Funfzehnte Familie: Raben (Corvidae)

[423] Als die den Paradiesvögeln am nächsten stehenden Sperlingsvögel erweisen sich die Raben (Corvidae), gedrungen gebaute, kräftige Vögel, mit verhältnismäßig großem, starkem, auf der Firste des Oberschnabels oder überhaupt seicht gekrümmtem Schnabel, dessen Schneide vor der meist überragenden Spitze zuweilen einen schwachen Ausschnitt zeigt, und dessen Wurzel regelmäßig [423] mit langen, die Nasenlöcher deckenden Borsten bekleidet ist, großen und starken Füßen, mäßig langen, in der Regel zugerundeten Flügeln, verschieden langem, gerade abgeschnittenem oder gesteigertem Schwanze und dichtem, einfarbigem oder buntem Gefieder.

Die Raben, von denen man gegen zweihundert Arten kennt, bewohnen alle Theile und alle Breiten-oder Höhengürtel der Erde. Nach dem Gleicher hin nimmt ihre Artenzahl bedeutend zu; sie sind aber auch in den gemäßigten Ländern noch zahlreich vertreten und erst im kalten Gürtel einigermaßen beschränkt. Weitaus die meisten verweilen als Standvögel jahraus, jahrein an einer und derselben Stelle oder wenigstens in einem gewissen Gebiete, streichen in ihm aber gern hin und her. Einzelne Arten wandern, andere ziehen sich während des Winters von bedeutenden Höhen mehr in tiefere Gegenden zurück.

Mit Ausnahme eines wohllautenden Gesanges, welcher den Raben fehlt, vereinigen sie sozusagen alle Begabungen in sich, welche den Gliedern der Ordnung eigen sind. Sie gehen gut, fliegen leicht und anhaltend, auch ziemlich rasch, besitzen sehr gleichmäßig entwickelte Sinne, namentlich einen ausgezeichneten Geruch, und stehen hinsichtlich ihres Verstandes hinter keinem ihrer Ordnungsverwandten, vielleicht nicht einmal hinter irgend einem Vogel zurück. Dank ihren vortrefflichen Geistesgaben führen sie ein sehr bequemes Leben, wissen sich alles nutzbar zu machen, was ihr Wirkungskreis ihnen bietet, und spielen daher überall eine bedeutsame Rolle. Sie sind Allesfresser im eigentlichen Sinne des Wortes, daher unter Umständen ebenso schädlich als im allgemeinen nützlich. Ihr großes, zuweilen überdecktes Nest steht frei auf Bäumen und Felsen oder in Spalten und Höhlungen der letzteren; das zahlreiche Gelege besteht aus bunten Eiern, welche mit warmer Hingebung bebrütet werden, ebenso wie alle Raben, dem verleumderischen Sprichworte zum Trotze, als die treuesten Eltern bezeichnet werden dürfen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 423-424.
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