8. Sippe: Großohrfüchse (Megalotis)

[684] Allerliebste Füchschen bewohnen Afrika und die angrenzenden Theile Asiens. Zwerge der gesammten Hundefamilie und der Fuchssippschaft insbesondere, ungemein zierlich gebaut und mit fahlgelbem Fell bekleidet, unterscheiden sie sich von den Verwandten namentlich durch die großen Ohren, welche bei zwei von ihnen alles gewohnte Maß weit überschreiten, aber auch bei den übrigen Arten der Gruppe die Lauscher anderer Füchse merklich übertreffen. Man hat sie in einer besonderen Sippe vereinigt und Großohrfüchse (Megalotis) oder Feneks (Fenecus) genannt, obschon ihr Gebiß dem anderer Füchse gleichartig ist und demgemäß ihre Trennung von diesen angefochten werden kann. Eine wohlbegrenzte, leicht kenntliche Untersippe bilden sie jedenfalls.

Alle Großohrfüchse geben sich als treue Kinder ihrer Heimat kund. Wer auch nur oberflächlich mit den Erzeugnissen des Landes bekannt ist, welches sie beherbergt, muß sie augenblicklich als Wüsten- oder Steppenthiere erkennen und wird sogar im Stande sein, ohne von ihrem Aufenthalte etwas zu wissen, sie sofort unter den übrigen Wüsten- oder Steppenthieren einzureihen. Ich habe schon einmal erwähnt, daß alle Thiere, welche die Wüste hervorbrachte, eigenthümlich gestaltet und gezeichnet sind. Die große Allmutter gibt den Geschöpfen, welche sie in ihrem Schoße hegt, das entsprechendste Gewand: alle Wüstenthiere zeichnen sich vor den übrigen nicht bloß durch das Kleid, sondern noch mehr durch den leichten und schönen Leibesbau aus. Das Kleid hat unter allen Umständen mehr oder weniger die Färbung des Sandes; denn alle Abweichungen von dem Sandgelb, welche vorkommen, sind unwesentlich. Der Leib ist verhältnismäßig klein, dabei aber äußerst zierlich und leicht gebaut, und gleichwohl zu den schnellsten Bewegungen und zu überraschender Ausdauer befähigt. Dazu besitzen sämmtliche Wüstenthiere eine Schärfe der Sinne, wie sie in solcher Einhelligkeit nur bei wenig anderen Geschöpfen gefunden wird; und allen endlich wohnt ein frischer, fröhlicher Geist inne, eine Liebe zur Freiheit, ein Hang zur Unabhängigkeit und ein Selbstbewußtsein ohne Gleichen. Nicht bloß der gelbbraune Beduine ist frei, leiblich wie geistig, auch die höheren Thiere seiner Heimat sind es; auch sie leben und athmen bloß, wenn sie ihre Wüste um sich haben. In der Färbung kommen Abweichungen, Veränderungen vor: in dem geistigen Wesen gleichen oder ähneln sich alle Wüstenthiere.

Die Wüste ist zu arm an Nahrung, als daß sie große Thiere ernähren könnte; es finden sich deshalb in ihr nur verhältnismäßig kleine, zierliche Geschöpfe, deren geringe Körpergröße wenig Nahrung bedarf. Und auch diese spärliche Nahrung kann nicht so ohne Beschwerde errungen werden: deshalb verlieh die Wüste ihren Kindern die nöthige Behendigkeit und Ausdauer, schärfte sie ihnen die Sinne, um auch das wenige wahrzunehmen, was sie ihnen bieten konnte. Große Lauscher setzen unsere Füchse oder alle Wüstenthiere überhaupt in den Stand, auch das geringste Geräusch zu vernehmen, scharfe Seher gestatten ihnen einen weiten Ueberblick, die feine Nase bringt jeden Geruch zum Bewußtsein. Ihr dem Erdboden gleichgefärbter Balg verbirgt sie selbst auf ganz kahlen Stellen den Blicken in überraschender Weise. So erscheinen sie alle wohlbefähigt, in [684] ihrer Heimat zu leben und glücklich zu sein. Auch unsere kleinen Räuber sind ganz vortrefflich ausgerüstet, in diesem Gebiete als Jäger aufzutreten. Sie machen immer noch genug Beute, um sich ohne große Sorge ernähren zu können. Von einem der zu unserer Gruppe zählenden südafrikanischen Füchschen, den Kama (Canis Caama), erzählt man, daß er sich selbst an Straußeneier mache und wirklich fähig wäre, ein ganzes Ei des Riesenvogels auf eine Mahlzeit zu fressen. Diese Behauptung aber beruht wohl bloß auf den Anschauungen der Kaffern über die Eßfähigkeit eines Geschöpfes, soweit solche durch die eigenen Erfahrungen begründet sind; denn bekanntlich ist ein einziges Straußenei hinreichend, um vier Menschen zu sättigen, und also unmöglich, anzunehmen, daß ein Füchslein, welches kaum halb so groß ist als unser Reineke, eine größere Eßlust zeigen sollte als vier Menschen zusammengenommen. Das kleine Thierchen ist nicht im Stande, ein so großes Ei fortzuschleppen, aber es weiß sich doch zu helfen: es rollt nämlich, so sagt man, das Ei einfach vom Neste aus bis zu seinem Baue hin und öffnet es hier in einer ebenso einfachen als gescheiten Weise. Für sein schwaches Gebiß ist die harte Schale viel zu stark; sie erlaubt den scharfen Zähnen wegen der Glätte und des großen Durchmessers des Eies nicht einmal eine ordentliche Ansatzfläche. So muß der Kama auf andere Mittel denken, um sie zu zerschellen. Im Baue angekommen, rollt er das Ei über einige Steine hinab, bis es zerbricht, und ist dann geschwind bei der Hand, um den herausfließenden Inhalt aufzulecken.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DCLXXXIV684-DCLXXXV685.
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