Grauling (Brachyprorus cinereus)

[471] Der Grauling (Brachyprorus cinereus, Struthidea und Brachystoma cinerea) ist fast einfarbig bräunlichaschgrau; die schmalen Federn auf Kopf, Hals und Brust zeigen etwas hellere Endspitzen; die Schwingen und Flügeldecken sind oliven-, die hinteren Armdecken schwarzbraun wie die Innen fahne der Schwingen, die Schwanzfedern rauchbraun mit metallisch scheinendem Außensaume.


Schweifkitta (Urocissa erythrorhyncha). 2/5 natürl. Größe.
Schweifkitta (Urocissa erythrorhyncha). 2/5 natürl. Größe.

Der Augenring ist perlweiß, der Schnabel wie der Fuß schwarz. Die Länge beträgt etwa dreißig, die Fittig länge funfzehn, die Schwanzlänge siebzehn Centimeter.

Ueber das Freileben des Graulings, welcher neuerdings nicht allzuselten in unsere Käfige gelangt und in Gefangenschaft vortrefflich ausdauert, liegen nur dürftige Berichte vor. Gould, welcher den Vogel als eine der auffallendsten Erscheinungen der gefiederten Welt Australiens ansieht, begegnete ihm im Inneren der südlichen und östlichen Theile des Erdtheils, und zwar in Nadelwaldungen, meist in Gesellschaften von drei oder vier Stücken, welche namentlich in den Wipfelzweigen rasch und ruhelos umherhüpften, von Zeit zu Zeit die Flügel breiteten und dabei [471] rauhe, ungefällige Töne ausstießen, im ganzen aber sich nach Rabenart benahmen und von Kerbthieren ernährten. Das Nest fand Gilbert in einem kleinen Buschgehölze, auf dem wagerechten Zweige eines Baumes aufgeklebt. Es besteht aus Schlamm, ist innen mit Gras ausgelegt und enthält vier etwa dreißig Millimeter lange und zweiundzwanzig Millimeterbreite, auf weißem Grunde mit röthlichbraunen, purpurbraunen und kleinen grauen Flecken, namentlich am dickeren Ende, bedeckte Eier.

Gefangene Vögel dieser Art, welche ich längere Zeit pflegte, gaben mir Gelegenheit, eingehendere Beobachtungen anzustellen.


Grauling (Brachyprorus cinereus). 1/3 natürl. Größe.
Grauling (Brachyprorus cinereus). 1/3 natürl. Größe.

Selbst unter Raben fallen die Graulinge durch ihre außerordentliche Beweglichkeit und Rastlosigkeit auf. Hinsichtlich der ersteren erinnern sie in mancher Beziehung an die Heher, springen aber leichter und bewegen auch die Flügel kräftiger als diese. Ihre Stellung ist sehr verschieden, eine besondere Lieblingsstellung von ihnen diejenige, welche unser Zeichner dem Leben abgelauscht und vortrefflich wiedergegeben hat. Die Stimmlaute, welche zwischen Krächzen und Seufzen ungefähr in der Mitte liegen, wie sich während der Paarungszeit leicht beobachten läßt, sind vielfacher Vertönung fähig. Gesellig, verträglich und friedfertig, bekümmern [472] sich die Graulinge um andere Vögel, welche denselben Raum mit ihnen theilen, so lange nicht, als diese sie selbst in Ruhe lassen; während der Brutzeit aber ändert sich ihr Wesen insofern, als sie jede Annäherung irgend eines Vogels an das Nest sofort zurückweisen. Bei dieser Gelegenheit zeigen sie sich als ebenso muthige wie kampffähige Gegner und gebrauchen nicht allein den Schnabel, sondern auch die Klauen in gefährlicher Weise. Je abstoßender nach außen, um so zärtlicher benehmen sie sich gegen den Gatten. Die rauhen Laute des liebebegehrenden Männchens gewinnen eine Sanftheit und Gefälligkeit, welche man ihm nie zugemuthet haben würde, und seine Liebeswerbungen werden aus dem Grunde besonders anmuthig, als es das Weibchen mit zierlichen Schritten umgeht und zeitweilig mit einem Flügel förmlich überdeckt. Währenddem beginnt auch der Bau des Nestes, welcher, wie mir scheinen wollte, vom Weibchen allein ausgeführt wird. Nachdem sich dieses für einen mehr oder minder wagerecht verlaufenden, nicht allzuschwachen Ast und eine bestimmte Stelle auf ihm entschieden hat, beginnt es, die Oberfläche desselben mit Lehm zu bestreichen, bringt letzteren klümpchenweise herbei, befeuchtet ihn mit Speichel, durchknetet ihn währenddem sehr sorgfältig und trägt ihn endlich langsam auf; denn es wartet wie andere Kleibevögel stets so lange, bis eine Schicht vollkommen trocken geworden ist. Um die Unterlage des Nestes herzustellen, wird zuerst eine länglichrunde, wagerecht liegende Scheibe zu beiden Seiten des Astes in Angriff genommen und auf dieser sodann allmählich die napfartige Mulde aufgebaut, bis das ganze Nest die Gestalt eines mehr als halbkugeltiefen Napfes erreicht hat. Schon zum Aufbaue der Scheibe verwendet der kluge Vogel Pferdehaare; zur Herstellung der Wandungen benutzt er dieselben in reichlicher Menge derart, daß sie allenthalben den Lehm zusammenhalten und zur Befestigung des ganzen wesentlich beitragen. Die Wandung des Nestes besitzt unten eine Stärke von etwa fünfundzwanzig, oben am Rande von nur funfzehn Millimeter. Die innere Auskleidung besteht, falls sie überhaupt vorhanden, aus einer dünnen Schicht von Halmen und Haaren.

Seitdem ich vorstehende Beobachtungen sammelte, haben die Graulinge auch unter anderer Pfleger Obhut gebaut und gebrütet, soviel mir bekannt, aber noch nirgends Junge aufgebracht, weil zufällige Störungen jedesmal das Gedeihen der Brut verhinderten.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 471-473.
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