Honigdachs (Mellivora capensis)

[139] Der Honigdachs oder Ratel (Mellivora capensis, Gulo, Mustela, Viverra und Ratelus capensis, Ursus, Taxus, Meles, Viverra und Lipotus mellivora, Ratelus typicus) erreicht ausgewachsen eine Länge von reichlich 70 Centim., wovon auf den verhältnismäßig sehr langen Schwanz etwa 25 Centim. zu rechnen sind. Die Behaarung ist lang und straff; Stirne, Hinterkopf, Nacken, Rücken, Schultern und Schwanz sind aschgrau, Schnauze, Wangen, Ohren, Unterhals, Brust, Bauch und Beine schwarzgrau gefärbt, scharf von der oberen Färbung abgegrenzt. Gewöhnlich trennt ein hellgrauer Randstreifen die Rückenfärbung von der unteren, und dieser Streifen ist es hauptsächlich, welcher den afrikanischen Honigdachs von dem indischen unterscheidet.

Der Ratel lebt in selbstgegrabenen Höhlen unter der Erde und besitzt eine unglaubliche Fertigkeit, solche auszuscharren. Träge, langsam und ungeschickt, wie er ist, würde er seinen Feinden kaum entgehen können, wenn er nicht die Kunst verstände, sich förmlich in die Erde zu versenken, d.h. sich so rasch eine Höhle zu graben, daß er sich unter der Erdoberfläche verborgen hat, ehe ein ihm auf den Leib rückender Widersacher nahe genug gekommen ist, um ihn zu ergreifen. Er führt eine nächtliche Lebensweise und geht des Tages nur selten auf Raub aus. Auf unserem Jagdausfluge nach den Bogosländern wurde er zweimal gesehen, jedesmal gegen Abend, jedoch ehe die Sonne niedergegangen war. Nachts dagegen streift er langsam und gemächlich umher und stellt kleinen Säugethieren, namentlich Mäusen, Springmäusen und dergleichen, oder Vögeln, Schildkröten, Schnecken und Würmern nach, gräbt sich Wurzeln oder Knollengewächse aus oder sucht Früchte. Eine Liebhaberei bestimmt seine ganze Lebensweise: er ist nämlich ein leidenschaftlicher Freund von Honig, und aus diesem Grunde der eifrigsten Bienenjäger einer.

[139] In Afrika bauen die Bienenarten hauptsächlich in die Erde und zwar in verlassenen Höhlen aller Art, wie es bei den Hummeln und Wespen ja auch der Fall ist. Solche Nester sind nun für den Honigdachs das erwünschteste, was er finden kann, und er macht sich, wenn er einen derartigen Schatz entdeckt hat, mit unverhehlter Freude darüber her. Die Bienen wehren sich zwar nach Kräften und suchen ihn mit ihrem Stachel bestmöglichst zu verwunden; sein dicht behaartes, sehr starkes Fell aber ist gegen Bienenstiche das vorzüglichste Schild, welches er gibt, weil es auf der Fettschicht unter ihm locker aufliegt wie kaum bei einem anderen Thiere. Man versichert, daß sich der Ratel förmlich in seinem Balge herumdrehen könne. Die Bienen sind vollkommen ohnmächtig solchem Feinde gegenüber, und dieser wühlt nun mit Lust in ihren Wohnungen umher und labt sich nach Behagen an dem köstlichen Inhalte derselben.


Honigdachs (Mellivora capensis). 1/6 natürl. Größe.
Honigdachs (Mellivora capensis). 1/6 natürl. Größe.

Sparmann berichtet über die Art und Weise der Jagden unserer Honigdachse ergötzliche Dinge, von denen weiter nichts zu bedauern ist, als daß sie bloß auf Erzählung der Hottentotten und holländischen Ansiedler gegründet und nicht wahr sind.

»Die Bienen«, sagt jener Reisende, »geben dem Honigdachse, wenn auch nicht die einzige, so doch die hauptsächlichste Nahrung, und ihr Feind ist mit großer Schlauheit begabt, die unterirdischen Nester aufzuspüren. Gegen Sonnenuntergang verläßt er seine Höhle, in welcher er den Tag verträumte, und schleicht umher, um seine Beute von fern zu beobachten, wie das der Löwe auch thut. Er setzt sich auf einen Hügel hin, schützt seine Augen durch eine vorgehaltene Vorderpfote vor den Strahlen der tiefstehenden Sonne und paßt sorgfältig den Bienen auf. Bemerkt er [140] nun, daß einige immer in derselben Richtung hinfliegen, so humpelt er denselben gemächlich nach, beobachtet sie, und wird so allmählich bis zu ihrem Neste geleitet, in welchem nun ein gegenseitiger Kampf auf Leben und Tod stattfindet. Es wird erzählt, daß der Ratel ebensowohl wie der Eingeborene Südafrikas zuweilen auf der Suche nach Honig von einem Vogel, dem Honigangeber, geleitet werde, welcher Klugheit genug besitzt, um zu wissen, daß Menschen und Thiere nach jenem Leckergerichte verlangen. Der kleine Bursche, unfähig, eine Bienenfestung durch eigene Macht zu erobern, sucht seinen Vortheil darin, aufgefundene Bienenstöcke anderen, stärkeren Wesen anzuzeigen, um dann bei der Räumung des Nestes mitzuschmausen. Zu diesem Zwecke erregt er durch sein Geschrei die Aufmerksamkeit der Honigliebhaber und fliegt in kurzen Absätzen gemächlich vor ihnen hin, von Zeit zu Zeit sich niederlassend, wenn der schwerleibige Bodenbewohner ihm nicht so schnell folgen kann, und dann von neuem seine Führerschaft aufnehmend. In der Nähe eines Bienennestes angekommen, läßt er seine Stimme um so freundlicher vernehmen und zeigt endlich geradezu auf den niedergelegten Schatz. Während dieser erhoben wird, bleibt er ruhig in der Nähe und wartet, bis der habgierige Mensch oder Ratel genug hat, um dann seinen Antheil für den geleisteten Dienst sich zu holen.

Bei solchen Angriffen auf einen wüthenden Schwarm von Bienen leistet dem Ratel die Dicke seines Felles vortreffliche Dienste, und es ist nicht bloß erwiesen, daß es den Bienen undurchdringlich ist, sondern auch wohl bekannt bei allen Jägern, daß Hunde nicht im Stande sind, das verhältnismäßig schwache, nichtssagende Thier zu bezwingen.«

Der Ratel stellt übrigens nicht bloß dem Honig nach, sondern liebt auch kräftigere Nahrung. Carmichael sagt, daß er von den Besitzern der Hühnerhöfe als eines der schädlichsten Thiere betrachtet werde. In der Algoabai zankten sich einmal die Bauern um das Eigenthum der Eier, welche die Hühner verlegt hatten. Der Ratel machte in einer Nacht diesem Streite ein Ende, indem er einfach allen Hühnern, gegen dreißig Stück, den Kragen abbiß und drei todte in seine Höhle schleppte.

Man versichert, daß der Honigdachs mit zwei oder drei Weibchen lebe und diese niemals aus den Augen lasse. Zur Rollzeit soll er wild und wüthend sein, selbst Menschen anfallen und mit seinen Bissen sie schwer verwunden. Uebrigens wehrt er sich seiner Haut, wenn er angegriffen wird. Es ist nicht rathsam, ihn lebend packen zu wollen; denn er weiß von seinem Gebisse einen ungemein empfindlichen Gebrauch zu machen. Ehe er zum Beißen kommt, sucht er sich zu retten, indem er, wo es der Boden erlaubt, durch unglaublich rasches Eingraben in die Erde sich versenkt oder aber seine Stinkdrüsen gegen den Feind entleert.

Von der Wirksamkeit dieser Drüsen habe ich mich selbst überzeugen können. Im Mensathale sah mein Freund und Jagdgenosse van Arkel d'Ablaing gegen Abend ein ihm unbekanntes dachsähnliches Thier, welches von dem einen Gehänge herabkam, dicht vor ihm das Thal überschritt und im Buschwalde der anderen Thalwand sich weiterbewegte. Er jagte dem »Dachs« beide Schüsse seines Schrotgewehres auf den Pelz und bekam dafür im nächsten Augenblicke einen furchtbaren Gestank zu riechen; das Thier selbst war aber, ungeachtet der Schuß es gut getroffen hatte, davongegangen. Die einbrechende Nacht verhinderte uns, nach ihm zu suchen; dafür durchstöberten wir jedoch am nächsten Morgen das Gebüsch. Hierbei brauchten wir bloß der Nase nachzugehen; denn der in der Nacht gefallene Regen hatte den Gestank wohl etwas gedämpft, aber keineswegs vernichtet. Er roch noch immer so abscheulich, daß nur unser Eifer die Suche uns erträglich machen konnte.

Man sagt, daß der Honigdachs bloß im höchsten Nothfalle sich seines Gebisses bediene. Wenn dies wahr ist, begreife ich ihn nicht; denn das Gebiß ist so kräftig, daß es jedem Jäger und jedem Hund Achtung einflößen und beide zur Vorsicht mahnen muß. Dagegen bin ich von der Lebenszähigkeit des Thieres vollkommen überzeugt. An den beiden Schüssen, welche mein Freund auf kaum zwanzig Schritte jenem Honigdachse zukommen ließ, hätte ein Löwe genug haben können; der Ratel aber war davongegangen, als wäre ihm nichts geschehen. Die Bauern des Kaplandes sollen [141] sich ein »Vergnügen« daraus machen, dem Ratel ihre Messer in verschiedene Theile seines Leibes zu stoßen, weil sie wissen, daß sie hierdurch noch keineswegs seinen raschen Tod herbeiführen. Bei getödteten, welche von Hunden gebissen worden waren, konnte man niemals im Felle ein Loch bemerken. Starke Schläge auf die Schnauze sollen ihn jedoch augenblicklich tödten.

Jung eingefangene Ratels werden zahm und ergötzen durch die Plumpheit ihrer Bewegungen. Weinland nennt die Ratels im Regents-Park in London »außerordentlich muntere Thiere, welche, wie manche besonders schlaue und thörichte Menschen, plötzlich ein ganz anderes Gebaren annehmen, wenn sie sich bemerkt glauben, außerdem aber die Zuschauer durch Purzelbäume zu unterhalten und zu fesseln wissen;« ich beobachtete an diesen und anderen Gefangenen, daß sie mit bewunderungswürdiger Regelmäßigkeit ihre höchst komischen Purzelbäume immer genau auf derselben Stelle ihres Käfigs machen, hundertmal nacheinander, falls sie die Laune anwandelt, ihren Käfig so oft zu durchmessen. Die beiden bekanntesten Arten sind im Regents-Park zusammengesperrt, vertragen sich vortrefflich und ergötzen sich gegenseitig durch ihren unverwüstlichen Humor. Ein Ratel, welchen ich pflegte, war viel langweiliger, unzweifelhaft nur deshalb, weil ihm Gesellschaft fehlte.

Im Ganzen läßt unsere Kenntnis des Honigdachses noch viel zu wünschen übrig; dies aber wird einleuchtend, wenn man an unseren deutschen Dachs denken will: ihn kennen wir auch noch nicht.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 139-142.
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