Lontra (Lutra brasiliensis)

[124] Zur Vervollständigung des Lebensbildes unseres Marders des Wassers will ich noch eine Art der Gruppe, die Lontra oder Ariranha (sprich Ariranje) der Brasilianer (Lutra brasiliensis, Lontra brasiliensis), mit den Worten des Prinzen von Wied und Hensels beschreiben. Nach Anschauung von Gray vertritt das Thier mit zwei anderen Verwandten eine besondere Untersippe (Lontra); die Unterschiede zwischen unserem und dem brasilianischen Fischotter sind jedoch höchst gering und beschränkten sich wesentlich auf die Bildung des Kopfes und Schwanzes: ersterer [124] scheint im Vergleiche zu dem unseres Fischotters mehr rund und nicht so platt gedrückt, letzterer beiderseitig scharfkantig oder von oben nach unten abgeplattet. Das Gebiß hat keine wesentlichen Eigenthümlichkeiten. Die Färbung des schönen kurzen Pelzes ist chokoladenbraun, unten etwas heller; der Unterkiefer sieht gelblich oder weiß aus, und der ganze Unterhals bis zur Brust zeigt längliche, oft sehr abwechselnde weißliche Flecken. Spielarten kommen ebenfalls vor. Verglichen mit unserem Fischotter erscheint die Ariranha als ein Riese: ihre Gesammtlänge beträgt 1,5 bis 1,7 Meter, wovon auf den Schwanz 55 bis 63 Centim. zu rechnen sind.

Die Ariranha bewohnt besonders die großen Flüsse der Tiefebene und hier am liebsten die ruhigen Seitenarme derselben, geht auch nicht hoch in das Gebirge hinauf. »In wenig besuchten Flüssen von Brasilien«, schildert der Prinz von Wied, »findet man diese Thiere in zahlreichen Banden. Selten haben wir den Belmonte, den Itabapuana, Ilheos und andere Flüsse beschifft, ohne durch die sonderbare Erscheinung solcher Gesellschaften von Fischottern unterhalten zu werden. Sie haben die Sitten unserer europäischen, sind aber vollständige Tagethiere, welche mit Beginn des Morgens auf ihr Tagewerk ausgehen, mit der Dunkelheit des Abends aber sich zur Ruhe begeben. Wenn eine solche Bande ankommt, hört man schon von fern laut pfeifende, an das Miauen der Katzen erinnernde Töne, von heftigem Schnauben und Schnarchen begleitet; das Wasser ist in Bewegung, und die äußerst gewandt schwimmenden Thiere kommen öfters mit dem Kopfe, ja mit dem halben Leibe über die Oberfläche empor, einen Fisch in dem Rachen tragend, als wollten sie ihre Beute zeigen. So steigen sie, gesellschaftlich fischend, die Ströme hinauf oder lassen sich von dem Wasser gemächlich hinabtreiben. Um die ihnen begegnenden Kanoes tauchen sie gaukelnd umher, obschon man sie gewöhnlich mit der Flinte begrüßt.«

»Wenn man«, ergänzt Hensel, »in einer leichten Canoa die stillen Sietenarme des Jacuhy oder seiner Zuflüsse besucht und, geschützt von dem Dunkel überhängender Aeste, geräuschlos dahingleitet, wird man leicht in einiger Entfernung von Zeit zu Zeit dunkle Punkte bemerken, welche, gewöhnlich zu mehreren vereinigt, den Fluß durchschwimmen. Sie verrathen sich dem Auge des Jägers schon von weitem durch Wellenzüge, welche in Form eines spitzen Winkels durch das Wasser ziehen und an deren Scheitelpunkte dem bewaffneten Auge den kaum hervorragenden Kopf der Ariranha erkennen lassen. Hat man endlich den Ort erreicht, so ist alles verschwunden, und lautlose Stille, höchstens unterbrochen von dem Schrei eines Eisvogels, lagert auf der dunklen Wasserfläche. Unerwartet ertönt ein zorniges Schnauben neben der Canoa, und rechts und links, vor und hinter uns erheben sich senkrecht die Köpfe der riesigen Thiere, um blitzschnell mit einem zweiten Schnauben wieder in die Tiefe zu tauchen. Vergebens ist die Gewandtheit des Jägers: ehe er das Gewehr am Backen hat, ist die vielbegehrte Beute verschwunden, um ebenso unerwartet an einer entgegengesetzten Seite wieder aufzutauchen; und gelingt auch einmal der Schuß, so verschwindet das verwundete Thier in dem unergründlich tiefen Wasser auf Nimmerwiedersehen.

Die Ariranha lebt trotz ihrer Seehundsnatur von allem, was sie bewältigen kann. Eine tödtete mir einst ein Beutelthier, welches sich im Tellereisen gefangen hatte, und fraß es zum Theil auf; eine andere fing in der Nähe eines Hauses in kurzer Zeit zwei Gänse, welche auf dem schmalen Flusse schwammen, und zwar indem sie sich der Beute unter Wasser näherte und diese am Bauche faßte. Groß ist ihre Abneigung gegen Hunde, und in Gegenden, in denen sie Menschen noch nicht fürchten gelernt hat, macht sie nicht selten, zu mehreren vereint, Angriffe auf die bei den Jägern in den Booten befindlichen Hunde. Einen sie im Wasser verfolgenden Hund bewältigt sie leicht.«

Wie der Prinz von Wied mittheilt, wandert auch die Ariranha über Land von einem Flusse zum anderen und fängt sich dann zuweilen in den Schlagfallen. Ihr Fell wird hier und da sehr geschätzt, in der Gegend von Pernambuco beispielsweise höher als ein Unzenfell, und man würde eifriger auf den Otter Jagd machen, wäre es so leicht, seiner habhaft zu werden.

»Aus einem Trupp von fünf Stücken«, fährt Hensel fort, »waren bereits vier derselben von mir und meinen Leuten aufgerieben worden, ehe es endlich gelang, des fünften habhaft zu werden. [125] Die Austrittsstellen dieses Otters sind, seiner Größe entsprechend, umfangreiche kahle Plätze unter dem dichten überhängenden Bambusrohre oder ebenso undurchdringliche Hecken. Man findet sie stets mit zahllosen Fischschuppen bedeckt, welche nicht bei dem Verzehren der Fische abfallen, sondern aus dem flüssigen Kothe der Ottern herrühren, in welchem sie unverdaut erhalten bleiben. An einer solchen Stelle hatte einst mein Diener ein Tellereisen ins Wasser, dicht unter dem Uferrande, gelegt. Als er nach einigen Stunden wieder hierherkam, um nach dem Eisen zu sehen, saß der Otter am Ufer und sonnte sich. Der Mann schoß mit der Kugel nach dem Thiere, welches sich auf den Schuß mit einem gewaltigen Satze in das Wasser stürzte, dabei aber glücklicherweise in das Eisen sprang. Obgleich der Otter, wie sich nachher heraus stellte, von der Kugel getroffen war, hatte er doch noch die Kraft, die starke Leine, mit welcher das Eisen befestigt war, zu zerreißen und mit diesem in der Tiefe zu verschwinden.


Seeotter (Enhydris lutris). 1/10 natürl. Größe. (Nach Wolf).
Seeotter (Enhydris lutris). 1/10 natürl. Größe. (Nach Wolf).

Ein glücklicher Zufall fügte es, daß das Eisen mit einem Theile der Leine in den zahlreichen, unter dem Wasser befindlichen Baumwurzeln sich verwickelte, so daß das gefangene Thier ertrank und sammt dem Eisen, wenn auch mit vieler Mühe, an das Tageslicht befördert werden konnte.«


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 124-126.
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