Schwalbenstelze (Enicurus Leschenaulti)

[239] Durch Bernsteins Forschungen sind wir mit der Lebensweise einer der ausgezeichnetsten Arten bekannt geworden. Die Schwalbenstelze, »Meninting« der Malaien (Enicurus Leschenaulti und coronatus, Motacilla speciosa), ist auf der Oberseite und den Flügeln, am Vorderhalse und auf der Brust tief sammetschwarz, auf dem Scheitel, woselbst die Federn hollenartig sich verlängern, an der Wurzel der Armschwingen und deren Deckfedern, welche eine breite, im ganzen halbmondförmige Rückenquerbinde bilden, sowie auf dem Unterrücken und dem Unterleibe weiß; die Schwingen sind schwärzlich, die Schwanzfedern, mit Ausnahme der beiden seitlichen reinweißen, schwarz, mit breiter weißer Spitze. Der Schnabel ist schwarz, der Fuß gelb. Die Länge, beträgt sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Centimeter.


Schwalbenstelze (Enicurus Leschenaulti). 2/3 natürl. Größe.
Schwalbenstelze (Enicurus Leschenaulti). 2/3 natürl. Größe.


[239] »Dieser Vogel«, sagt Bernstein, »ist ausschließlich in den an Quellen und Bächen reichen Gebirgen Javas zu Hause und in den Vorbergen nirgends selten, seine eigentliche Heimat ein Gürtel von fünf- bis zwölfhundert Meter unbedingter Höhe. Hier wird man ihn beinahe an jedem Bache antreffen. Vom Wasser entfernt er sich nie weit, verirrt sich aber, indem er dem Laufe der Bäche aufwärts folgt, nicht selten tief in die Urwälder, so daß man alsdann verwundert ist, ihm an Orten zu begegnen, wo man ihn niemals erwartet hätte. Einmal, aber später nie wieder, traf ich ihn an einer Quelle auf dem dreitausend Meter hohen Pangerango.

In seiner Liebe zum Wasser ähnelt unser Vogel der Gebirgsstelze, während die Färbung seines Gefieders den Europäer auf Java an seine heimatliche Bachstelze erinnert. Er trägt im Laufen den Schwanz wagerecht; bei Erregung aber oder beim Anblick eines verdächtigen Gegenstandes richtet er die weißen Scheitelfedern auf und hebt und senkt den Schwanz in eigenthümlicher Weise. Während des Aufhebens, welches mit einem schnellen Rucke geschieht, sind die Schwanzfedern zusammengelegt; sobald der Vogel den Schwanz aber erhoben hat, breitet er ihn fächerförmig aus und senkt ihn langsam wieder, worauf er ihn alsbald von neuem aufschnellt. [240] Seine Lockstimme klingt bachstelzenähnlich ›Ziwitt ziwitt‹, in Angst und Noth dagegen oder auch wenn er entzückt ist, läßt er ein rauhes ›Rhäät‹ hören. Er ist ein lieber, harmloser Vogel, welcher den Menschen oft bis auf wenige Schritte an sich herankommen läßt und dann entweder eiligst eine Strecke geradeaus läuft oder in bachstelzenähnlichem Fluge ein Stückchen wegfliegt. Seine Nahrung besteht in Kerbthieren und Würmern, welche er, an den Ufern der Bäche hinlaufend, zwischen den Steinen, Pflanzen usw. sucht, ja, nicht selten bis ins Wasser hinein verfolgt.

Das Nest steht ohne Ausnahme auf dem Boden, entweder in unmittelbarer Nähe des Wassers oder doch in nur sehr geringer Entfernung von demselben, ist aber auch dann, wenn man durch den Vogel selbst auf die Nähe desselben aufmerksam gemacht wurde, nicht leicht zu finden. Womöglich, wird eine natürliche Vertiefung zur Anlage benutzt, und so findet man es entweder in einer Spalte, zwischen Moos, hinter Grasschollen oder einem Steine, unter einem umgefallenen Baume, immer gut versteckt. Findet der Vogel solch eine natürliche Vertiefung des Erdbodens, so füllt er sie zunächst mit trockenem Moose soweit aus, daß dadurch ein halbkugelförmiger Napf entsteht, dessen Grund er alsdann mit trockenen Blättern ausfüttert. Hierzu gebraucht er mit besonderer Vorliebe solche, welche durch die Feuchtigkeit so weit mürbe gemacht worden sind, daß nur noch das weiche Gerippe der Blattnerven übrig geblieben ist. Solche trockene Blätter sind weich und biegsam und bilden mithin eine zweckmäßige Unterlage für die Eier. Letztere, von denen ich nie mehr als zwei in einem Neste fand, sind länglich gestaltet, am stumpfen Ende kurz abgerundet, am entgegengesetzten spitz zulaufend. Ihre Grundfarbe ist ein unreines, mattes, ins Gelbliche oder Grünliche spielendes Weiß; die Zeichnung besteht aus zahlreichen kleinen, bald mehr ins Gelbe, bald mehr ins Rothe ziehenden lichtbraunen Flecken, deren Ränder nicht scharf von der Grundfarbe abgegrenzt sind, sondern in dieselbe übergehen, so daß sie wie verbleicht oder verwaschen aussehen. Gegen das stumpfe Ende hin bilden sie einen Kranz. Die Alten sind um ihre Brut sehr besorgt und verrathen sie dem Menschen durch ein langgedehntes, sanft flötendes ›Wüühd‹, dem, wenn man dem Neste sehr nahe gekommen ist, noch ein hastig ausgestoßenes ›Kä‹ angehängt wird.«


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 239-241.
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