Schäferhund (Canis familiaris pecuarius)

[645] Von allen diesen Hunden verdient der eigentliche Schäferhund (Canis familiaris pecuarius) besonders erwähnt zu werden. Er zeichnet sich vor anderen Haushunden dadurch aus, daß nur die Spitzen seiner Ohren überhängen, ist auch in der Regel schlank gebaut, dürrleibig, hochbeinig und sehnig wie ein Wolf, dem er an Größe freilich bedeutend nachsteht. Der längliche Kopf mit der spitzigen Schnauze, die mageren, geraden Beine, die mittellange Ruthe, welche etwas eingezogen zu werden pflegt, das dichte, krause, manchmal zottige Fell von graubräunlicher Färbung sind anderweitige Kennzeichen, welche zur Vervollständigung des Bildes dienen mögen.

»Wenn irgend eine Hunderasse«, sagt Adolf Müller treffend und wahr, »ein Verdienst um die Menschheit sich erworben, also ein Anrecht auf das Gefühl der Anerkennung und Liebe hat, so ist es der kluge, treue, wachsame und nimmermüde Schäferhund, der Hund, von welchem Buffon nicht mit Unrecht das beredte Wort gesprochen, daß er der wahre, unverfälschte Hund sei, welcher als der Stamm und das Muster des ganzen Geschlechts betrachtet werden muß.

Jede Hunderasse verliert bei aller Beharrlichkeit ihrer Natur unter verschiedenen Himmelsstrichen mehr oder weniger von ihrer körperlichen und geistigen Charakteristik: der treue Leiter und Beschützer der Herden ist sich überall in den bedeutendsten Zügen seines Leibes und Geistes gleichgeblieben. So viel auch Laune und Unkenntnis durch unpassende Kreuzung am Aeußeren und Inneren des Thieres verändert und verschlechtert haben mögen, immer und immer kehrt seine zähe, kräftige Natur zu ihrer urwüchsigen, sprechenden Wesenheit zurück.


Schäferhund (Canis familiaris pecuarius). 1/10 natürl. Größe.
Schäferhund (Canis familiaris pecuarius). 1/10 natürl. Größe.

Wie der Spitz stellt der Schäferhund die Wachsamkeit gleichsam über sich selber. Den leisesten Tritt eines den Feldweg Wandernden vernimmt sein feines Gehör; der geringste Luftzug bringt der scharfen Nase die Witterung des der Herde sich Nahenden, und ebenso entschieden als sicher ist die Fremdes ankün [645] digende Stimme. Zu dieser Wachsamkeit gesellt sich auf der Grundlage einer rauhen, derben Natur ernster Muth, welcher das Thier aber niemals auf die Abwege des Raufboldes führt. Auch die Tugend der Genügsamkeit besitzt unser Hund in hohem Grade, und die Unempfindlichkeit gegen Nässe, Kälte und Hitze theilt er mit seinem Gebieter. Immer beweist er sich verständig, aufmerksam und im Hüteramte von morgens bis abends unverdrossen thätig. Dabei ist er ernsten, ruhigen Wesens, karg im Lautgeben und Bellen, treu und voll Anhänglichkeit an seinen Herrn.« Ohne ihn würde es unmöglich sein, Vieh zu hüten; ein Schäfer richtet mit ihm mehr aus als zwanzig Hirten ohne Hund.

Man verwendet den Schäferhund gewöhnlich schon im ersten Jahre seines Alters als Wächter der Herden. Mit der Zeit lernt er seinen Wirkungskreis vollständig ausfüllen. Es ist keineswegs gleichgültig, welches Vieh er zu hüten hat; denn er muß nach den verschiedenen Hausthieren sein Betragen einrichten. Der Hund des Kuhhirten muß stets seinen Herrn beobachten und aufmerken, was dieser befiehlt. Rinder, welche nicht sogleich gehorchen, muß er wirklich beißen; denn sonst haben sie keine Furcht vor ihm. Treibt er die Kuh vor sich her, so darf er ihr nur nach den Hinterbeinen beißen, nie nach dem Schwanze oder an die Seiten, am allerwenigsten nach dem Euter. Schlägt eine Kuh nach ihm aus, so muß er sich gut in Acht nehmen, aber dennoch beißen; widersetzt sich ein Ochse oder eine Kuh geradezu mit den Hörnern, so trägt er, wenn er seinem Amte gewachsen ist, dennoch den Sieg davon, indem er das Thier in die Schnauze beißt und sich daran festhängt. Die spanischen Hirten benutzen während des Hütens auch noch die Schleuder und wissen sie mit [646] unfehlbarer Sicherheit zu gebrauchen. Ein Ochse, welcher einigemal durch einen ihm an den Kopf geworfenen Stein vom Hirten gestraft worden ist, darf sich vor dem Hunde in Acht nehmen; denn dieser merkt sich den störrischen sehr bald und erlaubt ihm schon nach kurzer Zeit bloß die allerbeschränktesten Bewegungen innerhalb eines gewissen Kreises. Starke Hammel muß der Schäferhund auch beißen, jedoch bloß in die Hinterbeine; Lämmer, trächtige oder säugende Schafe aber darf er niemals beißen, sondern er muß dann bloß so thun, als ob er beißen wollte.

Wie bei jedem Hunde erkennt man in ihm das Spiegelbild seines Herrn. Der Hirtenhund Spaniens ist ebenso wüthend, der Schäferhund Deutschlands ebenso gutmüthig wie sein Herr. Ist dieser ein Wilddieb: sein Hund thut es bald dem tüchtigsten Jagdhunde gleich; bestrebt sich jener, sein kärgliches Brod durch Sammeln von Schwämmen und dergleichen zu verbessern: der Hund hilft sie ihm suchen; muß der Gebieter zwei- und vierbeinigen Räubern entgegentreten: der Hund übernimmt den Löwenantheil an entstehenden Kämpfen; lebt der Schäfer friedliche Tage: ein sanfteres Wesen gibt es nicht, als seinen Hund. Beide gleichen, beide unterhalten sich. Es gibt Schäferhunde, welche wirklich jedes Wort ihres Herrn verstehen. Ein glaubenswürdiger Beobachter erzählte mir, daß er selbst gehört habe, wie ein Schäfer seinem Hunde befahl, den »Raps« besonders in Acht zu nehmen. Das Thier stutzte einen Augenblick, wahrscheinlich, weil er das Wort früher noch nicht gehört hatte. Weizen und Roggen, Gerste und Hafer, Wiese und Feld waren ihm bekannte Dinge, vom Raps jedoch wußte er noch nichts. Nach kurzer Ueberlegung machte er die Runde um die Herde, untersuchte die einzelnen Felder und blieb endlich bei demjenigen stehen, dessen Frucht sich von den ihm bekannten Getreidearten unterschied: das mußte das Rapsfeld sein, und dem war auch wirklich so!

Solche Erzählungen beruhen nicht auf Einbildung, sondern sind buchstäblich wahr: man braucht nur einen Schäferhund zu beobachten, um sie zu glauben. »Wie erwacht in mir«, erzählt Müller, »immer aufs neue die Erinnerung so mancher glänzenden That der Wachsamkeit, Ueberlegung und Charakterstärke, wenn ich des besten Vertreters der Rasse, den ich je gekannt, gedenke, wie er beim Eintreiben der Herde in die Stoppelfelder ohne jegliches Geheiß sich vor die hin und wieder noch stehen gebliebenen Fruchthaufen stellte, ernst und würdig im Bewußtsein seines Amtes, und die ganze Herde vorüberwandeln ließ. Mit derselben umsichtigen Ruhe beschützte er lautlos die Gemüseäcker, an denen seine Herde vorüberzog. Man sah den Schafen an, daß sie wohl inne waren, welcher Meister des Hütens ihre Flanken bewachte. Da war kein starrköpfiges Schaf, welches aus der Reihe sprang, selten ein Leckermaul, welches über die Grenze wegnaschte, aber auch kein Thier der Herde, alt wie jung, welches vor dem lockigen Gesellen zurückschreckte oder gar angstvoll in Flucht gerieth. Ruhig und stetig, wie an einer Schnur geleitet, zog die Herde durch die Flur dahin, und wenn sie an einem Hag oder an einer Hute stille hielt und lagerte, umstanden Gruppen von Schafen den Hund, wie ein zu ihnen gehöriges Glied der Herde.«

Gewiß, ein wohlerzogener Schäferhund ist eines der edelsten Glieder seiner Sippschaft!

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DCXLV645-DCXLVII647.
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