmus fresse, haben sich aber zu solchem Glauben nur von dem Umstande verleiten lassen, daß er gerade diese Pflanze als vorzügliche Jagdgebiete besonders oft nach Beute absucht.


Desman (Myogale moschata). 1/2 natürl. Größe.
Desman (Myogale moschata). 1/2 natürl. Größe.

So plump und unbeholfen der Desman erscheint, so behend und gewandt ist er. Sobald das Eis aufgeht, sieht man ihn in dem Schilfe und in dem Gesträuch des Ufers unter dem Wasser umherlaufen, sich hin-und herwenden, mit schnellen Bewegungen des Rüssels Gewürm suchen und oft, um zu athmen, an die Oberfläche kommen. Bei heiterem Wetter spielt er im Wasser und sonnt sich am Ufer. Den Rüssel krümmt er nach allen Seiten, tastet auch geschickt mit ihm. Oft steckt er ihn in das Maul und läßt dann schnatternde Töne hören, welche denen einer Ente ähneln. Reizt man ihn oder greift man ihn an, so pfeift und quiekt er wie eine Spitzmaus, sucht sich auch durch Beißen zu vertheidigen. Mit dem Rüssel vermag er, wie man an Gefangenen beobachtet hat, [238] sehr hübsch und geschickt Regenwürmer und andere kleine Thiere zu erhaschen und sie nach Elefantenart in das Maul zu schieben. Im Trocknen wird er sehr unruhig und sucht zu entkommen; sobald er dann in das Wasser gelangt, scheint er sich wahrhaft beglückt zu fühlen und wälzt sich vor Vergnügen hin und her.

Man kann den Desman ziemlich leicht fangen, zumal im Frühlinge und zur Zeit der Begattung, wenn beide Geschlechter mit einander spielen. In einem großen Netze, welches man durch das Wasser zieht, findet man regelmäßig mehrere verwickelt. Aber man muß dabei natürlich die Vorsicht gebrauchen, immer nur kürzere Strecken auf einmal durchzufischen, damit die Thiere, welche durch die Netze in ihren Bewegungen gehindert werden, nicht unter dem Wasser ersticken. In Reußen und Netzen, welche die Fischer ausstellen, werden viele von ihnen aufgefunden, welche auf diese Weise ums Leben gekommen sind. Im Herbste betreibt man eine förmliche Jagd auf das Thier, weil um diese Zeit seine Jungen erwachsen sind und die Ausbeute dann ergiebig wird.

Ueber die Fortpflanzung und die Anzahl der Jungen des Desman ist bis jetzt noch nichts sicheres bekannt; doch scheint es, daß er sich ziemlich zahlreich vermehrt: hierfür sprechen mindestens die acht Zitzen, welche man am Weibchen findet. Wie häufig das Thier sein muß, geht daraus hervor, daß man die Felle, welche man zur Verbrämung der Kappen und Hauskleider verbraucht, nur mit einem oder zwei Kreuzern unseres Geldes bezahlt. Im Winter werden aus unbekannten Gründen meistens Männchen, selten Weibchen, gefangen, im Sommer dagegen nur wenige Männchen.

Pallas ist der einzige Forscher, welcher über den freilebenden wie auch über den gefangenen Desman Mittheilungen macht. Das Thier hält stets nur sehr kurze Zeit in der Gefangenschaft aus, selten länger als drei Tage; doch glaubt genannter Forscher, daß dies wohl in der üblen Behandlung liegen möchte, welche der Wuchuchol beim Fange seitens der Fischer erleiden muß. Wenn man ihm in sein Behältnis Wasser gießt, zeigt er eine besondere Lust, schmatzt, wäscht den Rüssel und schnuppert dann umher. Läßt man den unruhigen Gesellen gehen, so wälzt er sich unaufhörlich von einer Seite auf die andere, und indem er sich auf die Sohle der einen Seite stützt, kämmt und kratzt er sich so schnell, als mache er es mit zitternder Bewegung. Die Sohlen sind wunderbar gelenkig und können selbst die Lenden erreichen, der Schwanz dagegen bewegt sich wenig und wird fast immer wie eine Sichel gebogen. Der Desman ergreift alle ihm zugeworfene Beute hastig mit dem Rüssel, wie mit einem Finger, und schiebt sie sich ins Maul, schnüffelt auch nach allen Seiten hin beständig umher und scheint dieselbe Unersättlichkeit zu besitzen wie andere Mitglieder seiner Familie. Abends begibt er sich zur Ruhe und liegt dann mit zusammengezogenem Leibe, die Vorderfüße auf einer Seite, den Rüssel nach unten, fast unter den Arm gebogen, auf der flachen Seite. Aber auch im Schlafe ist er unruhig und wechselt oft den Platz. Nach sehr kurzer Zeit wird das Wasser von seinem Unrathe und der Aussonderung der Schwanzdrüsen stinkend und muß deshalb beständig erneuert werden. So angenehm er durch seine Beweglichkeit und Lebendigkeit ist, so unangenehm wird ein gefangener durch den Moschusgeruch, welcher so stark ist, daß er nicht nur das ganze Zimmer füllt und verpestet, sondern sich auch allen Thieren, welche jenen fressen, mittheilt und förmlich einprägt.

Wie es scheint, hat der Desman weder unter den Säugethieren, noch unter den Vögeln viele Feinde: um so eifriger aber stellen ihm die großen Raubfische und namentlich die Hechte nach. Solche Uebelthäter sind zu erkennen; denn sie stinken so fürchterlich nach Moschus, daß sie vollkommen ungenießbar geworden sind. Der Mensch verfolgt das schmucke Thier seines Felles wegen, welches dem des Bibers und der Zibetratte so ähnelt, daß sich Linné verleiten ließ, den Desman als Castor moscatus oder »Moschusbiber« unter die Nager zu stellen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 237-239.
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