Fünfte Familie: Marder (Mustelidae)

[52] Reicher an Arten und Formen als die Gruppe der Schleichkatzen ist die Familie der Marder (Mustelidae). Es hält sehr schwer, eine allgemein gültige Beschreibung derselben zu geben; der Leibesbau, das Gebiß und die Fußbildung schwanken mehr als bei allen übrigen Fleischfressern, und man kann deshalb nur sagen, daß die Mitglieder der Abtheilung mittelgroße oder kleine Raubthiere sind, deren Leib sehr gestreckt ist und auf sehr niedrigen Beinen ruht, und deren Füße vier oder fünf Zehen tragen. In der Nähe des Afters finden sich ebenfalls Drüsen wie bei den meisten Schleichkatzen; niemals aber sondern sie einen wohlriechenden Stoff ab wie jene, vielmehr gehören gerade die ärgsten Stänker den Mardern an. Die Behaarung des Leibes ist gewöhnlich eine sehr reichliche und feine, und deshalb finden wir in unserer Familie die geschätztesten aller Pelzthiere.

Das Geripp zeichnet sich durch zierliche Formen aus. Elf oder zwölf rippentragende Wirbel umschließen die Brust, acht oder neun bilden den Lendentheil, drei, welche gewöhnlich verwachsen, das Kreuzbein und zwölf bis sechsundzwanzig den Schwanz. Das Schulterblatt ist breit, das Schlüsselbein fehlt regelmäßig. Im Gebisse sind die Eckzähne sehr entwickelt, lang, stark und häufig schneidend an der Kante, die Lückzähne scharf und spitz; der untere Fleischzahn ist zweizackig, der obere durch einen Zacken und einen Höcker ausgezeichnet. Die Krallen sind nicht zurückziehbar.

Die Marder traten zuerst, aber nur einzeln, in der Tertiärzeit auf. Gegenwärtig bewohnen sie alle Erdtheile mit Ausnahme von Australien, alle Klimate und Höhengürtel, die Ebenen wie die Gebirge. Ihre Aufenthaltsorte sind Wälder oder felsige Gegenden, aber auch freie, offene Felder, Gärten und die Wohnungen der Menschen. Die einen sind Erdthiere, die anderen bewohnen das Wasser; jene können gewöhnlich auch vortrefflich klettern, und alle verstehen zu schwimmen. Viele graben sich Löcher und Höhlen in die Erde oder benutzen bereits vorhandene Baue zu ihren Wohnungen; andere bemächtigen sich der Höhlen in Bäumen oder auch der Nester des Eichhorns und mancher Vögel: kurz man kann sagen, daß diese Familie fast alle Oertlichkeiten zu benutzen weiß, von der natürlichen Steinkluft an bis zur künstlichen Höhle, vom Schlupfwinkel in der Wohnung des Menschen bis zu dem Gezweige oder Gewurzel im einsamsten Walde. Die meisten haben einen festen Wohnsitz; viele schweifen aber auch umher, je nachdem das Bedürfnis sie hierzu antreibt. Einige, welche den Norden bewohnen, verfallen in Winterschlaf, die übrigen bleiben während des ganzen Jahres in Thätigkeit.

[52] Fast sämmtliche Marder sind in hohem Grade behende, gewandte, bewegliche Geschöpfe und in allen Leibesubüngen ungewöhnlich erfahren. Beim Gehen treten sie mit ganzer Sohle auf, beim Schwimmen gebrauchen sie ihre Pfoten und den Schwanz, beim Klettern wissen sie sich, trotz ihrer stumpfen Krallen, äußerst geschickt anzuklammern und im Gleichgewichte zu erhalten. Ihre Bewegungen stehen selbstverständlich mit ihrer Gestalt vollständig im Einklange. Zobel und Edelmarder z.B. bewegen sich beim Springen in kühn aufgerichteter Haltung, während der ihnen so nah verwandte Steinmarder sich schon viel geduckter hält und mehr schleicht, der Iltis fast nach Art einer Ratte, das Wiesel mäuseartig flink über den Boden huscht, der Fischotter langsam aalartig gleitet, der Vielfraß in Bogen rollend sich fortwälzt, die Tayra mit sprenkelkrummgebogenem Rücken sich fortschnellt, der Dachs bedächtig trabt, der Honigdachs noch lässiger fortgeht, ich möchte sagen »bummelt«. Je höher die Beine, um so kühner die Sätze, je niedriger, um so behender und rennender der Gang, beziehentlich um so fischähnlicher die Bewegung im Wasser. Unter den Sinnen der Marder scheinen Geruch, Gehör und Gesicht auf annähernd gleichhoher Stufe zu stehen; aber auch Geschmack und Gefühl dürfen als wohlentwickelt bezeichnet werden. Ebenso ausgezeichnet wie ihre Leibesbegabungen sind die geistigen Fähigkeiten. Der Verstand erreicht bei den meisten Arten eine hohe Ausbildung. Sie sind klug, listig, mißtrauisch und behutsam, äußerst muthig, blutdürstig und grausam, gegen ihre Jungen aber ungemein zärtlich. Die einen lieben die Geselligkeit, die anderen leben einzeln oder zeitweilig paarweise. Viele sind bei Tag und bei Nacht thätig; die meisten müssen jedoch als Nachtthiere angesehen werden. In bewohnten und belebten Gegenden gehen alle nur nach Sonnenuntergang auf Raub aus. Ihre Nahrung besteht vorzugsweise in Thieren, namentlich in kleinen Säugethieren, Vögeln, deren Eiern, Lurchen und Kerbthieren. Einzelne fressen Schnecken, Fische, Krebse und Muscheln; manche verschmähen nicht einmal das Aas, und andere nähren sich zeitweilig auch von Pflanzenstoffen. Auffallend groß ist der Blutdurst, welcher alle beseelt. Sie erwürgen, wenn sie können, weit mehr, als sie zu ihrer Nahrung brauchen, und manche Arten berauschen sich förmlich in dem Blute, welches sie ihren Opfern aussaugen.

Die Jungen, deren Anzahl erheblich, soviel man weiß, zwischen zwei und zehn, schwankt, kommen blind zur Welt und müssen lange gesäugt und gepflegt werden. Ihre Mutter bewacht sie sorgfältig und vertheidigt sie bei Gefahr mit großem Muthe oder schleppt sie, sobald sie sich nicht sicher fühlt, nach anderen Schlupfwinkeln. Eingefangene und sorgsam aufgezogene Junge erreichen einen hohen Grad von Zahmheit und können dahin gebracht werden, ihrem Herrn wie ein Hund nachzulaufen und für ihn zu jagen und zu fischen. Eine Art ist sogar gänzlich zum Hausthiere geworden und lebt seit unbestimmbaren Zeiten in der Gefangenschaft.

Wegen ihrer Raublust und ihres Blutdurstes fügen einige dem Menschen zuweilen nicht unbeträchtlichen Schaden zu; im allgemeinen überwiegt jedoch der Nutzen, welchen sie mittelbar oder unmittelbar bringen, den von ihnen angerichteten Schaden bei weitem. Aber leider wird diese Wahrheit nur von wenigen Menschen anerkannt und deshalb ein wahrer Vernichtungskrieg gegen unsere Thiere geführt, nicht selten zum empfindlichen Schaden des Menschen. Durch Wegfangen von schädlichen Thieren leisten sie nicht unerhebliche Dienste, und wenn man ihnen auch ihre Eingriffe in das Besitzthum des Menschen nicht verzeihen kann, muß man doch zugeben, daß sie in der Regel nur die Nachlässigkeit ihrer unfreiwilligen Brodherren zu bestrafen pflegen. Wer seinen Taubenschlag oder Hühnerstall schlecht verwahrt, hat Unrecht, dem Marder zu zürnen, welcher sich dies zu Nutze macht, und wer über die Verluste klagt, welche diese Raubthiere dem Haar- oder Federwildstande zufügt, mag bedenken, daß zum mindesten Iltis, Hermelin und Wiesel weit mehr schädliche Nager als Jagdthiere vertilgen. Unbedingt schädlich sind überhaupt nur diejenigen Marderarten, welche der Fischjagd obliegen: alle übrigen bringen auch Nutzen. Der Jäger mag die Thätigkeit des Baum- und Steinmarders verdammen: der Forstwirt wird sie nicht rückhaltlos verurtheilen können.

[53] Damit will ich nicht gesagt haben, daß eine eifrige und verständige Jagd auf unsere größeren Marderarten unberechtigt sei. Abgesehen von den mongolischen Marderjägern und einzelnen Gläubigen, welche, entsprechend den unfehlbaren Satzungen der Kirche, im Fischotterfleische eine fastengerechte Speise sehen, oder einigen Jägern, welche Dachswildpret für ein schmackhaftes Gericht erklären, ißt Niemand Marderfleisch; wohl aber verwerthet man das Fell fast aller Arten der Familie zu trefflichem Pelzwerke. Wie bedeutend die Anzahl der Marder ist, welche alljährlich ihres Felles halber getödtet werden, ergibt sich erst aus einer Zusammenstellung der nachweislichen Erträgnisse des Pelzhandels. Nach Lomer kommen alljährlich gegen dritthalb Millionen Felle verschiedener Marder im Werthe von zwanzig Millionen Mark in die Hände von Euröpaern und auf den Markt, diejenigen ungerechnet, welche von indianischen und asiatischen Jägern zu eigenem Gebrauche verwendet wer den. Indianische und mongolische Stämme leben fast ausschließlich von den Erträgnissen der Jagd auf Pelzthiere, unter denen die Marder anerkanntermaßen die erste Stelle einnehmen; Tausende von Europäern gewinnen durch den Pelzhandel ihren Unterhalt; unbekannte Gebiete sind durch Marder- und Zobeljäger unserer Kenntnis erschlossen worden. Solchem Gewinne gegenüber dürfen alle Verluste, welche wir durch die Marder insgemein zu erleiden haben, mindestens als erträgliche bezeichnet werden.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 52-54.
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