Siebenschläfer (Myoxus Glis)

[306] Die erste Sippe wird von dem Siebenschläfer oder Bilch (Myoxus Glis, Glis vulgaris und esculentus, Mus und Sciurus Glis) und einem Verwandten gebildet. Er gehört zu den Thieren, welche dem Namen nach weit besser bekannt sind als von Gestalt und Ansehen. Jeder, welcher sich mit der alten Geschichte beschäftigt hat, kennt diese Schlafmaus, den besonderen Liebling der Römer, zu dessen Hegung und Pflegung eigene Anstalten getroffen wurden. Eichen- und Buchenhaine umgab man mit glatten Mauern, an denen die Siebenschläfer nicht emporklettern konnten; innerhalb der Umgebung legte man verschiedene Höhlen an zum Nisten und Schlafen; mit Eicheln und Kastanien fütterte man hier die Bilche an, um sie zuletzt in irdenen Gefäßen oder Fässern, »Glirarien« genannt, noch besonders zu mästen. Wie uns die Ausgrabungen in Herkulanum belehrt haben, waren die zur letzten Mästung bestimmten Glirarien kleine, halbkugelige, an den inneren Wänden terassenförmig abgetheilte und oben mit einem engen Gitter geschlossene Schalen. In ihnen sperrte man mehrere Siebenschläfer zusammen und versah sie im Ueberflusse mit Nahrung. Nach vollendeter Mästung kamen die Braten als eines der leckersten Gerichte auf die Tafeln reicher Schlemmer. Martial verschmäht nicht, diese kleinen Thiere zu besingen, und läßt sie sagen:


»Winter, dich schlafen wir durch, und wir strotzen von blühendem Fette

Just in den Monden, wo uns nichts als der Schlummer ernährt.«


Den Siebenschläfer, einen Bilch von 16 Centim. Leibes- und 13 Centim. Schwanzlänge, kennzeichnet hauptsächlich die Gestalt seiner Backenzähne, von denen zwei größere in der Mitte und kleinere vorn und hinten stehen, und deren Kaufläche vier gebogene, durchgehende und drei halbe, oberseits nach außen, unterseits nach innen liegende Schmelzfalten zeigt. Der weiche, ziemlich dichte Pelz ist auf der Oberseite einfarbig aschgrau, bald heller, bald dunkler schwärzlichbraun überflogen, an den Seiten des Leibes etwas lichter und da, wo sich die Rückenfarbe von der der Unterseite abgrenzt, bräunlichgrau, auf der Unterseite und der Innenseite der Beine, scharf getrennt von der Oberseite, milchweiß und silberglänzend. Der Nasenrücken und ein Theil der Oberlippe zwischen den Schnurren sind graulichbraun, der untere Theil der Schnauze, die Backen [306] und die Kehle bis hinter die Ohren hin weiß, die Schnurren schwarz, die mittelgroßen Ohren außen dunkelgraubraun, gegen den Rand hin lichter. Um die Augen zieht sich ein dunkelbrauner Ring. Der buschig und zweizeilig behaarte Schwanz ist bräunlichgrau, unten mit einem weißlichen Längsstreifen. Verschiedene Abänderungen kommen vor.

Süd- und Osteuropa bilden das wahre Vaterland des Siebenschläfers. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Spanien, Griechenland und Italien an bis nach Süd- und Mitteldeutschland. In Oesterreich, Steiermark, Kärnten, Mähren, Schlesien, Böhmen und Bayern ist er häufig, in Kroatien, Ungarn und dem südlichen Rußland gemein; im Norden Europas, schon im nördlichen Deutschland, in England, Dänemark, fehlt er. Er bewohnt hauptsächlich das Mittelgebirge, am liebsten trockene Eichen- und Buchenwaldungen.


Siebenschläfer (Myoxus Glis) und Gartenschläfer (Eliomys Nitela). 1/2 natürl. Größe.
Siebenschläfer (Myoxus Glis) und Gartenschläfer (Eliomys Nitela). 1/2 natürl. Größe.

Den Tag überhält er sich verborgen, bald in hohlen Bäumen, Baumlöchern und Felsklüften, bald in Erdlöchern unter Baumwurzeln, in verlassenen Hamsterhöhlen, Elstern- und Krähennestern hausend; gegen Abend kommt er aus seinen Verstecken hervor, streift nachts umher, sucht sich seine Nahrung, kehrt ab und zu in seinen Schlupfwinkel zurück, um zu verdauen und auszuruhen, frißt nochmals und sucht endlich gegen Morgen, ausnahmsweise auch wohl erst nach Sonnenaufgang, gewöhnlich mit seinem Weibchen oder einem anderen Gefährten vereinigt, die zeitweilige Wohnung zum Schlafen wieder auf. Bei seinen nächtlichen Ausflügen zeigt er sich als ein rascher und lebhafter, behender Gesell, welcher mit Eichhorngewandtheit auf den Bäumen oder an Felsenwänden umherklettert, sicher von Zweig zu Zweige oder auch aus der Höhe zur Tiefe springt und mit kurzen Sätzen rasch umherläuft, wenn er auf die Erde gelangt. Freilich gewahrt man sein Treiben bloß an Orten, welche man von vornherein als seine Wohnplätze kennt; denn sonst verbirgt ihn die Nacht vor den Blicken des Menschen und vieler anderer Feinde.

Wenige Nager dürfen es dem Bilche an Gefräßigkeit zuvorthun. Er frißt, so lange er fressen kann. Eicheln, Bücheln, Haselnüsse bilden vielleicht seine Hauptnahrung, Wallnüsse, Kastanien, süßes und saftiges Obst werden aber auch nicht verschmäht, und thierische Kost scheint ihm geradezu Bedürfnis zu sein; wenigstens überfällt, mordet und verzehrt er jedes kleinere Thier, welches er erlangen kann, plündert Nester aus, würgt junge Vögel ab, tritt überhaupt nicht selten als Raubthier auf. Wasser trinkt er wenig, wenn er saftige Früchte hat, gar nicht.

[307] So lange der Sommer währt, treibt er sich, falls die Witterung nicht gar zu schlimm ist, allnächtlich in seinem Gebiete umher. Auf seinen Weidezügen setzt er sich fast alle Minuten einmal nach Eichhörnchenart auf das Hintertheil und führt etwas mit den Vorderpfoten zum Munde. Beständig hört man das Knacken von Nüssen, welche er zerbricht, oder das Fallen von ausgefressenen Früchten, welche er herabwirft. Gegen den Herbst hinsammelt er Nahrungsvorräthe ein und speichert diese in seinen Höhlen auf. Um diese Zeit »strotzt er bereits von blühendem Fette«, frißt aber noch so lange als möglich; dann denkt er daran, Herberge für den Winter zu bereiten. Jetzt macht er sich in tiefen Erdlöchern, Rissen und Spalten, Felsen und in altem Gemäuer, wohl auch in tiefen Baumhöhlungen, ein Nest von zartem Moose zurecht, rollt sich, gewöhnlich in Gemeinschaft mit mehreren seiner Genossen, zusammen und fällt schon lange vorher, ehe der Wärmemesser auf dem Nullpunkte steht, in rauheren Gebirgsgegenden bereits im August, in der wärmeren Ebene erst gegen den Oktober hin, in tiefen Schlaf. Er zeigt nunmehr die Gefühllosigkeit aller Winterschläfer und ist vielleicht derjenige, welcher am tiefsten schläft. Man kann ihn ruhig aus seinem Lager nehmen und wegtragen: er bleibt kalt und regungslos. Im warmen Zimmer erwacht er nach und nach, bewegt anfänglich die Gliedmaßen ein wenig, läßt einige Tropfen seines hellen, goldgelben Harnes von sich und regt sich allmählich mehr und mehr, sieht aber auch jetzt noch sehr verschlafen aus. Im Freien wacht er zeitweilig von selbst auf und zehrt ein wenig von seinen Nahrungsvorräthen, gleichsam ohne eigentlich zu wissen, was er thut. Siebenschläfer, welche Lenz überwinterte und in einem kühlen Raume hielt, wachten etwa alle vier Wochen auf, fraßen und schliefen dann wieder so fest, daß sie todt schienen; andere, welche Galvagni pflegte, wachten nur alle zwei Monate auf und fraßen. Im Freien erwacht unser Bilch erst sehr spät im Frühjahre, selten vor Ende des April. Somit beträgt die Dauer seines Winterschlafes volle sieben Monate, und er führt demnach seinen Namen mit Fug und Recht.

Bald nach dem Erwachen paaren sich die Geschlechter, und nach ungefähr sechswöchentlicher Tragzeit wirft das Weibchen auf einem weichen Lager in Baum- oder anderen Höhlungen – in der Nähe von Altenburg sehr häufig in den Nistkästchen der Staare, welche man vermittels hoher Stangen über und auf den Obstbäumen aufzustellen pflegt – drei bis sechs nackte, blinde Junge, welche außerordentlich schnell heranwachsen, nur kurze Zeit an der Mutter saugen und sich dann selbst ihre Nahrung aufsuchen. Niemals steht das Nest des Bilch frei auf Bäumen, wie das unseres Eichhörnchens, wird vielmehr stets nach Möglichkeit verborgen. In Gegenden, wo es viele Buchen gibt, vermehrt sich der Bilch sehr stark, wie sein Wohlleben überhaupt von dem Gedeihen der Früchte abhängt.

Viele Feinde thun dem Siebenschläfer übrigens bedeutend Abbruch. Baummarder und Iltis, Wildkatze und Wiesel, Uhu und Eule sind wohl seine schlimmsten Verfolger, und wenn er auch selbst gegen die stärksten Feinde mit vielem Muthe sich wehrt, sie anschnaubt, wüthend nach ihnen beißt und sogar die schwachen Krallen bei der Vertheidigung zu Hilfe nimmt: er muß ihnen doch jedesmal erliegen. Der Mensch stellt ihm da, wo er häufig ist, theils des Fleisches, theils des Felles wegen, eifrig nach, lockt ihn in künstliche Winterwohnungen, Gruben, welche man in Wäldern unter Gebüsch und Felsabhängen, an trockenen, gegen Mittag gelegenen Orten für ihn herrichtete, verrätherisch mit Moos ausbettete, mit Stroh und dürrem Laube überdeckte und reichlich mit Bücheln bestreute, oder richtet andere Fallen für ihn her. In Bayern fangen ihn die Landleute in gewöhnlichen, mit Hanfkörnern geköderten Meisenkästen. »Sobald man«, schreibt mir Dr. Weber, »an den unter den Obstbäumen liegenden, zerbissenen Früchten das Vorhandensein und schädliche Wirken eines Siebenschläfers erkundet hat, stellt man den Meisenschlag wie für einen Vogel in eine Astgabel. Unser Bilch geht dem Hanfe nach, wirft den Schlag ein, ergibt sich ruhig in die Gefangenschaft und schläft den Schlaf der Gerechten, anstatt den Kastendeckel aufzuheben oder die dünnen seitlichen Holzstäbe zu zernagen und sich so Wege zur Freiheit zu bahnen.« In Unterkrain erbeuten ihn die Bauern in Schnellfallen, welche sie entweder an den Aesten aufhängen oder vor [308] den ihnen genau bekannten Schlupfwinkel des Siebenschläfers aufstellen und mit einer saftigen Birne oder Pflaume ködern. Außerdem gräbt man theilweise mit Obst gefüllte Fässer in die Erde, welche oben nur einen Zugang haben, ein Rohr nämlich, in welchem Eisendrähte so befestigt werden, daß sie wohl das Hineinschlüpfen, nicht aber das Herauskommen des Bilches gestatten. Hier fangen sich die Thiere oft in so großer Menge, daß mancher Jäger während eines Herbstes zwei- bis vierhundert Stück erbeuten kann.

Der Siebenschläfer wird verhältnismäßig selten in der Gefangenschaft gehalten. Es läßt sich von vornherein erwarten, daß ein so großer Fresser geistig nicht sehr befähigt sein, überhaupt nicht viele gute Eigenschaften haben kann. Sein Wesen ist nicht gerade angenehm, seine größte Tugend die Reinlichkeit; im übrigen wird er langweilig. Er befindet sich fortwährend in gereizter Stimmung, befreundet sich durchaus nicht mit seinem Pfleger und knurrt in eigenthümlich schnarchender Weise jeden wüthend an, welcher sich erfrecht, ihm nahe zu kommen. Dem, welcher ihn ungeschickt angreift, beweist er durch rasch aufeinanderfolgende Bisse in sehr empfindlicher Weise, daß er keineswegs geneigt sei, sich irgendwie behelligen zu lassen. Nachts springt er wie rasend im Käfige umher und wird schon deshalb seinem Besitzer bald sehr lästig. Er muß auf das sorgfältigste gepflegt, namentlich gefüttert werden, damit er sich nicht durch den Käfig nagt oder einen und den andern seiner Gefährten auffrißt; denn wenn er nicht genug Nahrung hat, geht er ohne weiteres andere seiner Art an und ermordet und verzehrt sie ebenso ruhig wie andere kleine Thiere. Auch die im Käfige geborenen Jungen sind und bleiben ebenso unliebenswürdig wie die Alten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 306-309.
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