Sechste Ordnung: Die Sperlingsvögel[113] (Passerinae)

Mehr als die Hälfte aller Vögel wird, bis jetzt noch ziemlich allgemein, in einer einzigen Ordnung vereinigt. Verschiedene Versuche, die letztere, welcher man ungefähr fünftausendsiebenhundert Arten zuweist, in mehrere gleichwerthige Gruppen aufzulösen, sind gescheitert. Das sogenannte natürliche System erweist sich auch in diesem Falle wiederum als ein künstliches, um nicht zu sagen gekünsteltes, eben nur als der Ausdruck unserer derzeitigen Kenntnis.

Bei der erheblichen Artenzahl und Vielgestaltigkeit der Sperlingsvögel ist es schwierig, allgemeine Merkmale aufzustellen. Die Größe der gedachter Ordnung zugewiesenen Vögel schwankt in viel bedeutenderen Grenzen, als dies in irgend einer anderen der Fall, zwischen der des Kolkraben und der des Goldhähnchens nämlich; Schnabel und Fuß, Flügel und Schwanz, Beschaffenheit und Färbung des Gefieders bieten nicht minder erhebliche Unterschiede dar. Dem Schnabel der verschiedenen Sperlingsvögel darf wohl nur das eine als gemeinsames Merkmal zugesprochen werden, daß er mittellang ist und einer Wachshaut entbehrt, den Beinen dagegen, daß das Schienbein bis zur Ferse herab befiedert, der Lauf vorn stets mit größeren, in den meisten Fällen mit sieben Tafeln bekleidet, der Fuß zierlich gebaut und die innere Zehe, welche die zweite an Stärke und Länge gewöhnlich übertrifft, nach hinten gerichtet ist. Als wichtigstes Merkmal gilt, daß bei den meisten, jedoch keineswegs bei allen Sperlingsvögeln der untere Kehlkopf besondere Entwickelung erlangt hat, indem derselbe von zwei bis fünf, auf die Vorder- und Hinterfläche vertheilten Muskelpaaren bewegt wird.

Die Außenfedern, deren Anzahl verhältnismäßig gering zu sein pflegt, zeichnen sich durch den kleinen dunigen Afterschaft aus und stehen, sehr übereinstimmend, in gewissen Fluren, unter denen namentlich die Rücken- und Unterflur übereinstimmendes Gepräge zeigt. Erstere bildet, laut Carus, stets einen bandförmigen Streifen, welcher an den Schultern nicht unterbrochen wird sondern hinter demselben zu einem verschoben viereckigen oder eirunden Bündel sich verbreitert und hier zuweilen ein spalt- oder eiförmiges Feld ohne Federn in sich einschließt. Von der verbreiterten Stelle geht in manchen Fällen jederseits eine Reihe einzelner Federn zu der Schwanzflur. Die Unterflur theilt sich vor der Halsmitte in zwei auseinanderlaufende, zuweilen einen äußeren, stärkeren Ast abgebende Züge, welche bis vor den After reichen. Am Handtheile des Fittigs stehen regelmäßig zehn oder neun Schwingen; im letzteren Falle fehlt die erste, welche sonst schon zu einem kleinen Stummel verkümmert zu sein pflegt. Die Anzahl der Armschwingen schwankt zwischen neun und vierzehn; erstere Zahl ist die regelmäßige. Die Armdecken sind gewöhnlich kurz und lassen meist die Hälfte der Schwingen unbedeckt. Auch findet sich nur eine einfache Reihe [113] größerer Deckfedern, an welche die kleinen am Buge und am Rande der Flughaut sitzenden Federn stoßen. Der Schwanz besteht aus zwölf, ausnahmsweise aber zehn Steuerfedern. Dunen zwischen den Außenfedern kommen selten und, wenn überhaupt, nur spärlich vor.

Das Knochengerüst läßt namentlich im Schädel erhebliche Verschiedenheiten erkennen; doch bekundet der letztere in der gleichen Entwickelung des Pflugscharbeines, der Gaumenfortsätze der Oberkiefer und der Gaumenbeine viel übereinstimmendes. Ersteres ist vorn eingeschnitten, hinten tief gespalten, so daß es die Keilbeinspitzen umfaßt; die Gaumenfortsätze des Oberkiefers sind dünn, lang, zuweilen breiter, biegen sich nach innen und hinten über die Gaumenbeine und enden unter dem Pflugscharbeine mit verbreiterten, muschelartig ausgehöhlten Enden, welche jedoch bei einzelnen Familien fehlen, die Gaumenbeine endlich meist breit und hinten flach. Bezeichnend für alle Sperlingsvögel ist, nach Nitzsch, eine besondere knöcherne Röhre, welche die Luft aus der Paukenhöh le in die Lufträume des Unterkiefers führt. Die Wirbelsäule besteht aus zehn bis vierzehn Hals-, sechs bis acht Rücken-, sechs bis dreizehn Kreuzbein- und sechs bis acht Schwanzwirbeln. Der Kamm des Brustbeines ist am Vorderrande ausgeschweift und der Hinterrand fast immer ausgeschnitten. Am Vorderende des Schlüsselbeines befindet sich ein stark entwickelter Anhang in Form eines zusammengedrückten Kegels. Der Vorderarm ist etwas länger als der Oberarm, aber ebensowenig wie die Hand auffallend verlängert. Die Beine zeigen regelmäßige Bildung. Die Zunge, deren horniger Ueberzug am Rande und an der Spitze oft gezahnt oder zerfasert sein kann, entspricht in Form und Größe dem Schnabel. Die Speiseröhre erweitert sich nicht zum Kropfe; der Magen ist fleischig; Gallenblase und Blinddarm sind stets vorhanden.

Entsprechend ihrer außerordentlichen Anzahl ist die Verbreitung der Sperlingsvögel. Sie sind Weltbürger und bilden den wesentlichsten Theil der gefiederten Einwohnerschaft aller Gürtel der Breite oder Höhe, aller Gegenden, aller Oertlichkeiten. Sie bewohnen jedes Land, jeden Gau, die eisigen Felder des Hochgebirges oder Nordens wie die glühenden Niederungen der Wendekreisländer, die Höhe wie die Tiefe, den Wald wie das Feld, das Rohrdickicht der Sümpfe wie die pflanzenlose Steppe, die menschenwogende Weltstadt wie die Einöde; sie fehlen nirgends, wo ihnen irgend eine Möglichkeit zum Leben geboten ist: sie finden noch auf öden Felseninseln mitten im Eismeere Aufenthalt und Nahrung. Nur eine einzige Ordnung der Vögel, die der Raubvögel, beherrscht ein annähernd gleich ausgedehntes und verschiedenes Gebiet; die Sperlingsvögel aber sind ungleich zahlreicher an Arten und Einzelwesen als jene und schon deshalb verbreiteter. Bloß einem einzigen Erdtheile fehlen sie, dem sechsten nämlich, dem Festlande an dem Südpole, weil dieses ihnen, den sonst so genügsamen, das zum Leben nöthige nicht zu bieten vermag. Auch das Meer stößt sie zurück; sie sind Kinder des Landes. Soweit der Pflanzenwuchs reicht, dehnt sich ihr Wohngebiet. In den Wäldern treten sie häufiger auf als in waldlosen Gegenden, unter den Wendekreisen in zahlreicherer Menge als im gemäßigten oder kalten Gürtel; doch gilt auch dies für die Gesammtheit nur bedingungsweise. Viele Arten leben fast oder ausschließlich auf dem Boden, und weitaus die meisten sind demselben mindestens nicht fremd. Die Nähe des Menschen meiden die wenigsten unter ihnen; viele bitten sich vielmehr bei dem Gebieter der Erde zu Gaste, indem sie vertrauensvoll sein Haus und sein Gehöft, seinen Obst- oder Ziergarten besuchen, und kein einziger von ihnen würde die Nachbarschaft der Wohnungen scheuen, träte der Mensch ihnen nicht feindlich gegenüber, sei es auch nur insofern, als er ihnen zusagende Wohnsitze seinen Zwecken gemäß umgestaltet.

Wer die Sperlingsvögel insgemein zu den hochbegabten Gliedern ihrer Klasse zählt, gewährt ihnen nicht mehr als Recht. Nicht wenige Vogelkundige sehen, dem Vorgange von Cabanis folgend, die Nachtigall als den vollkommensten aller Vögel an, und Owen hat einmal behauptet, daß dem Raben dieselbe Auszeichnung zu theil werden dürfte. Gegen das eine wie gegen das andere läßt sich wenig einwenden. Die Begabung der Sperlingsvögel ist in der That außerordentlich, ihre geistige Befähigung nicht minder groß als ihre leibliche. Fast ausnahmslos gewandt in Leibesübungen [114] aller Art, beherrschen sie so ziemlich jedes Gebiet. Nicht alle sind ausgezeichnete Flieger; einzelne von ihnen aber wetteifern in dieser Beziehung mit jedem anderen Vogel, und die große Mehrzahl übertrifft noch immer alle Mitglieder ganzer Ordnungen. Auf dem Boden bewegen sich mindestens die meisten leicht und geschickt, die einen schreitend, die anderen hüpfend, wenige nur trippelnd; dichtes Gezweige durchschlüpfen viele mit der Hurtigkeit einer Maus; am Stamme wie auf den Aesten und Zweigen klettern die einen, turnen die anderen, treiben einige Gauklerkünste mancherlei Art. Das Wasser scheuen zwar die meisten; einige aber bemeistern es in einer Weise, welche kaum ihresgleichen hat: denn sie laufen jagend auf dem Grunde dahin, oder durchfliegenden donnernd und schäumend zur Tiefe stürzenden Fall. Alle Sinne sind wohl entwickelt. Obenan steht vielleicht ausnahmslos das Gesicht, nächstdem scheinen Gehör und Gefühl besonders ausgebildet zu sein. Geschmack ist zwar nicht in Abrede zu stellen, schwerlich aber von besonderer Bedeutung, und Geruch endlich wohl nur bei einzelnen einigermaßen scharf, so daß wir die beiden vermittelnden Sinne kaum mit Unrecht als verkümmert ansehen. Dem großen Gehirne entspricht der scharfe Verstand, das tiefe Gemüth, die Lebendigkeit des Wesens, welche Eigenschaften der großen Mehrzahl aller Sperlingsvögel zugesprochen werden müssen. Wer sie kennt, wird sie gewiß nicht geistesarm schelten, er müßte denn die Beweise des Gegentheils, welche sie tagtäglich geben, nicht gelten lassen wollen. Die meisten von ihnen sind allerdings gutmüthige und vertrauensselige Vogel, welche falsche Beurtheilung wohl möglich erscheinen lassen; alle aber bekunden bei entsprechender Gelegenheit volles Verständnis für maßgebende Verhältnisse. Sie lernen ihre Feinde kennen und würdigen, Gefahren ausweichen, wie sie mit ihren Freunden innigen Umgang pflegen und deren Wirtlichkeit wohl beherzigen: sie ändern also ihr Betragen je nach den Umständen, je nach Zeit und Oertlichkeit, je nach den Menschen, mit denen sie verkehren, nach Verhältnissen, Ereignissen, Begebenheiten. Sie sind groß in ihren Eigenschaften und Leidenschaften, gesellig, friedfertig und zärtlich, aber auch wiederum ungesellig, streitlustig, dem sonst so geliebten Wesen gegenüber gleichgültig; sie sind feurig in der Zeit ihrer Liebe, daher auch eifersüchtig, eigenwillig und ehrgeizig; sie kämpfen, wenn es gilt, mit Klaue und Schnabel wie mit der singfertigen Kehle, im Fluge wie im Sitzen, mit denselben Artgenossen, in deren Vereine sie friedlich sich bewegen, denen sie die größte Anhänglichkeit widmen, um derentwillen sie sich vielleicht dem Verderben preis geben. So lebendiges Gefühl ist ihnen eigen, daß es nicht selten ihren Verstand übermeistert, einzelne vollständig überwältigt, ihnen alle Besinnung und selbst das Leben raubt. Niemand wird dies in Abrede stellen können; denn jeder, welcher beobachtete, hat Erfahrungen gesammelt, welche es beweisen: sei es, daß er wahrnahm, wie ein Sperlingsvogel einem hülfsbedürftigen, schwachen und kranken Barmherzigkeitsdienste übte; sei es, daß er bemerkte, wie gezähmte Käfigvögel aus dieser ganzen Ordnung ihrem Pfleger und Gebieter alle Liebe bethätigten, deren sie fähig sind, wie sie trauernd schwiegen, wenn derselbe abwesend war, wie sie freudig ihn begrüßten, sobald sie ihn wieder sahen; sei es endlich, daß er mit Verständnis einem der herrlichen Lieder lauschte, durch welche gerade diese Vögel uns zu bezaubern wissen. Ein vortreffliches Gedächtnis, welches den meisten zugesprochen werden darf, trägt wesentlich dazu bei, ihren Geist auszubilden und zu vervollkommnen. Daß so lebendigen und leidenschaftlichen Thieren fast ununterbrochene Regsamkeit zur Nothwendigkeit wird, ist begreiflich. Träumerischer Unthätigkeit entschieden abhold, bewegen sie sich, wirken und handeln sie ohne Unterlaß vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Jede Begabung wird erprobt, jede Befähigung geübt. Nur so lange sie schlafen, sind sie thatsächlich unthätig; wachend beschäftigen sie sich gewiß in irgend einer Weise, und wäre es auch nur, daß sie sich das Gefieder putzen. Ein großer Theil des Tages wird der Ernährung, ein kaum geringerer der uns am meisten anmuthenden Beschäftigung, dem Singen, gewidmet. Weitaus die große Mehrzahl besitzt in hohem Grade die Fähigkeit zu singen. Hinsichtlich einzelner Papageien läßt uns besonderes Wohlwollen wohl auch von Gesang reden, während es sich, streng genommen, nur um liebenswürdige Stümperei handelt; die Sperlingsvögel dagegen vereinigen in ihrer Ordnung [115] alle wirklichen Sänger, die wahren Meister der edlen Kunst, und wissen Kenner ihres Gesanges ebenso gut zu begeistern wie geschulte Menschensänger ihre Zuhörer. Alle, welche wirklich singen, thun dies mit Begeisterung und Ausdauer, und alle singen nicht bloß ihrem Weibchen, oder, wenn sie gefangen sind, ihren Pflegern, sondern auch sich selbst zur Freude, wie sie anderseits ihr Lied zur Waffe stählen, mit ihm kämpfen, durch dasselbe siegen oder unterliegen. Wer eine Nachtigall, eine Drossel singen gehört und sie verstanden hat, begreift, daß solch ein Vogel Lebensfreudigkeit, leichte Erregbarkeit des Geistes besitzen, daß er leidenschaftlich sein muß, um so vollendetes schaffen zu können. Man hat den Singvogel oft mit dem Dichter verglichen, und der Vergleich, mag er auch hinken wie jeder andere, und mag man über ihn spötteln, darf gelten: denn was der Dichter unter den Menschen, ist der Sänger in gewissem Sinne wenigstens unter den Vögeln.

So vielseitiger Begabung, wie sie dem Sperlingsvogel geworden ist, entsprechen Lebensweise, Betragen, Ernährung, Fortpflanzung und andere Thätigkeiten und Handlungen. Im allgemeinen läßt sich hierüber wenig sagen; denn eigentlich scheint unter Sperlingsvögeln alles möglich zu sein. Ihre Lebensweise ist ebenso verschieden wie ihre Gestalt, Begabung und ihr Aufenthalt, ihr Betragen so veränderlich wie sie selbst. Die meisten von ihnen sind in hohem Grade gesellige Thiere. Einzelnen begegnet man nur zufällig, Paaren bloß in der Brutzeit; während der übrigen Monate des Jahres sammeln sich die Paare und Familien zu Trupps, die Trupps zu Scharen, die Scharen oft zu förmlichen Heeren. Und nicht bloß die Mitglieder einer Art versammeln sich, sondern auch Artverwandte, welche unter Umständen monatelang zusammenbleiben, in einen Verband treten und gemeinschaftlich handeln. Solche Versammlungen sind es, welche wir im Spätherbste, nach vollendeter Brut und Mauser, in unseren Wohnorten, auf unseren Fluren sehen können; solche Genossenschaften stellen sich während des Winters in Bauerngehöften oder in den Straßen der Städte als Bettler ein; solche Verbindungen bleiben auch in der Fremde bestehen. Der Klügere pflegt für das Wohl der Gesammtheit Sorge zu tragen, und seinen Anordnungen wird bei den übrigen Gehorsam oder seinem Vorgehen Nachahmung. Bei anderen Sperlingsvögeln, welche ebenfalls in Gesellschaft leben, walten abweichende Verhältnisse ob. Kein Mitglied des von ihnen gebildeten Verbandes opfert diesem seine Selbständigkeit; einer steht zwar dem anderen in Gefahr und Noth treulich bei, die Gatten eines Paares hängen mit inniger Zärtlichkeit aneinander, und die Eltern lieben ihre Jungen in so hohem Grade wie irgend ein anderer Vogel die seinigen: im übrigen aber handelt jeder einzelne zu seinem Nutzen. Ihre geselligen Vereinigungen sind, wie es scheint, Folgen der Erkenntnis aller Vortheile, welche ein Verband gleichbefähigter dem einzelnen gewährt, Verbindungen zu Schutz und Trutz, zur Ermöglichung geselliger Freuden, zur Unterhaltung des ewig nach Beschäftigung strebenden Geistes. Einzelne Arten halten sogar Zusammenkünfte an gewissen Orten und zu gewissen Stunden ab, scheinbar zu dem Zwecke, gegenseitig Erlebnisse des Tages auszutauschen. Andere Sperlingsvögel wiederum sind Einsiedler, wie solche unter Vögeln nur gedacht werden können, grenzen eifersüchtig ein bestimmtes Gebiet ab, dulden innerhalb desselben kein zweites Paar, vertreiben aus ihm sogar die eigenen Jungen.

Streng genommen hat man die Mitglieder unserer Ordnung als Raubvögel zu betrachten, so wenig dies auch der geläufigen Bedeutung des Wortes entsprechen mag. Die große Mehrzahl nährt sich, wenn nicht ausschließlich, so doch vorwaltend, von anderen Thieren, von Kerfen, Weichthieren und Gewürm aller Art, und die größten Mitglieder der Klasse zählen thatsächlich zu den tüchtigsten Räubern, da sie ihre Jagd keineswegs auf Kleingethier beschränken, sondern mit wirklichen Raubvögeln wetteifern und bei ihrer Jagd Kraft und Gewandtheit mit Muth und List vereinigen. Fast alle aber, welche vorwiegend von anderen Thieren sich ernähren, verzehren nebenbei auch Früchte, Beeren und Körner, und diejenigen, welche letztere fressen, jagen fast ausnahmslos zeitweilig Kerbthieren nach. So bezeichnet man sie vielleicht am richtigsten als Allesfresser, wenn auch die wenigsten dies in so unbeschränkter Weise sein mögen, wie einzelne, denen alles genießbare recht zu sein scheint, und welche um die Mittel zur Erwerbung nie verlegen sind.

[116] Je nachdem der Haupttheil der Nahrung aus thierischen oder aus pflanzlichen Stoffen besteht, ist der Sperlingsvogel gezwungen, sein heimatliches Gebiet zu verlassen, wenn der Winter ihm den Tisch verdeckt, oder aber befähigt, jahraus jahrein wesentlich dieselbe Oertlichkeit zu bewohnen. Alle in warmen Ländern lebenden Sperlingsvögel ziehen nicht, sondern streichen höchstens von einem Gebiete zum anderen, wie einzelne unserer nordischen Arten auch zu thun pflegen. Bei uns zu Lande entvölkert der Herbst Wald und Flur; denn verhältnismäßig wenige von den in unserem Vaterlande heimischen Arten der Ordnung sind befähigt, hier den Winter zu bestehen, und nicht bloß die meisten Kerbthierräuber, sondern auch viele Körnerfresser wandern nach Süden, ja, selbst ein Theil der Allesfresser gehorcht derselben zwingenden Nothwendigkeit.

Der Frühling, möge er nun Lenz oder Regenzeit heißen, ist die Zeit der Liebe für die Mehrzahl der Sperlingsvögel; gerade unter ihnen gibt es jedoch einige Arten, welche sich wenig um das neuerwachende Leben in der Natur kümmern und hinsichtlich des Brutgeschäfts an keine bestimmte Zeit des Jahres binden, vielmehr ebenso dem eisigen Winter des Nordens wie der ertödtenden Sommerhitze der Wendekreisländer trotzen. Die große Menge hingegen hält treulich fest an dem Wechsel des Jahres und erkennt im Lenze dessen schönste Zeit. Bis dahin haben sich alle größeren Gesellschaften, welche der Herbst vereinigte, gelöst, und die geselligen Tugenden sind einer Leidenschaftlichkeit gewichen, wie sie bei wenigen anderen Vögeln stärker auftritt. Der Schnabel ist jetzt nicht bloß dem Jubelliede der Liebe geöffnet, sondern auch zum Kämpfe der Eifersucht gewetzt. Fast möchte man glauben, daß der Sperlingsvogel sein Tagewerk nur in Singen und Kämpfen eintheilt. Er bethätigt die lebhafteste Erregung in allen Handlungen, nimmt mit Hast die nothwendige Nahrung zu sich, singt und jubelt, übt allerlei Flugspiele, welche er sonst niemals aufführt, und gibt sich mit vollem Feuer, meist vielmal des Tages, ehelichen Zärtlichkeiten hin. Diejenigen, welche zu den Einsiedlern zählen, verfolgen ihresgleichen jetzt mit mehr Ingrimm als je; diejenigen, welche ihren Verband nicht lösen, bilden Siedelungen, und wenn es anfänglich in ihnen auch nicht immer friedlich hergeht, manchmal vielmehr Streit um Niststätte und Niststoffe die Gemüther erhitzt, endet doch der Kampf, und tritt der Friede ein, wenn der Platz wirklich in Besitz genommen und der Bau vollendet oder mit Eiern belegt wurde. Das Nest selbst ist so verschieden wie der Sperlingsvogel selbst, an dieser Stelle daher nur zu sagen, daß die größten Baumeister in dieser Beziehung, wahre Künstler, gerade innerhalb unserer Ordnung gefunden werden. Das Gelege besteht aus vier bis zwölf und mehr, meist buntfarbigen Eiern. Beide Eltern brüten, und beide füttern gemeinschaftlich ihre Jungen auf. Meist folgt im Laufe des Sommers eine zweite, selbst dritte Brut auf die erste.

Im allgemeinen haben wir die Sperlingsvögel als vorwiegend nützliche Thiere anzusehen. Zwar gibt es unter ihnen einzelne, welche uns vielleicht mehr schaden als nützen; ihrer aber sind so wenige, daß man ihre Thätigkeit dem Wirken der Gesammtheit gegenüber kaum in Anschlag bringen darf. Weitaus die meisten Arten erwerben sich durch Vertilgung schädlicher Kerbthiere, Schnecken und Würmer hohe Verdienste um unsere Nutzpflanzen, und nicht wenige beleben durch ihre köstliche Begabung, zu singen, Wald und Flur in so hohem Grade, daß sie uns den Frühling erst zum Frühlinge stempeln. Sie würden wir nicht missen mögen, selbst wenn sie schädlich sein sollten. Gerade die besten Sänger aber bringen uns nur Nutzen; die schädlichsten sind diejenigen, welche als Stümper im Gesange bezeichnet werden müssen. Hierher haben wir zu rechnen einzelne Raben, hierher auch mehrere kleine Finken und Webervögel, welche zwar durch Auflesen von Unkrautgesämen und gelegentlichen Fang von Kerbthieren ebenfalls Nutzen bringen, zu gewissen Zeiten aber, wenn sie zu großen Schwärmen vereinigt in reifendes Getreide oder fruchttragende Obstbäume einfallen, doch auch recht lästig werden können. Nicht unser Bauer allein sieht in solchen Vögeln unliebsame Gäste, auch die Völkerschaften anderer Erdtheile klagen über den Schaden, welchen sie durch die kleinen Körnerfresser erleiden. Die Menge macht letztere furchtbar; denn es ist in der That nicht gleichgültig, hunderte und tausende von kleinen Fressern ernähren [117] und zusehen zu müssen, wenn die ungenügsamen nebenbei noch ebensoviel verwüsten, als sie verzehren. Ihnen gegenüber rechtfertigt sich thatkräftige Abwehr umsomehr, als ihr Fleisch mit Recht als leckeres Gericht betrachtet werden kann. Aber auch der Fang einzelner, in großer Anzahl auftretender, nicht schädlicher Arten, beispielsweise der Drosseln, ist kein so unsühnbares Verbrechen, als man neuerdings zu behaupten pflegt; in keinem Falle wenigstens tragen die Vogelsteller allein die Schuld an der Abnahme dieser Vögel, soweit eine solche überhaupt erwiesen werden konnte. Demungeachtet empfiehlt es sich, für sie in die Schranken zu treten; denn alle Sperlingsvögel insgemein, die wenigen starken und sehr gewandten unter ihnen ausgeschlossen, haben ohnehin von den verschiedenartigsten Feinen zu leiden.

Mindestens ebensoviele Sperlingsvögel, als man in unserer Zeit dem Moloch Magen opfert, werden gefangen, um als Stubengenossen des Menschen zu dienen. Keine andere Ordnung der Klasse liefert so viele Käfigvögel wie diese. Ihnen entnahmen wir das einzige Hausthier, welches wir im eigentlichen Sinne des Wortes im Käfige halten, ihnen gewähren wir das Vorrecht, uns mitten im Winter Lenz und Lenzesgrün vorzutäuschen. Gefühlsüberschwängliche Seelen haben geklagt und gejammert über die armen gefangenen Vögel im Käfige, in ihrer Beschränktheit aber vergessen, daß auch der Stubenvogel nichts anderes ist als ein Hausthier, bestimmt, dem Menschen zu dienen. Ein Säugethier zu züchten, zu mästen, zu schlachten, zu verspeisen, findet jedermann in der Ordnung; einen Vogel zu fangen, mit aller Liebe zu pflegen, ihm den Verlust seiner Freiheit so gut als möglich zu ersetzen, um dafür als Dankeszoll die Freude zu ernten, seinem Liede lauschen zu dürfen, bezeichnet man als ungerechtfertigte Beraubung der Freiheit eines hochedeln Wesens. So lange unsere Erde wie bisher reicher an Thoren als an Weisen sein wird, so lange der Unverstand selbst in Thierschutzvereinen herrscht, ja gerade hier förmlich regelrecht groß gezogen wird, ist auf Aenderung so verkehrter Anschauungen kaum zu hoffen. Wir aber, welche die Vögel und ihr Leben besser kennen als jene zünftigen und nichtzünftigen Klageweiber, werden uns deshalb unsere Freude an ihnen und somit auch an unseren Stubengenossen nicht beschränken noch verkümmern lassen, nach wie vor Vögel fangen und pflegen und diejenigen, welche kein Verständnis für unsere Freude gewinnen wollen, höchstens im innersten Herzen beklagen.

Ueber die Eintheilung dieser artenreichsten aller Ordnungen, bei deren Schilderung ich mich mehr als bei irgend einer anderen beschränken muß, herrschen so verschiedene Auffassungen, daß man behaupten darf, jeder einigermaßen selbständig arbeitende Forscher befolge sein eigenes System. Alle Versuche, sich zu einigen, sind bis jetzt gescheitert. Wir kennen die Sperlingsvögel noch viel zu wenig, als daß wir über ihre Verwandtschaften in allen Fällen zweifellos sein könnten. Einige erachten es als richtig, die Gesammtheit in zwei Unterordnungen, die der Sing- und Schreivögel, zu zerfällen, je nachdem die Singmuskeln am unteren Kehlkopfe entwickelt sind oder nicht. Ich werde, obwohl ich von der Nothwendigkeit einer solchen Trennung noch keineswegs überzeugt bin, dieser Auffassung im nachstehenden Rechnung tragen.

Bei den Singvögeln (Oscines), der großen Mehrzahl aller Sperlingsvögel, ist der untere Kehlkopf vollständig entwickelt und meist mit fünf Paaren, auf die Vorder- und Rückseite vertheilten Muskeln ausgerüstet. Aeußerlich lassen sich die Glieder dieser sogenannten Unterordnung daran erkennen, daß von den zehn Handschwingen die erste kurz, verkümmert oder gar nicht vorhanden, der Lauf aber vorn gestiefelt, das heißt mit vollständig verschmolzenen großen Platten gedeckt und auf der Seite mit einer ungetheilten Schiene bekleidet ist.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 113-118.
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